Katar setzt auf Kultur: Bildung statt Öl

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Von Aadel Haleem, Miranda Atty, Sabine Sans
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Von der Restaurierung von Dokumenten bis zur Bekämpfung des Schmuggels - Katars Nationalbibliothek ist ein Kompetenzzentrum, das sich für die Bewahrung des Kulutrerbes der Region einsetzt.

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Katars Nationalbibliothek hat mehr als Bücher zu bieten. In dieser Qatar 365-Folge geht es um Qatars National Library (QNL) und ihr Erbe. Moderator Aadel Haleem führt durch die QNL, angefangen beim Gebäudekonzept bis hin zu den verschiedenen Abteilungen, wie z. B. die ständige Ausstellung zum Kulturerbe. Außerdem geht es um den Digitalisierungsprozess der QNL. Miranda Atty hat das Zentrum für Bestandserhaltung und Konservierung besucht – dort geht es um Konservierungstechniken und die Bekämpfung des Manuskriptschmuggels.

Die QNL dient als National-, Universitäts- und städtische Zentralbibliothek. Sie soll entsprechend dem 2008 beschlossenen Rahmenplan für Katars Strategie bis 2030 den Umbau von einer karbonbasierten zu einer bildungsbasierten Volkswirtschaft unterstützen und deshalb Forschung und Wissenschaft fördern.

Im Juli 2012 wurde eine Partnerschaft zwischen der British Library und der Katar Foundation ins Leben gerufen, um die historischen Sammlungen der British Library zur Geschichte Katars und des Golfs, zur mittelalterlichen arabischen Wissenschaft und Medizin sowie zu anderen kulturellen Bereichen zu digitalisieren. Das Projekt zielt darauf ab, das Verständnis der Menschen für die Geschichte der Golfregion und des gesamten Nahen Ostens zu verbessern.

Sie ist eine Fundgrube für Informationen - von der Kultur und Geschichte der Region bis hin zu modernster Digitalisierungs-Technologie. Die Bibliothek fungiert aber auch als regionales Kompetenzzentrum für Restaurierungstechniken und den Kampf gegen den Handel mit gestohlenen Dokumenten.

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Katars Nationalbibliothekeuronews

Ein ehrfurchtgebietendes Gebäude

Katars Nationalbibliothek ist keine herkömmliche, altmodische Bibliothek. Ihr zweckmäßiges Design ist von Symbolik geprägt.

"Die Ehrfurcht in den Augen der Besucher, wenn sie hineingehen und ihr Blick das ganze Gebäude erfasst, das macht Freude", sagt Hind Al Khulaifi, Direktorin für strategische Planung und Projekte. "Sobald man eintritt, kann man die meisten Bereiche der Bibliothek sehen."

"Der Innenraum wurde so konzipiert, dass die Ebenen erhöht sind und das Gefühl vermitteln, dass Lesen und Lernen die Seele und das Bewusstsein erheben können. Das Schöne an diesem Gebäude ist, dass es vollständig von natürlichem Licht erhellt wird - eine weitere Symbolik für die Erhebung der Seele durch Licht und Lernen."

"Lernen kann die Seele beflügeln. Die Menschen sollen nachfragen, erforschen, entdecken und herumstöbern."
Hind Al Khulaifi
Direktorin für strategische Planung und Projekte an Katars Nationalbibliothek

Al Khulaifi ist der Meinung, dass moderne Bibliotheken auch als Zentren für die Gemeinschaft dienen sollten. Natürlich gibt es Bücher - und zwar jede Menge davon. Aber man findet dort auch Studienräume, Innovationsstationen und Sinnesräume.

"Wir wollen, dass die Menschen nachfragen", sagt sie. "Wir wollen, dass die Menschen forschen, entdecken und herumstöbern,da sie Zugang zu einer so großen Menge an Informationen zu verschiedenen Themen haben."

