Obdachlosigkeit in Europa: Können modulare Häuser helfen, Menschen von der Straße zu holen?

Modulare Wohneinheiten in Cambridge, die von der Obdachlosen-Wohltätigkeitsorganisation Jimmy's betrieben werden
Modulare Wohneinheiten in Cambridge, die von der Obdachlosen-Wohltätigkeitsorganisation Jimmy's betrieben werden Copyright Jimmy's Cambridge
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Von Anca Ulea
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Wie ein erfolgreiches Beispiel aus Cambridge in England zeigt, können Modulhäuser bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit helfen. Aber: sie sind nicht die komplette Lösung.

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Die Obdachlosigkeit in Europa nimmt seit Jahren zu.

Obwohl genaue Zahlen schwer zu bekommen sind - da die Länder unterschiedliche Definitionen von Obdachlosigkeit haben und nicht jedes Land darüber Buch führt, wie viele Menschen unter ihre eigene Definition fallen - hat die EU-Kommission festgestellt, dass die Zahl der Menschen, die auf der Straße schlafen, in fast allen Mitgliedstaaten steigt.

Finnland ist eine der wenigen Ausnahmen - in dem nordischen Land ist die Zahl der Obdachlosen seit 2008 zurückgegangen, als das Land begann, sich auf eine Housing-First-Strategie zu konzentrieren. Housing First basiert auf dem Grundsatz, dass es für eine Person einfacher ist, ihr Leben weiterzuführen, wenn sie eine dauerhafte und sichere Wohnung hat.

Langfristig spart diese Art von Ansatz den Regierungen zwar nachweislich Geld, aber die Vorlaufkosten sind hoch, was viele Länder bisher davon abgehalten hat, Finnlands Beispiel zu folgen.

Eine Zwischenlösung bietet der modulare Wohnungsbau, der als Sprungbrett auf dem Weg zu einer Wohnungsunabhängigkeit gilt.

Was sind modulare Häuser?

Modulare Häuser sind maßgefertigte Wohneinheiten, die für eine vorübergehende Nutzung konzipiert sind. Sie können versetzt und an verschiedenen Orten installiert und im Allgemeinen zu geringen Kosten oder gar mietfrei genutzt werden.

Kurzum, sie bieten eine kostengünstige, qualitativ hochwertige Wohnlösung für Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, aber auch vorübergehende Unterkunft für Opfer von Naturkatastrophen oder für Flüchtlinge.

Sie sind deutlich billiger als neue, erschwingliche Wohnungen - modulare Häuser kosten in der Regel 15-20 Prozent weniger als herkömmliche, in Ständerbauweise errichtete Häuser. Modulare Wohngemeinschaften werden oft von Hilfsdiensten begleitet, die ehemals obdachlosen Menschen helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

In Cambridge, Großbritannien, wurde 2020 die erste Gemeinschaft von Modulhäusern von der Wohltätigkeitsorganisation Jimmy's Cambridge in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Organisation Allia Future Homes und der ethischen Bauorganisation New Meaning Foundation eingerichtet.

Laut Lewis Herbert, Geschäftsführer von Allia Future Homes, wurden die Häuser von Architekten mit dem Ziel entworfen, den Bedürfnissen von Obdachlosen gerecht zu werden. Dabei wurden Erkenntnisse von Wohlfahrtsverbänden und Menschen, die selbst von Obdachlosigkeit betroffen waren, berücksichtigt.

"[Die Bewohner:innen der modularen Häuser] haben nicht viele Besitztümer und brauchen etwas, das einfach zu handhaben ist", so Herbert gegenüber Euronews Culture. "Im Wesentlichen benötigten wir also ein sehr einfaches und ziemlich kompaktes Design mit einem Wohnzimmer, einer Küche in der Ecke, einem Duschbad in der Mitte und einem Schlafzimmer für eine Person im hinteren Teil.

"Modulare Häuser sind für Leute da, die nicht für immer dort bleiben werden. Sie sind vielmehr ein Sprungbrett nach vorn für Leute, die vorher zwischen Wohnheimen und der Straße hin und her gependelt sind."

