Sardinen gegen Hass: Wie junge Italiener ihr Land verändern

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Von Valérie Gauriat
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Wer sind die Sardinen eigentlich und was wollen sie erreichen? Euronews ist auf Spurensuche gegangen.

Sie sind keine Partei, ihr Symbol ist ein Fisch: Es sind vor allem junge Menschen, die die Straßen und Plätze in ganz Italien erobern, um Matteo Salvini, den Populismus und die Hassreden der rechten Parteien zu bekämpfen.

Zehntausende haben sich am 14. Dezember auf einem der größten Plätze Roms versammelt. Ihr Logo: die Sardine. Die Bewegung entstand Mitte November in Bologna: In der Haupstadt der Emiglia Romagna wollten junge Italiener beweisen, dass sie mehr Menschen versammeln können als der rechtpopulistische Oppositionsführer Matteo Salvini bei einer Kundgebung.

Sporttrainer Mattia Santori steht im Mittelpunkt

Der Wirtschaftswissenschaftler und Sporttrainer Mattia Santori ist einer der Mitbegründer der Sardinen-Bewegung: "Wir haben Jahrzehnte der Dunkelheit, der Angst und des Zorns erlebt. 2020 wollen wir ein neues Jahrzehnt des Lichts, der Freude und der Gemeinsamkeit beginnen. Ein Jahrzehnt des Aufbaus, der Solidarität, mit einem stärkeren sozialen Gefüge."

Der Demonstration in Rom folgten Dutzende andere Kundgebungen im ganzen Land. In nur einem Monat gingen mehr als 300.000 Menschen auf die Straße.

Oberste Sardinen-Priorität: Besetzung des öffentlichen Raums

Eine Schwarmrevolution von Sardinen wie die Gründer die Bewegung nannten. Und deren Ausgang noch ungewiss ist.

Fischhändler Nicola Rosci meint: "Man sagt, enggedrängt wie die Sardinen. Vielleicht hat die Sardinen-Bewegung dieses Bild inspiriert. Ein großer Schwarm, der sich zusammen bewegt und gemeinsam handelt. Mal sehen, wie sich alles entwickelt. Wenn eine andere Partei an die Macht kommt. Was werden die Sardinen dann machen?"

Oberste Priorität für die Sardinen ist die Besetzung des öffentlichen Raums: Eine politische Geste, aber ohne den Anspruch eine Partei zu werden.

Bibliothekar Marino Aranci sagt: "Meiner Meinung nach gehen Politiker nicht länger auf die Straße, um Menschen zu treffen. Wir sorgen dafür, dass das Volk gehört wird."

"Das Denken wird reaktiviert"

Mattia Santori vor zahlreichen Anhängern beim Großaufmarsch in Rom: _"Das Denken wird reaktiviert, die Demokratie erwacht wieder. Wir sind nicht allein, das ist erst der Anfang."

Italiener aus dem ganzen Land kamen an diesem Tag zusammen, um Werte zu verteidigen, die ihrer Meinung nach in Gefahr sind, wie zum Beispiel der Anwalt Giuliano Melini: "Wir kommen aus Urbino in Mittelitalien, der Heimat Raffaels aus der italienische Renaissance. Wir hoffen, dass diese Bewegung der Sardinen eine Renaissance der Werte bringt."

Auch Geschichtsprofessorin Donatella Schiavi war vor Ort: "Wir sind hier, um gegen ein nationalistisches, populistisches und rassistisches Abdriften, gegen den Willen zum Hass zu demonstrieren. Das ist nicht die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen wollen."

Cristina Cecchetti, Immobilienmaklerin in Civitanova, sagte: "Man kann keine Politik machen mit dem Slogan 'Italien zuerst' oder 'Ausländer raus'. Mit all diesem Hass, der wirklich die ganze Bevölkerung verändert hat. Früher hieß es immer: 'Die Italiener sind gute Menschen'. Man hat den Eindruck, dass diese Menschen verschwunden sind. Aber sie sind nicht verschwunden! Es gibt sie noch! Die guten Menschen, das sind wir!"

