Der Mord an Daphne Caruana Galizia: Maltas offene Wunde

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Von Laurence AlexandrowiczSabine Sans
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Die EU wird kein Rechtsstaatsverfahren gegen Malta einleiten. Man erwarte aber eine schnelle Aufklärungsarbeit der Behörden, so die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova.

Am 16. Oktober 2017 hat eine Autobombe in Malta die Journalistin Daphne Caruana Galizia getötet. Bis heute sind die Hintermänner nicht gefasst. Hat das Attentat Malta verändert? Zwei Jahre nach der Ermordung der Journalistin trat der Ministerpräsident zurück.

Malta kommt auch zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Daphne Caruana Galizia nicht zur Ruhe. Die Investigativ-Journalistin hatte Korruptionsskandale aufgedeckt, in die die Regierung des kleinen Steuerparadieses mit weniger als 500.000 Einwohnern verwickelt ist. Ihre Ermordung markierte einen Wendepunkt.

In Valletta seht Corinne Vella, die Schwester der Ermordeten, vor dem Denkmal, an dem der Toten mit Kerzen, Blumen und Bildern gedacht wird: "Ich denke immer wieder das Gleiche. Die Trauerbekundungen hier sollte es nicht geben, denn sie sollte am Leben sein. Ich denke jeden Tag an Daphne. Und natürlich auch im Rahmen der Kampagne für Gerechtigkeit. Heute gehe ich ins Gericht, weil es eine Anhörung gibt."

Spektakuläre Wendung bei den Ermittlungen

Der Fall erlebte im November mit der Verhaftung Yorgen Fenechs wegen Mordverdachts eine spektakuläre Wendung: Der prominente Unternehmer gilt als eine Schlüsselfigur bei der Aufklärung des Verbrechens. Der Geschäftsmann beschuldigte Keith Schembri, den damaligen Stabsschef des ehemaligen Ministerpräsidenten Joseph Muscat, als Drahtzieher des Mordes. Damit steht der Vorwurf im Raum, die Bluttat sei womöglich im Amtssitz des Regierungschefs geplant worden.

Corinne Vella ist sicher: "Ihre Ermordung steht in Verbindung mit ihrer Arbeit, Schembri steht in Verbindung mit ihrer Arbeit, sein Name fiel in einer Gerichtsverhandlung. Es ist unmöglich, dass Muscat davon nichts gewusst hat."

Ex-Arbeiter-Parteichef Joseph Muscat unterstützte lange Zeit Schembri, seine rechte Hand. Anhaltende Proteste nach dem Skandal zwangen ihn ebenso wie mehrere seiner Minister zum Rücktritt. Am 13. Januar bejubelten die Malteser seinen Nachfolger Robert Abela, der wie sein Vorgänger aus der Arbeiter-Partei stammt. Trotz der Korruptionsvorwürfe und des ungeklärten Mordfalls bleibt die gleiche politische Partei an der Macht, unterstützt durch das Vertrauen vieler Einwohner.

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"Das Schlimme war, dass man die öffentliche Meinung so gegen sie aufgehetzt hat, dass sie sich nicht mehr auf die Straße traute, weil sie Angst hatte, dass man sie angreift"_, erinnert sich die Schwester der Ermordeten. "Sie haben ihr Gesicht beispielsweise für ein Wahlkampfplakat benutzt. Es gab eine ständige Dämonisierungs-Kampagne gegen sie, besonders in den sozialen Medien. Sie wurde als jemand Böses, Unmenschliches dargestellt. Man hat sie als Hexe porträtiert, sie tauchte sogar als Figur in einer wöchentlichen Fernsehsendung auf."

Unerschrockene Investigativ-Journalistin

Bevor sie ihren Blog gründete, arbeitete Daphne Caruana Galizia bei der Times of Malta: Bei ihren Recherchen verschonte sie niemanden, auf die Gefahr hin, angefeindet zu werden. Ihr Blog wurde an manchen Tagen von 400.000 Menschen gelesen, was fast der Zahl der Inseleinwohner entspricht.

"Sie war brachial in ihrem Schreiben", erzählt der Chefredakteur der Times of Malta Herman Grech. "Es gab Zeiten, in denen es fast schon eine Art Klatsch-Element in ihrer Berichterstattung gab. Aber dann gab es Tage, an denen sie Geschichten aufdeckte, sehr wichtige Geschichten im Rahmen des Panama Papers-Skandals, der ihr viel Respekt einbrachte."

