Expertengespräch: Europa fehlt es an einer Zukunftsvision bei der Einwanderungspolitik

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Euronews spricht mit Yves Pascouau, einem Experten für Migrationsforschung.

Euronews' Sophie Claudet im Gespräch mit Yves Pascouau. Er forscht an der Universität Nantes arbeitet im Bereich der europäischen Migrationsforschung für das Institut Jacques Delors.

Keine langfristige Zukunftsvision für die Einwanderungspolitik in Europa

Sophie Claudet, Euronews: "Danke, dass Sie bei uns sind. Man kann nicht wirklich von einer harmonisierten, europäischen Einwanderungspolitik sprechen, vielleicht wegen mangelder Solidarität unter den Mitgliedsstaaten, weil es politische Differenzen gibt. Gibt eine Lösung für dieses Problem?"

Yves Pascouau: "Das grundlegende Problem liegt aus meiner Sicht darin, dass die einzelnen Staaten ihre nationale Politik auf die europäische Ebene übertragen. Es gibt keine langfristige Zukunftsvision. Heutzutage reagieren die Mitgliedsstaaten der EU auf Situationen, ohne sich selbst längerfristig zu positionieren oder sich Ziele für die kommenden 15, 20 oder 25 Jahre zu setzen, und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Diese politische Vision existiert nicht."

Sophie Claudet, Euronews: "Das Dubliner Übereinkommen wird überarbeitet. Was können wir von dieser Reform erwarten?"

Yves Pascouau: "Der nächste Europäische Rat, also das Treffen der Staats- und Regierungschef im Juni 2018 wird einige Vorgaben zur weiteren Überarbeitung des Dubliner Übereinkommens festlegen. Denn derzeit befinden wir uns in einer Blockadesituation zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zwischen einerseits den Staaten, die mehr Solidarität wollen und andererseits solchen, die sich weigern, mehr Solidarität zu gewähren. Denn das ist es ja im Grunde genommen: Was kann man tun, um die Asylsysteme in Ländern wie Griechenland und Italien, wo ein Großteil der Flüchtlinge ankommt, zu entlasten? Es gibt ernsthafte Unterschiede zwischen EU-Mitgliedstaaten und es ist im Moment nicht sicher, ob sich die Staats-und Regierungschefs auf eine Überarbeitung des Dubliner Übereinkommens einigen können."

Schutzstatus für Wirtschaftsflüchtlinge?

Sophie Claudet, Euronews: "Sprechen wir über diese Unterscheidung zwischen ökonomischen und politischen Flüchtlingen. Wie stichhaltig ist sie?"

Yves Pascouau: "Die rechtlichen Kategorien sind, was sie sind. Die Menschen, die Anspruch auf Asyl geltend machen können - oder das was man im allgemeinen "internationalen Schutz" nennt - sind Menschen, die begründeter Weise vor Verfolung fliehen. Also Menschen, die beispielsweise vor einem bewaffneten Konflikt fliehen. Sie können normalerweise von internationalem Schutz profitieren, und Asyl bekommen. Die Menschen, die nicht darunter fallen, finden sich in einer wesentlich größeren Kategorie wieder: der des guten Willens, wenn man so sagen darf. Es obliegt der Entscheidung des Staates, ob er diese Menschen aufnimmt oder nicht. Solange es keine rechtliche Grundlage gibt, die Menschen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation einen Schutzstatus einräumt, wird ihr Schutz weiterhin von der Gunst der Staaten abhängen."

Auswirkungen des Klimawandels auf die Migration sind eindeutig belegt

Sophie Claudet, Euronews: "Man kann sagen, die von einigen vorgenommene Einteilung in sichere und unsichere Herkunftsländer stößt an iher Grenzen. So wird der Irak von vielen europäischen Ländern als "sicher" eingestuft, obwohl das nicht unbedingt der Realität entspricht. Das gleiche gilt für Afghanistan, aber das ist eine andere Debatte. Lassen Sie uns abschließend über zukünftige Migrationstrends sprechen. Es wird viel über Klimaflüchtlinge gesprochen, davon gibt es schon einige. Bereitet sich Europa darauf vor? Ist uns bewusst, dass es einen Zustrom von Klimaflüchtlingen geben wird?

Yves Pascouau: "Hat sich Europa darauf geeinigt, diese Frage zu berücksichtigen, oder - wie wir auf Englisch sagen würden - zu "adressieren"? Das ist noch nicht ganz sicher. Abgesehen davon gibt es eine ganze Reihe von Berichten - einschließlich eines Berichts der Weltbank, der im März veröffentlicht wurde, die zeigen, dass, wenn nichts getan wird - sowohl in Bezug auf die Reduzierung von Treibhausgasen, als auch in Bezug auf Entwicklungspolitik - bis 2050 140 Millionen Menschen innerhalb ihres eigenen Landes vertrieben werden, egal ob in Afrika südlich der Sahara, in Südasien oder Lateinamerika. Das heißt, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Migration sind eindeutig belegt. Jetzt geht es darum, den richtigen Weg - und eine passende Antwort zu finden, die auch eine europäische Antwort sein sollte: Was machen wir mit Menschen, die wegen Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürmen gezwungen sind, umzuziehen? Und was tun wir auf der Ebene der internationalen Gemeinschaft, diese Frage zu beantworten: Haben Klimaflüchtlinge Anspruch auf einen rechtlichen Status, der sie schützt ? Und das ist meiner Meinung nach ein Thema, das noch viele Jahre auf der politischen Agenda stehen wird."

Sophie Claudet, Euronews: "Vielen Dank."

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