Sardinen kämpfen auch gegen Hass auf Facebook

Hass ist dem in Kenia geborenen Stephen Ogongo nicht fremd. Er ist der Koordiator der Sardinen-Bewegung in Rom.

Der Journalist leitet auch eine Menschenrechtsorganisation, die gegen Rassismus und Diskriminierung kämpft. Im Rahmen seiner jüngsten Kampagne musste Facebook rassistische Kommentare auf Seiten von Matteo Salvinis Lega-Anhängern entfernen.

Eine Maßnahme, die wiederum zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Ogongo in den sozialen Netzwerken der Lega-Partei führte.

"Künstlicher Hass, der erzeugt wird"

"Das ist nur eine der Botschaften, es gibt es Menge davon," so Ogongo. Seiner Meinung nach ist die Sardinen-Bewegung wichtig für die Zukunft des Landes:

"Das Wichtigste ist, den Menschen bewusst zu machen, ihnen klar zu machen, dass das Land sehr ernste Probleme hat. Dieser künstliche Hass, der erzeugt wird, die Gefahr des Populismus, des Rückfalls in den Faschismus. Die Bewegung macht auch darauf aufmerksam, dass der Mensch, die Achtung vor dem Menschen und der Menschenwürde wieder im Mittelpunkt der Politik stehen muss."

Ein Credo, das sich erst noch manifestieren muss. Die Frage ist, auf welche Art und Weise. Die Anführer der "Sardinen"-Bewegung sind vorsichtig in ihren Antworten.

Keine politische Partei

Wofür stehen eigentlich die Sardinen?" - "Das ist die schwierigste Frage", meint Mattia Santori. "Bisher haben wir versucht herauszufinden, wie viel Energie in Italien vorhanden ist. Jetzt müssen wir sehen, in welche Richtung wir sie lenken."

Die spontane Bürgerbewegung soll nach Aussage ihrer Gründer nicht zu einer politischen Partei werden. Vereint gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Unhöflichkeit - die Sardinen sind vor allem eine Geisteshaltung.

"Die Sardinen existieren nicht"

"Die Sardinen existieren nicht", sagt Santori. "Denn zu glauben, dass die Sardinen, dass Mattia Santori, dass eine Bewegung wie diese Probleme lösen kann, wäre absolut populistisch. Die Menschen müssen verstehen, dass man Politik von der Basis aus machen muss - im eigenen Leben, und dass es dazu keiner Demonstration von 'Sardinen' bedarf. "

Einen Tag nach der Demonstration versammelten sich etwa 150 "Sardinen"-Delegierte in einem Gemeindezentrum in Rom. Auf der Tagesordnung: Wege finden, um dem Wahlkampf der Lega-Partei für die Regionalwahlen im Januar in der Emilia Romagna entgegenzuwirken. Eine der wichtigsten Regionen Italiens und traditionell eine linke Hochburg. Die Abstimmung gilt als entscheidend für die politische Zukunft des Landes.

Internationale Bewegung

"Hauptziel dieses Treffens war, so schnell wie möglich auf die Straße zurückzukehren," so Santori. "Gebiete zu mobilisieren, in denen die 'Sardinen' noch nicht aktiv sind. Es ging um nichts Besonderes bei diesem Gespräch. Es haben einfach Leute zusammengearbeitet, die dem Populismus und Nationalismus im Land etwas entgegensetzen wollen - und das sehr spontan und auf eine freie Art und Weise "

Eine Zusammenarbeit, die über Italien hinausgeht. In ganz Europa gibt es Menschen, die sich über diese Welle des Populismus Sorgen machen. "Wir sind hierher gekommen, weil wir der vulgären, verächtlichen Politik müde sind, aus der nur Demagogie spricht und keine Probleme wirklich löst", meint Flamenco-Lehrerin Clara Berna. "Das ist es, was gerade in Italien geschieht, und leider fängt es auch in Spanien an. Wir wünschen uns, dass die italienischen Sardinen in andere Teile Europas hinausschwimmen und ganz Europa, ja sogar die ganze Welt erreichen!"

Journalist • Valérie Gauriat

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