S. Biscop: Bedrohung durch Russland nicht überbewerten!

S. Biscop: Bedrohung durch Russland nicht überbewerten!
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Sicherheitsexperte Biscop über die Bedrohung durch Russland, das heute Verhältnis Europa-USA und Cyerangriffe

Muss sich Europa wirklich vor Russland sorgen? Gibt es eine reale Bedrohung – und was sind Russlands Absichten? Wir sprachen mit Sven Biscop, Politikforscher am Egmont Royal Institute for International Relations in Brüssel und Experte für europäische Sicherheit und Verteidigung.

Sophie Claudet, euronews:
“Sind die Sorgen vor russischem Expansionismus Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?”

Sven Biscop:
“Ich denke, wir sollten das nicht überbewerten. Schauen Sie, die 28 EU-Mitgliedsstaaten haben allein 1,5 Millionen Menschen in Uniform. Das ist doppelt so viel wie die russischen Streitkräfte. Gut, es sind nicht eineinhalb Millionen kampfbereite Soldaten, aber das sind die 750.000 Russen auch nicht. Ich denke also nicht, dass wir militärisch bedroht sind.”

euronews:
“Wie sieht es mit einem Cyberkrieg aus? Russland wurde vorgehalten, dass es sich in Wahlen eingemischt habe. Meinen Sie, dass die Nato-Staaten sich besser wappnen sollten, um gegen diese Cyber-Bedrohung anzukämpfen?”

Sven Biscop:
“Das ist etwas, das alle Staaten Europas angehen müssen. Einfach, indem sie ihre jeweilige Öffentlichkeit überzeugen, dass nichts in der russischen Darstellung attraktiver sein kann als das, was die Leute von ihrem eigenen Staat bekommen können, und davon, zur Europäischen Union zu gehören. Und dann können die Russen noch so viele Storys im Internet verbreiten, Fake News etc. – denen wird dann einfach keine Beachtung geschenkt, weil es keine gangbare Alternative zu dem wäre, was die Leute als Mitglied der EU haben.”

euronews:
“Meinen Sie, dass Russland die Mittel hat, die Technologie, um zum Beispiel europäische Militärsysteme zu hacken?”

Sven Biscop:
“Dies sind meiner Ansicht nach sehr billige und weitverbreitete Technologien, und das ist eins der Probleme. Die Liste potenzieller Ziele ist unbegrenzt. Es ist bedenkliche Infrastruktur, und das meiste befindet sich in privaten Händen. Deshalb ist es sehr einfach, viel Unfug damit anzurichten. Andererseits sollten wir uns die Frage stellen, welche Interessen und Absichten die Russen haben. Es ist ja nicht so, dass jemand, nur weil er die Fähigkeit hat, etwas zu tun, dies dann auch tun wird.”

euronews:
“Was sind Ihrer Meinung nach Russlands Absichten?”

Sven Biscop:
“Ich habe das Gefühl, dass Russlands Kernziel ist, seine Einflusssphäre in den früheren Staaten der Sowjetunion wiederherzustellen. Es hat keine Pläne gegen die Europäische Union als solche. Russland möchte nur die Europäische Union und die Nato schwächen, damit es freie Hand in Ländern wie der Ukraine haben kann. Deshalb sehe ich keine direkte Bedrohung für die EU. Aber natürlich, wenn wir in Europa oder in der Nato uns selbst spalten, dann würden die Russen, opportunistisch wie sie sind, wahrscheinlich nicht zögern, in das Vakuum, das wir hinterlassen, vorzustoßen.”

euronews:
“Herr Trump hat es in der vergangenen Woche unterlassen, klar die Zusage der Nato zur gegenseitigen Verteidigung zu bekräftigen. “

Sven Biscop:
“Das geht über Trump hinaus, aus zwei Gründen. Erstens gibt es jetzt in den USA eine neue Elite, die nicht unbedingt europäischer Herkunft ist und deshalb auch nicht zwangsläufig zuerst auf Europa blickt. Viele amerikanische Entscheidungsträger blicken heute zuerst nach China und Asien.

Zweitens sind wir nicht länger im Kalten Krieg, in dem europäische und amerikanische Interessen fast automatisch im Einklang standen. Wir leben in einer multipolaren Welt mit verschiedenen Großmächten. Sie kooperieren mal, mal konkurrieren sie. Und so sind unsere Interessen nicht unbedingt dieselben wie die der Amerikaner. Sehen Sie sich nur an, wie die USA ganz anders als Europa auf China blicken. Das heißt nicht, dass wir kein starkes Bündnis aufrechterhalten können. Aber es bedeutet, dass wir flexibler sein müssen, und dass wir Europäer für uns selbst definieren müssen, was unsere Interessen und unsere Prioritäten sind, und diese dann befolgen. Wenn nötig, auch ganz allein.”

Sven Biscop: “To deal with US, we must put Europe first. Not as opposed to US, but to myopic national views.” https://t.co/UTbPWwUwrZ

— European Federalists (@federalists) May 29, 2017

euronews:
“Heißt das, dass sich jetzt endlich die europäische Verteidigung formt – und wie?”

Sven Biscop:
“Sie sollte sich jetzt formen, denn wir haben zwanzig Jahre darüber geredet. Wenn das jetzt geschieht, dann wird es das Ergebnis einer französisch-deutschen Verteidigungsachse sein. Frankreich und Deutschland zusammen können permanente Kooperationsstrukturen aktivieren, den Mechanismus im Lissabon-Vertrag, der erlaubt, dass eine Kerngruppe von Mitgliedsstaaten ihre Verteidigungsanstrengungen zusammenschließt, einen großen Sprung vorwärts macht und die Fähigkeit schafft, dass Europa wenn nötig autonom eine Krise meistern kann.”

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Sorge vor Russland: Schweden rüstet sich

Bleibt Polens Verteidigung fit für die NATO?

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?