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Hind Al Khulaifi, Direktorin für strategische Planung und Projekteeuronews

Wenn jemand in der Innovationsabteilung der Bibliothek ein Instrument in die Hand nimmt oder sogar einen Podcast aufnimmt, dann hofft man, dass er auch dazu angeregt wird, ein Buch in die Hand zu nehmen, um mehr über die Theorie dahinter zu erfahren.

Die Kulturerbe-Bibliothek

Die vom niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas entworfene Qatar National Library öffnete 2018 ihre Türen. Das Herz des Büchertempels bildet die Kulturerbe-Bibliothek, die einer archäologische Grabungsstätte ähnelt und Karten, Manuskripte und Fotos beherbergt, die die reiche Geschichte der Region dokumentieren.

"Die Ausstellung konzentriert sich nicht nur auf die arabische Geschichte", sagt Ikhlas Ahmed, Tour & Exhibition Officer. "Sie konzentriert sich auf die islamische Geschichte im Allgemeinen, die islamische Zivilisation. Wie zum Beispiel die Manuskripte von Gebiet zu Gebiet wanderten, bis die Menschen begannen, ihr Wissen auszutauschen."

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Ikhlas Ahmed, Tour & Exhibition Officereuronews

Dieser Wissenstransfer steht sinnbildlich für das Konzept der Nationalbibliothek. Katar will sich von einer ölbasierten zu einer wissensbasierten Wirtschaft wandeln. Das Haus bietet eine Plattform, um Wissen sowohl physisch als auch digital zu teilen.

"Es ist sehr wichtig, die Region aus einer anderen Perspektive kennenzulernen, aus der Sicht der Reisenden", sagt Ahmed. "Denn sie waren im 15. oder 16. Jahrhundert die Pioniere. Sie kamen mit unterschiedlichen Zielen in die Region. Anhand ihrer Tagebücher können wir die Geschichte der damaligen Zeit nachlesen."

Die Bibliothek besitzt eines der frühesten Zeugnisse der französischen Expedition nach Ägypten im 18. und 19. Jahrhundert.

"Das Buch gilt als die erste Beschreibung Ägyptens zu dieser Zeit", sagt Ahmed. "Viele Wissenschaftler, Historiker und Gelehrte haben jeden Teil dieser Expedition dokumentiert. Es ist eine der wichtigsten Primärquellen für den damaligen Alltag aus verschiedenen Perspektiven."

Die Kulturerbe-Bibliothek beherbergt auch die erste gedruckte Karte aus dem 15. Jahrhundert, auf der das heutige Katar erwähnt wird - auf Lateinisch als Catara mit einem 'C' bezeichnet.

Digitalisierung der Sammlung

Der nächste Schritt besteht darin, diese alten Materialien zu digitalisieren, um sie für künftige Generationen zu erhalten. Die Digitalisierungsspezialisten der Bibliothek können 2.000 bis 2.500 Seiten pro Tag konvertieren. Hany A Elsawy Abdellatifi ist Leiter der Digitalisierungsdienste.

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"Wir haben 2015 begonnen", sagt er. "Bis jetzt haben wir mehr als 14 Millionen Seiten an Büchern, Manuskripten, Zeitschriften, Postern, Karten, Fotos und vieles mehr digitalisiert. Wir konzentrieren uns auf die arabische Sprache. Wir versuchen, arabische Inhalte zu fördern und sie für Forscher, Pädagogen und für normale Nutzer online zugänglich zu machen. So kann jeder von überall und zu jeder Zeit auf die Sammlung zugreifen."

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Hany A Elsawy Abdellatifi ist Leiter der Digitalisierungsdiensteeuronews

Und die Kulturerbe-Werke scheinen kein Nischenmaterial zu sein: 2021 nutzten nach Angaben der Bibliothek mehr als 2,5 Millionen Menschen ihre elektronischen Angebote.

"Das beweist eindeutig, dass kulturelles Erbe, wenn es online gestellt wird und für jedermann frei zugänglich ist, wie wir es tun, wirklich ein großes Potenzial hat", sagt Marcin Werla, Direktor für digitale Inhalte und Engagement an der Nationalbibliothek von Katar. "Viele Menschen sind daran interessiert. Nicht nur Menschen aus unserem Land, sondern aus der Region, aus der ganzen Welt. Wir haben Online-Besucher von überall her."

