Nach dem Missbrauchsbericht in Frankreich: Viele Opfer schweigen

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Von Johan Bodinier
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Anfang Oktober 2021 hatte eine Untersuchungskommission geschätzt, dass seit 1950 in Frankreich etwa 330.000 Minderjährige von Priestern, Ordensleuten oder Mitarbeitern katholischer Einrichtungen sexuell missbraucht worden waren.

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In der katholischen Kirche in Frankreich sind seit den Fünfzigerjahren nach Hochrechnungen einer Untersuchungskommission (Rapport Sauvé) 216.000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch geworden. Unter Einbeziehung von weiteren Einrichtungen, die von der Kirche betrieben werden, gehe man von 330.000 Opfern aus, sagte der Präsident der Unabhängigen Missbrauchskommission in der Kirche (CIASE), Jean-Marc Sauvé, in Paris.

1 Jahr nach dem „Rapport Sauvé“: Gibt es Gerechtigkeit für die Opfer?

Am 5. Oktober 2021 hat die französische Unabhängige Missbrauchskommission in der Kirche (CIASE) einen Bericht mit erschreckenden Zahlen veröffentlicht: Von 1950 bis 2020 wurden etwa 330.000 Minderjährige von Klerikern oder Laien in der Kirche sexuell missbraucht. 

Um ihnen Wiedergutmachung zu leisten, wurden zwei unabhängige Instanzen geschaffen: die Nationale Instanz für Anerkennung und Wiedergutmachung und die Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung. 

Haben die Opfer Gerechtigkeit erfahren?

Nancy Couturier wurde in ihrer Kindheit vergewaltigt und war die erste Person, die von der Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung betreut wurde. Sie sagt: 

"Wir fordern Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit des Geldes. Die Ziviljustiz gilt nicht mehr. Anerkennung: Dass man uns wirklich ernst nimmt. Dass man bei all diesen Opfern anerkennt, was sie erlitten haben. Und was sie immer noch erleiden, seelisch, moralisch."

Gedemütigt durch den Entschädigungsvorschlag der Kommission, beschließt sie, einen Verein zu gründen, um anderen Opfern zu helfen, ihre Rechte geltend zu machen. Sie ist nicht die einzige, die wütend ist. Einige wurden nur per Post über den Vorschlag informiert: 

"Man liest den Brief: Die Opfer, die Pfarrer sind bekannt, alle Auswirkungen auf ihr Leben sind bekannt. Und dann: 37.000 Euro. Das ist ungeheuerlich, 37.000 Euro", meint Nancy Couturier. "Um 60.000 [Euro] zu bekommen, muss man bettlägerig sein oder so, ich weiß nicht... das ist zum Kotzen, das ist nicht normal!"

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Missbrauchsopfer Nancy Couturiereuronews

60.000 Euro ist die Entschädigungs-Obergrenze. Für Maître Jean Sannier, den Anwalt des Vereins, ist das nicht genug. Seiner Meinung nach muss die Höhe der Entschädigung in Relation zu den begangenen Straftaten gesetzt werden: 

"Das ist nicht mehr als der Betrag, den ich vor dem Gericht in Saint-Etienne für einen Priester bekommen habe, der einem Jungen an den Hintern gefasst hat." Ausgaben für die Behandlung der Opfer würden von den Kommissionen nicht berücksichtigt: "Wenn man mehr als 60.000 Euro für Therapiekosten ausgegeben hat, bekommt man keine Entschädigung."

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Maître Jean Sanniereuronews

Damit werde der Geldbeutel der Kirche geschützt.  

Der Vorsitzende der Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung, Antoine Garapon, ist der Ansicht, dass kein Geld der Welt die Opfer entschädigen kann: 

"Es wäre unehrlich, [...] eine vollständige Wiedergutmachung in Aussicht zu stellen, die sie nie erhalten werden, weil es diese Wiedergutmachung einfach nicht gibt." 

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Der Vorsitzende der Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung Antoine Garaponeuronews

Eine weitere Sorge für diese Instanzen ist das Schweigen der Opfer. Bis heute haben weniger als 1 % der 200.000 noch lebenden Betroffenen eine Wiedergutmachung beantragt.

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