Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Der verhasste Gast

Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Der verhasste Gast
Von Euronews
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Der Syrer Bassam Alhamadow hat sich in der Türkei eine neue Existenz aufgebaut. “Als ich zum ersten Mal ins Land kam, waren dort 400.000 Flüchtlinge. Am Anfang wollten wir Syrer kein türkisches Brot essen. Unser Brot ist syrisch. Deshalb habe ich diese Bäckerei hier eröffnet. Unsere Backwaren kommen an. Die Syrer sind nun glücklicher, denn sie können ihr Brot jetzt auch in der Türkei kaufen,” meint Alhamadow.

In seinem früheren Leben war Bassam Alhamdow Unterstaatssekretär bei der syrischen Zollbehörde. Als er vor der Assad-Regierung flüchtete, fiel er in die Hände der militanten Dschihadistengruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante. Mitglieder der ISIL hielten ihn fünf Monate lang gefangen. Danach ließ er sich im türkischen Gaziantep nieder und sattelte beruflich um. Alhamadow gerät ins Grübeln, wenn er an seine Zeit in Syrien denkt. “Meine Situation in Syrien war – wie die vieler anderer Syrer – besser als hier. Dort war ich Unterstaatssekretär. Nun essen mehr als 100.000 Flüchtlinge in den Lagern das Brot aus unserer Bäckerei.”

Im Süden der Türkei spitzt sich das Flüchtlingsdrama zu. Behörden haben Probleme, mit dem Flüchtlingsansturm fertig zu werden. In Gaziantep hat nicht jeder so viel Glück wie der neue Bäcker der Stadt. Viele Flüchtlinge leben in zerfallenen Bruchbuden, schlafen in Parks und halten sich mit Betteln über Wasser. Wie Fatima Askys, sie kam vor einem Jahr mit ihren Kindern in die türkische Grenzstadt. “Unsere Lage ist schlecht,” klagt Askys. “In Syrien ging es uns besser. Aber als uns die Assad-Soldaten bombardierten, konnten wir nicht länger bleiben. Sehen Sie nur, wie wir hier hausen… “

Die offizielle Zahl syrischer Flüchtlinge in der Türkei liegt bei weit über einer Million. Schätzungsweise ein Drittel von ihnen lebt allein in Gaziantep. Eine große Herausforderung für eine Stadt, die 1,8 Millionen Einwohner zählt.

In zehn Städten gibt es 22 Flüchtlingslager. 50km von Gaziantep entfernt liegt das Lager von Nizip, wo 11.000 Flüchtlinge untergekommen sind. Grundbedürfnisse wie Bildung und Gesundheitsversorgung werden sicher gestellt.

Mit humanitärer Hilfe stehen die Europäische Union und ihre Partnerorganisationen den Syrern zur Seite. In Nizip profitieren davon jeden Tag etwa 250 Flüchtlinge:

Rasha Saleh arbeitet bei einer dänischen Hilfsorganisation. Sie sagt, “wir verteilen alles, was die Menschen in ihren Häusern benötigen: Decken, Matratzen und Kissen. Derzeit bringen wir auch Küchenutensilien, Bettzubehör und Hygieneartikel unter die Menschen. Es gibt ebenfalls Decken für Kinder.”

Die zahlreichen Flüchtlinge haben das Stadtbild verändert. Einige Hausbesitzer stellen Behelfscontainer auf ihre Dächer, um sie an Syrer zu vermieten. Es wird immer schwieriger, eine Mietswohnung zu finden. Die Lage auf dem Immobielenmarkt hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt, meint Makler Izzet Altindogan. “Die Miet- und Kaufpreise für Häuser und Wohnungen sind stark angestiegen – teilweise um 70%. Selbst Beamte und Menschen aus dem Umfeld der Regierung finden keine Wohnung, wenn sie hier ankommen.”

Die meisten Gemeinden traf der Flüchtlingsansturm unvorbereitet. Viele schaffen es nicht, die Syrer mit dem Nötigsten zu versorgen. Örtliche und internationale Organisationen versuchen, in die Bresche zu springen.

Ein Tropfen auf den heißem Stein angesichts der humanitären Tragödie, die sich in den Grenzstädten abspielt. Die Lager schaffen es nicht, alle Bedürftigen aufzunehmen, deswegen zieht es viele Syrer weit weg in unterschiedliche Landesteile.

Doch der wachsende Flüchtlingsstrom führt zu Spannungen in der Türkei. Wütende junge Türken machen ihrem Unmut im Internet Luft und organisieren Proteste über Facebook, Twitter und Co. Diese wollen die örtlichen Behörden aus Angst vor Ausschreitungen verhindern.

Wie mit dem Flüchtlingsstrom umgehen? Diese Frage spaltet die politischen Parteien und die Menschen auf der Straße. Die Stimmung ist gedämpft, seitdem den Menschen klar wurde, dass die syrischen Flüchtlinge vermutlich für immer bleiben. Niemand spricht mehr von Gästen. Es gibt Übergriffe auf Arabisch sprechende Menschen in Bussen und auf den Straßen oder auf Autos mit syrischen Kennzeichen.

Um die Situation zu entschärfen, fordern viele Menschen eine Aufklärungskampagne der Regierung.

Nahostexpertin Bezen Coskun befürchtet, “geht es so weiter, werden wir Türken wahrscheinlich bald als Rassisten beschimpft. Die Ressentiments gegenüber Syrern sind ein Echo des Fremdenhasses. Der Ruf des gastfreundlichen Türken kann sich schnell wegen Rassismusvorwürfen verschlechtern . Erste Anzeichen gibt es schon.”

Die Regierung bemüht sich, alle Flüchtlinge zu registrieren, nachdem in den Städten mehr und mehr Diebstähle und Fälle von Straßenprostitution gemeldet werden.

In Gaziantep gibt es zwei neue Anlaufstellen. Dort werden bis zu 500 Syrer täglich registriert.

Die ungewisse Situation macht viele Menschen wütend, sie haben Angst vor einer Eskalation. Viele glauben, dass sie sich auch auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl auswirkt. Die regierungstreue Bürgermeisterin Fatma Sahin von Gaziantep meint jedoch, alle nötigen Schritte würden bereits unternommen: “Die Arbeitsmarktgesetze müssen reformiert werden. Unsere türkischen Ladenbesitzer und Händler müssen geschützt werden. Die Regierung arbeitet derzeit an neuen Immigrationsgesetzen. Das Kabinett wird das letzte Wort haben. Wir haben auch ein neues Flüchtlingslager in Auftrag gegeben. Es wird in der Stadt Islahiye entstehen.”

Bislang hat die Türkei mehrere Milliarden Euro für die Flüchtlinge ausgegeben. Die Unruhen im Nahen Osten haben die türkischen Exporte beeinträchtigt. Doch die größte Sorge in der Türkei ist die vor einer neuen Flüchtlingswelle aus einem anderen Krisenland, wie dem Irak.

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