Zwischen Demokratisierung und Machtsicherung: Kasachstan wählt

Eine Frau in kasachischer Nationaltracht gibt am Sonntag, den 19. März 2023, in einem Wahllokal in der kasachischen Hauptstadt Astana ihre Stimme ab
Eine Frau in kasachischer Nationaltracht gibt am Sonntag, den 19. März 2023, in einem Wahllokal in der kasachischen Hauptstadt Astana ihre Stimme ab Copyright Ilyas Omarov/Copyright 2023 The AP. All rights reserved.
Von Hannah Wagner, dpa
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Ein Jahr nach brutal niedergeschlagenen Protesten will Kasachstans Präsident Tokajew bei vorgezogenen Parlamentswahlen demokratischen Fortschritt beweisen. Kritiker kaufen ihm das nicht ab. Und auch ein Loslösen der Ex-Sowjetrepublik von Russland ist für sie Wunschdenken.

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Die Spuren der großen Unruhen mit vielen Toten vor mehr als einem Jahr sind in Almaty im Süden der zentralasiatischen Republik Kasachstan noch immer sichtbar. Die damals erheblich beschädigte Stadtverwaltung ist weiter mit dichten Bauzäunen umstellt, Arbeiter reparieren gerade die Fassade. In den umliegenden Straßen hängen überall Plakate für die Parlamentswahlen, zu denen am Sonntag rund zwölf Millionen Bürger aufgerufen waren. Nach all dem Schrecken versprechen die Plakate bessere Zeiten, mehr soziale Gerechtigkeit und finanzielle Absicherung.

Kasachstans oft als autoritär kritisierter Präsident Kassym-Schomart Tokajew hat die Abstimmung für das erst vor gut zwei Jahren gewählte Nationalparlament «Maschilis» vorverlegen lassen. Auch Regional- und Kommunalvertretungen des einst sowjetischen Landes an der Grenze zu Russland und China werden nun neu zusammengesetzt. Es ist eine von zahlreichen Reaktionen des Staatschefs auf die Proteste im Januar 2022. Diese hatten ursprünglich als regierungskritische Unmutsbekundungen gegen gestiegene Gaspreise begonnen und schlugen dann in einen Machtkampf zwischen Eliten im Staat um.

Tokajew nutzte die Unruhen damals, um seinen bis dahin noch immer äußerst einflussreichen Vorgänger und einstigen Ziehvater, den Ex-Langzeitpräsidenten Nursultan Nasarbajew, zu entmachen. Auch mithilfe verbündeter russischer Truppen ließ Tokajew die Proteste gewaltvoll niederschlagen. Mehr als 200 Menschen wurden getötet, darunter viele Zivilisten.

Später setzte Tokajew eine Verfassungsänderung durch, leitete Reformen ein und entfernte Nasarbajew-Vertraute aus dem Machtapparat. Selbst die nach Nasarbajew benannte Hauptstadt ist mittlerweile wieder zurückbenannt von Nur-Sultan in Astana. Im vergangenen November ließ sich der 69 Jahre alte Staatschef bei einer ebenfalls vorgezogenen Präsidentenwahl im Amt bestätigen - und setzte dann die Neuwahl für die Parlamente an.

Offiziell will Tokajew seinen Landsleuten nun ein «neues Kasachstan» mit mehr Teilhabe und größerer politischer Auswahl bieten. So wurden für diese Wahl zwei neue Parteien registriert und mehrere unabhängige Kandidaten zugelassen. Außerdem werden erstmals alle 98 Abgeordneten direkt vom Volk gewählt. Internationale Wahlbeobachter loben darüber hinaus das Herabsenken der Hürde für den Einzug einer Partei ins Unterhaus von sieben auf fünf Prozent. Zugleich kritisieren sie mangelnde Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit in dem Land mit seinen 19 Millionen Einwohnern.

In den Augen unabhängiger kasachischer Experten wiederum dienen die neuen Abstimmungsregelungen in erster Linie Tokajews Machterhalt und -legitimation. Der Politologe Dimasch Alschanow etwa spricht von Augenwischerei: «Diese Änderungen erschaffen die Illusion, dass angeblich ganz viele Leute um die Sitze im Parlament kämpfen», sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. In Wirklichkeit aber verhielten sich neben der Regierungspartei «Amanat» auch die anderen sechs Parteien weitgehend loyal zu Tokajew. Ernstzunehmende Oppositionelle seien kaum zugelassen worden.

«Diese Wahlen kann man als Versuch bezeichnen, eine überzeugendere Imitation von Konkurrenz herzustellen», sagt Alschanow. Viele Bürger verstünden das auch, aber nach Tokajews brutalem Handeln im letzten Jahr sei an größeren öffentlichen Gegenwind derzeit kaum zu denken. «Die Gesellschaft hat einen ziemlich heftigen Schock erlitten», sagt Alschanow.

Die Juristin und Bürgerrechtlerin Ajna Schormanbajewa fordert: «Wir brauchen eine internationale Aufklärung der Proteste.» Es könne keine Gerechtigkeit geben, solange die Tötung so vieler Menschen durch den eigenen Staatsapparat nicht aufgeklärt sei.

Ebenso wenig wie einen echten Reformprozess halten Schormanbajewa und Alschanow unter ihrem derzeitigen Präsidenten eine Loslösung vom großen Nachbarn Russland für realistisch - auch wenn Tokajew im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine eine bemerkenswert distanzierte Haltung gegenüber Moskau einnimmt. So sorgte er beispielsweise im vergangenen Sommer international für einiges Aufsehen, als er bei einem Besuch in Moskau Kremlchef Wladimir Putin ins Gesicht sagte, dass er die mittlerweile völkerrechtswidrig annektierten Gebiete Luhansk und Donezk weiter als ukrainisch anerkenne.

Solche Auftritte bedeuteten aber keinesfalls eine Abkehr vom wichtigen Bündnispartner Russland, sondern vielmehr sei es der schlichte Versuch, westlichen Sanktionen aus dem Weg zu gehen, sagt Schormanbajewa. «Kasachstan sitzt eben zwischen vielen Stühlen.»

Der Politologe Alschanow wiederum verweist darauf, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland viel größer sei als etwa von Deutschland, für das Kasachstan wichtigster Partner in Zentralasien ist. Selbst das Öl, das Kasachstan nun an Deutschland liefere, fließe durch russisches Staatsgebiet. Für eine Änderung dieser Verhältnisse müsste der Westen alternative Handelswege und Transportrouten ausarbeiten, so der Experte.

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