Jede Einheit ist 25 m2 groß und verfügt über eine kleine Veranda und einen Garten. Pro Gemeinschaft gibt es im Allgemeinen nicht mehr als 6 Einheiten.

Wie helfen modulare Häuser den Bewohner:innen?

Eine neue Studie des Zentrums für Wohnungs- und Planungsforschung der Universität Cambridge und Jimmy's hat ergeben, dass modulare Häuser vielen, wenn auch nicht allen Obdachlosen helfen können, eine dauerhafte Wohnlösung zu finden.

"Die Studie kommt zu dem Schluss, dass modulare Häuser eine innovative Lösung für das Problem der Obdachlosigkeit darstellen und den Bewohnern zu positiven Ergebnissen verholfen haben”, wie es abschließend heißt.

Zugleich legt sie jedoch auch nahe, dass die Unterbringung allein das Problem nicht lösen kann und dass der Einsatz modularer Lösungen als vorübergehende Unterkunft zur Vorbereitung auf ein unabhängiges Leben am besten funktioniert, wenn das Wohnungsangebot mit Unterstützung kombiniert wird.

Einige der Aussagen von Bewohner:innen zeigten, dass der eigene Raum ihnen half, das Selbstvertrauen zu finden, um etwa ihre Sucht zu bekämpfen und wieder Kontakt zu Familienmitgliedern aufzunehmen, von denen sie sich entfremdet hatten.

"Es ist eine langsame Erholung", sagte Mark Allan, Geschäftsführer von Jimmy's, gegenüber Euronews Culture. "Aber wenn man mit seiner Familie sprechen kann, wenn man mit dem Trinken aufhören kann, wenn man wieder an Arbeit denken kann und eine Beschäftigung findet, dann ist das ein großer Schritt nach vorn."

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Das modulare Haus unterscheidet sich von den anderen Unterkünften, die Jimmy's anbietet, durch die damit verbundene Privatsphäre, die nach Allans Ansicht für die Genesung entscheidend ist.

"Es gibt dem Menschen seinen eigenen Raum und seine eigene Eingangstür, so dass er nach Hause gehen, die Tür schließen und für sich sein kann", sagt Allan. "Das ist sehr wichtig für jemanden, der sich in einem Heilungsprozess und in der Ablösung von dem befindet, was ihn überhaupt erst in die Obdachlosigkeit geführt hat (...), weil er einen Raum für sich allein haben kann." Einer der Bewohner:innen sagte den Forschern denn auch: "Die Privatsphäre ist toll. Man kann tun, was man will. Manchmal ist es schwer, sich mit anderen Menschen zu beschäftigen, und man muss für sich selbst sein, und hier kann man es”.

"Viele Herausforderungen liegen noch vor uns"

Während der COVID-19-Pandemie hatte sich die britische Regierung das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Obdachlosigkeit im Land bis 2024 zu beenden, aber die steigenden Lebenshaltungskosten haben im letzten Jahr stattdessen zu einem erneuten Anstieg der Obdachlosigkeit geführt.

Einige der negativen Punkte, die von den Bewohner:innen von Jimmy's Modular Homes genannt wurden, betreffen ihre Schwierigkeiten beim Zugang zu Hilfsdiensten für psychische Gesundheit und Suchtbekämpfung.

"Lange Wartezeiten für psychosoziale Betreuung sowie Drogen- und Alkoholhilfe wurden von einigen Bewohnern als Hindernis für die Verbesserung ihrer Gesundheit genannt", heißt es in der Studie.

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Alle für die Cambridge-Studie befragten Bewohner:innen gaben an, dass es nach wie vor schwierig sei, einen Arbeitsplatz zu finden, auch wenn es hilfreich sei, eine Adresse zu haben.

Allan fügt hinzu, dass modulare Häuser zwar eine großartige Zwischenlösung seien, um Menschen von der Straße zu holen, dass sie aber nicht das Problem der Bereitstellung von erschwinglichen Langzeitwohnungen lösten.

"Es ist gut, dass es diese als erschwingliche Zwischenlösung gibt. Aber als dauerhafte Lösung sind sie nicht ausreichend. Und genau das ist das Problem. Es werden nicht genug erschwingliche Wohnungen gebaut."

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