Documenta 15 geht zu Ende – jetzt beginnt die Aufarbeitung

Ausschnitt aus einem Protestposter auf der Documenta
Ausschnitt aus einem Protestposter auf der Documenta Copyright Philip Artelt
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Das Kunstevent von Weltrang findet alle fünf Jahre statt. Größen wie Ai Weiwei und Joseph Beuys haben hier Kunstgeschichte geschrieben. Doch das diesjährige Festival stellt alles in den Schatten. Ein Antisemitismuseklat, Chaos bei den Organisatoren, die Vorwürfe reißen nicht ab.

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In Kassel geht an diesem Sonntag die Documenta zu Ende. 100 Tage lang war die Kunstausstellung, die eher Festivalcharakter hat und eines der wichtigsten Kunstevents weltweit ist, in Kassel zu sehen.

Die 15. Ausgabe der Documenta war eine der umstrittensten. Ein großes Novum: Es gab keine Kuratorin und keinen Kurator, stattdessen wurde die Aufgabe an ein Künstlerkollektiv vergeben. Das Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien stand schon vor der Eröffnung der Dokumenta in der Kritik. Seinen Mitgliedern wurde eine Nähe zur umstrittenen Organisation BDS vorgeworfen, die zum Boykott israelischer Produkte aufruft.

Die Kritik riss nicht ab, vor allem, nachdem kurz nach der Eröffnung der Ausstellung auf einem Banner groteske judenfeindliche Karikaturen entdeckt wurden. Es folgte ein großer Medienrummel, die Dokumenta hatte ihren waschechten Skandal.

Weitere Werke wurden gefunden und kritisiert, das große Banner wurde abgebaut. Es entspann sich eine Diskussion über künstlerische Freiheit,den Unterschied zwischen Israelkritik und Antisemitismus, kulturelle Unterschiede und deutsche Besonderheiten. Die Gesellschafter der Documenta – nicht die Kuratoren – beriefen ein Expertengremium, um die Situation aufzuarbeiten.

Verworrene Strukturen

Ruangrupa, das Künstlerkollektiv, nannte das Gremium im Kunstmagazin Monopol einen "verlängerten Arm der Politik". Die Reaktion des Kollektivs auf die mannigfaltigen Vorwürfe beschreiben Beobachter als unprofessionell. Statt sich der Kritik zu stellen, hätten sich die Künstler weggeduckt oder provoziert. Verantwortlichkeiten seien in der Kollektivstruktur untergegangen. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär, spricht von "verworrenen Strukturen" bei den Organisatoren der Documenta. Ihre Fraktion fordert die Rückzahlung der Bundesmittel, die für die Ausstellung geflossen waren. 

Die Documenta hat schon mehrere Skandale erlebt und überlebt. Der diesjährige ist wohl der bisher größte Eklat, mit dem die Ausstellung, die Stadt Kassel und die Politik zu kämpfen haben. Die Vorwürfe werden jetzt hoffentlich aufgearbeitet und es werden Lehren daraus gezogen. Die Besucher haben jedenfalls ein historisches Event erlebt, das in die Kunstgeschichte eingehen wird. Spannend wird sein, wie wir in 20 Jahren auf die diesjährige Documenta zurückblicken werden.

...aber es war dennoch schön

Für die mehr als 700.000 Besucher gab es abseits der Kontroversen jedenfalls viel Interessantes zu sehen. Ein völlig neues Konzept, das gesellschaftliche Debatte über den klassischen Kunstbegriff stellt. Die "Werke" wirkten oft entsprechend improvisiert, eine Ausstellung, die sich ständig in Transformation befand und stark auf Teilnahme und Teilhabe setzte. Für viele, selbst für manche Künstlerin, stellte sich da die Frage: "Ist das überhaupt noch Kunst?"

Doch auch klassische bildende Kunst hatte ihren Platz. Stimmungsvolle Installationen im Keller eines großen Industriegebäudes am Stadtrand, kreativ bespielte Kirchen (deren Freizügigkeit den Künstlern gegenüber ebenfalls kritische Stimmen heraufbeschwor), Musik und alternatives Leben und ein plüschiger Riesenhund, der seinen letzten Auftritt hatte. Die Documenta 15 war auch ein Labor, in der die Frage nach der Zukunft der Kunst erforscht wurde. Darin ist sie nur konsequent, denn das hat sie bereits in der Vergangenheit wieder und wieder gemacht.

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