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Marcin Werla, Direktor für digitale Inhalte und Engagementeuronews

"Abgesehen von der Digitalisierung unserer eigenen Sammlung", sagt Tan Huism, Geschäftsführerin der Qatar National Library, "pflegen wir auch verschiedene Partnerschaften, z. B. mit der British Library, um Materialien über die Golfregion aus deren Archiven zu digitalisieren und der ganzen Welt zugänglich zu machen. Das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Rolle als Hüter des Erbes der Region und Katars."

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Tan Huism, Geschäftsführerin der Qatar National Libraryeuronews

Das reiche Erbe des Landes wird in einer hochmodernen Bibliothek digitalisiert, ein Buch nach dem anderen.

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Abteilung Konservierung und Erhaltung

Katars Nationalbiliothek besitzt mehr als eine Million Bücher. Die Leser finden überall auf den 42.000 Quadratmetern Sitzflächen zum Entspannen. Und obwohl die Bibliothek alles bietet, was man von einer Bibliothek erwarten kann, einschließlich eines Cafés, einer Kinderabteilung und eines Restaurants, ist das, was sie einzigartig macht, die Abteilung für Konservierung und Erhaltung.

"Im Vergleich zu allen anderen arabischen Ländern haben wir definitiv das am besten entwickelte Zentrum für die Erhaltung, die Restaurierung und den Schutz des kulturellen Erbes."
Stephane Ipert
Direktor für besondere Sammlungen an der Nationalbibliothek Katar

Neben dem für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil der Bibliothek, gibt es im Untergeschoss einen weiteren sehr wichtiger Bereich: das IFLA Preservation and Conservation Regional Center (PAC). Seine Aufgabe ist einfach: den Schutz von Büchern und Manuskripten aus der gesamten arabischen Region zu unterstützen.

"Es gibt Millionen arabischer und islamischer Manuskripte in der Region. Es gibt nicht genug Mittel, um alle zu erhalten und zu konservieren", sagt Stéphane Ipert, Direktor für besondere Sammlungen an der Nationalbibliothek von Katar. "Wir können nicht alle ersetzen und das gesamte Erbe retten, aber wir können Menschen ausbilden. Daher haben wir hier eine Abteilung für technische Hilfe, in der wir Schulungen und technische Beratung anbieten und auch Menschen zu Schulungen einladen, die sich mit allen Problemen der Erhaltung und Bewahrung von Manuskripten, Zeitungen und Karten befassen. Auf diese Weise können wir den Menschen helfen, ihre Sammlungen zu bewahren und besser zu pflegen."

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Stéphane Ipert, Direktor für besondere Sammlungeneuronews

Der Konservierungstechniker Fareed AlShishani ist auf anorganische Materialien spezialisiert. Seine Aufgabe bei QNL besteht darin, Schäden vorzubeugen, zu konservieren und Risiken zu managen. Er und andere Mitglieder des Teams kümmern sich um alle Objekte in der Bibliothek des Kulturerbes sowie um Bücher, Karten und Manuskripte. Die Arbeit ist sehr vielfältig - gerade untersucht er die Metalle in einem Astrolabium.

"Wir haben ein System zur Überwachung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, das über eine Wlan-Verbindung funktioniert", sagt er. "So kann ich mit einem Blick auf den Computer die Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Lagerräumen und in der Ausstellung überprüfen. Und wenn wir Leihgaben haben, können wir mit diesem System eine Verbindung zu jedem Wlan in der Welt herstellen und sie von unseren Computern und sogar von unseren Smartphones aus fernüberwachen."

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Konservierungstechniker Fareed AlShishanieuronews

2022 eröffnete QNL die erste Massenentsäuerungsanlage in der Region. Bei Büchern oder Zeitungen, die nach 1850 hergestellt wurden, gibt es mehr Probleme als bei älteren Manuskripten, da die verwendeten Materialien oder der Zellstoff eher säurehaltig sind.

