"Große Entgiftung" der EU: Verbot von bis zu 12.000 potenziell gefährlichen Chemikalien

Ein Blick auf das Chemiewerk von Evonik in Wesseling bei Köln, Deutschland.
Ein Blick auf das Chemiewerk von Evonik in Wesseling bei Köln, Deutschland. Copyright AP Photo/Martin Meissner
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Von Rosie Frost
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Chemieunternehmen kreieren alle 1,4 Sekunden neue Stoffe und nutzen Schlupflöcher, um Vorschriften zu umgehen. Kann ein neues EU-Verbot sie aufhalten?

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Tausende potenziell giftige oder schädliche Chemikalien, die immer noch in Kosmetika, Spielzeug und sogar in Babyprodukten verwendet werden, könnten in Europa bald durch neue Vorschriften verboten werden.

Nach Angaben von Industrieverbänden könnten bis zu 12.000 verschiedene Chemikalien, die in 74 Prozent der Verbraucher- oder gewerblichen Produkte enthalten sind, unter diese Beschränkungen fallen. Nach Angaben des Europäischen Umweltbüros (EEB) handelt es sich um das "größte jemals erlassene Verbot" von giftigen Chemikalien.

Tatiana Santos, Leiterin der Chemikalienpolitik des EEB, sagt, dass die heutige Ankündigung der Europäischen Kommission "ein neues Kapitel" im Kampf gegen die wachsende Bedrohung durch diese schädlichen Stoffe aufschlägt.

"Die 'große Entgiftung' verspricht, die Sicherheit fast aller hergestellten Produkte zu verbessern und die Chemikalienintensität in unseren Schulen, Wohnungen und an unseren Arbeitsplätzen rasch zu senken", sagt sie.

Der am Montag veröffentlichte "Fahrplan für Beschränkungen" wird bestehende Gesetze nutzen, um Stoffe zu verbieten, die mit Krebs, Unfruchtbarkeit, verminderter Wirksamkeit von Impfstoffen und anderen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht werden.

Der Fahrplan für Beschränkungen

Der Plan konzentriert sich auf Chemikalien-Kategorien wie Flammschutzmittel, PVC-Kunststoffe und Bisphenole, die zur Herstellung von Hartplastik für Gegenstände wie Wasserflaschen verwendet werden. Er wird auch PFAs umfassen, die wegen ihrer unglaublich langen Abbauphase in der Umwelt als "Ewigkeitschemikalien" bezeichnet werden.

Diese fortlaufende Liste von Stoffen, die Beschränkungen unterliegen, wird von der Europäischen Chemikalienagentur regelmäßig überprüft.

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Einige dieser potenziell schädlichen Stoffe können in Babyprodukten wie Windeln enthalten sein.Pexels

Chemische Verschmutzung hat eine "planetarische Grenze" überschritten

Die chemische Verschmutzung hat bereits eine "planetarische Grenze" überschritten, erklärten Wissenschaftler Anfang dieses Jahres. Das Überschreiten dieser Grenze könnte zum Zusammenbruch der Ökosysteme führen und das zukünftige Überleben der Menschheit bedrohen.

Ein UN-Bericht vom letzten Monat stellte ebenfalls fest, dass die chemische Verschmutzung mehr Todesfälle verursachen könnte als COVID-19. Die Autoren des Berichts forderten "sofortige und ehrgeizige Maßnahmen", um einige dieser giftigen Stoffe zu verbieten.

"Gemessen am Volumen sind drei Viertel der in Europa hergestellten Chemikalien gefährlich."

In der EU werden schätzungsweise 200.000 Chemikalien verwendet, wobei sich der weltweite Absatz zwischen 2000 und 2017 mehr als verdoppelt hat. Gemessen an der Menge sind drei Viertel der in Europa hergestellten Chemikalien gefährlich.

Diese Bedrohung bleibt nicht unbemerkt: 84 Prozent der Europäer sind besorgt über die gesundheitlichen Auswirkungen von Chemikalien und 90 Prozent über deren Auswirkungen auf die Umwelt, wie eine offizielle Umfrage der Europäischen Kommission ergab.

Die Industrie entwickelt etwa alle 1,4 Sekunden eine neue Chemikalie, für die EU ist es schwierig, mit der Regulierung der einzelnen Chemikalien Schritt zu halten. In den vergangenen 13 Jahren wurden in der EU rund 2.000 Stoffe verboten, mehr als in jeder anderen Region der Welt.

Diese Beschränkungen gelten jedoch nur für sehr wenige Produkte wie Kosmetika und Spielzeug.

Der neue Fahrplan sieht vor, dass sich die gesetzlichen Beschränkungen nach dem gefährlichsten Mitglied der chemischen Familie richten. Das EEB geht davon aus, dass dies dazu beitragen wird, die Praxis der Industrie zu beenden, chemische Formeln leicht zu verändern, um Verbote zu umgehen, und schätzt, dass bis 2030 zwischen 4.000 und 7.000 verschiedene Stoffe verboten werden könnten.

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