"Diese Entsäuerungsanlage funktioniert mit einer Magnesiumoxid-Lösung", erklärt AlShishani. "Das Besondere an diesem Verfahren ist, dass mehrere Gegenstände behandelt werden können, also nicht nur einer oder zehn – wir können bis zu 50 Gegenstände pro Tag entsäuern. Wenn die Behandlung beendet ist, kommen die Sachen in den Trockner. Er nimmt die verbrauchte Flüssigkeit auf, die in den Materialien übriggeblieben ist. Sie wird wieder in das System eingespeist, so dass das Material recycelt wird. Das ist kosteneffektiv und umweltfreundlich."

Kampf gegen den Schmuggel

Der Auftrag des PAC-Zentrums, Bücher zu schützen, geht über die Erhaltung hinaus. Die Experten hier konzentrieren sich auf die Ausbildung und Bekämpfung eines weit verbreiteten und wachsenden Problems: Schmuggel.

Der Schmuggel historischer Aufzeichnungen und anderer Archivmaterialien hat in der MENA-Region aufgrund der vielen Länder, die mit Konflikten und Unruhen zu kämpfen haben, zugenommen.

Bücher und Literatur sind jedoch weit weniger durch nationale Gesetze geschützt als andere Artefakte. Deshalb sind die Schulungen des PAC-Zentrums zu den Gesetzen über Schmuggel und Plünderung so wichtig.

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"Wir haben den Aufenthalt jemenitischer Experten finanziert, damit sie bei uns an Schulungen teilnehmen und mit internationalen Experten, der Polizei und dem Zoll zusammentreffen können, die im Moment vielleicht nicht so einfach in den Jemen reisen können", sagt Ipert. "Wir erläutern ihnen die Verfahren und den rechtlichen Rahmen. Diesen Hintergrund muss man haben, um besser gegen Schmuggel vorgehen zu können. Man muss Rückgabeverfahren erklären. Außerdem haben wir mit anderen IT-Abteilungen der Qatar Foundation eine Einheit entwickelt, die automatisch Tag und Nacht die sozialen Netzwerke überwacht, um Beiträge zu identifizieren, die mit Schmuggel in Verbindung stehen könnten. Jeden Morgen erhalten unsere Experten Listen von Beiträgen. Sie prüfen anhand des Vergleichs mit Bibliotheksdatenbanken, ob es sich um einen legalen Verkauf handelt oder ob ein Zusammenhang mit Schmuggel bestehen könnte. Das ist eine Menge Arbeit, aber wichtig, um das Gedächtnis der islamischen Welt zu bewahren."

Kriminelle lassen sich immer raffiniertere Schmuggelmethoden einfallen und nutzen verstärkt Technologie dafür.

"Manuskripte sind im Vergleich zu archäologischen Artefakten ziemlich klein", sagt Ipert. "Sie lassen sich leichter transportieren, illegal exportieren und dann auf europäischen Märkten verkaufen. Deshalb haben wir drei Jahre lang in Zusammenarbeit mit Interpol, mit der internationalen Zollunion und mit anderen Experten ein Programm entwickelt, um speziell gegen den Handel mit islamischen Handschriften vorzugehen. Wir bekämpfen den Schmuggel mit einem Team, das die Verkäufe überwacht. Sowohl die Auktionen als auch die Verkäufe in den sozialen Netzwerken. Dieser illegale Handel wird immer häufiger im Dark Web und in den sozialen Netzwerken betrieben. Das ist für die Polizei nicht mehr so leicht zu kontrollieren. Wir überwachen alle diese Aktivitäten. "

Ob es nun um die modernen Techniken geht, mit denen die Sammlung der Bibliothek gesichert wird, oder um die angebotenen Schulungen und Workshops, um den Schmuggel unbezahlbarer Manuskripte in der gesamten Region zu verhindern: Die Bewahrung und Erhaltung des kulturellen Erbes sind zwei wichtige Ziele der Bibliothek.

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