Ihre Recherchen zu den Panama Papers kosteten sie das Leben. Durch ihre Berichte hatte sie erreicht, dass Muscat vorgezogene Neuwahlen ausrief. Unter anderem stand seine Frau im Verdacht, Bestechungsgelder auf geheimen Konten in Panama versteckt zu haben. Vorwürfe im Zusammenhang mit Offshorekonten richteten sich auch gegen den Energieminister sowie gegen Muscats Kabinettschef. Am 16. Oktober 2017 tötete eine Autobombe Caruana Galizia auf einer kleinen Straße, 200 Meter vom Haus der Familie entfernt. Ihr Sohn Andrew Caruana Galizia erinnert sich:

"Zu dieser Zeit teilten wir uns ein Auto. Sie sagte zu mir, sobald sie zurück sei, könne ich das Auto haben. Ein paar Minuten, nachdem sie das Haus verlassen hatte, hörte ich eine Explosion. Ich wusste sofort, dass das eine Bombe war. Es war das Einzige, was es gewesen sein konnte. Ich rannte auf die Straße und entdeckte das Blutbad. Ich wusste, dass das unser Leben in einen Albtraum verwandeln würde - besser gesagt, der bereits existierende Alptraum würde nicht enden."

Ständige Bedrohungen und Einschüchterungen

Ihr Haus wurde 2006 in Brand gesteckt, als die Familie darin schlief. Einer ihrer Hunde wurde getötet. Die Journalistin wurde unablässig verleumdet und mit Drohungen eingeschüchtert. Aber das hielt sie ncht von ihrer Arbeit ab.

"Je schlimmer die Situation in Malta wurde, je hässlicher sie wurde, desto schöner pflegte meine Mutter ihren Garten", erzählt Andrea Caruana Galizia.

Der älteste ihrer drei Söhne setzt die Arbeit Caruana Galizias fort. Ihre sorgfältig aufbewahrten Artikel zeugen von dem 30-jährigen Lebenswerk einer engagierten Journalistin. Ihr Sohn meint:

"In jeder anderen Gesellschaft wäre sie vielleicht eine weniger wichtige Figur gewesen, denn es gibt viele Menschen wie meine Mutter. Nur in Malta war sie so isoliert und so einzigartig, Maltas einzige investigative Journalistin. Ich bin sehr stolz auf die Tatsache, dass es für die Menschen, zu denen meine Mutter recherchierte, nur einen einzigen Weg gab, sie zum Schweigen zu bringen, nämlich sie zu ermorden - mit einer Autobombe."

Hat der Mord Malta verändert?

Die jüngsten Ermittlungsergebnisse betreffen die damalige Regierung Muscats. Eine Interview-Anfrage blieb unbeantwortet.

"Für mich war das ein vom Staat geplantes Attentat", so Simon Busuttil, ehemaliger Oppositionsführer. "Das war eine Bande von Kriminellen, die unser Land und unser Volk übernommen und in diese verzweifelte Lage gebracht hat. Wir müssen diesen Schlamassel ein für allemal bereinigen. Wir waren ein normales europäisches Land, und das wollen wir auch wieder werden. Denn wir haben es verdient."

Der Mord an der Journalistin ist eine offene Wunde in der maltesischen Demokratie. Er hat die Gesellschaft aufgerüttelt. Vor dem Palast des Ministerpräsidenten trifft die euronews-Reporterin maltesische Kollegen:

"Malta hat sich meiner Meinung nach in einem zivilgesellschaftlichen Aspekt verändert. Es gibt Bürger, die jetzt eher bereit sind, auf die Straße zu gehen und sich Gehör zu verschaffen. Und dabei geht es nicht nur um Themen wie Korruption oder die Forderung nach Gerechtigkeit", so Albert Galea, Journalist beim Malta Independent.

Herman Grech, Chefredakteur Times of Malta, sagt: "Ich glaube, es hat uns stärker gemacht. Es hat Journalisten wirklich dazu gebracht, die Hintergründe des Attentats zu recherchieren."

Und Simon Busuttil meint: "Daphnes letzter Blogeintrag war: 'Wo auch immer man hinschaut, sind Betrüger. Die Situation ist hoffnungslos'. Ihre Schriften, ihre Ermordung haben Malta meiner Meinung nach verändert, die Situation ist jetzt weniger hoffnungslos."

"Eine wichtige Figur, die viele Karrieren korrupter Politiker beendet hat"

Ihr Sohn sagt: "Es ist einfach unglaublich, was für eine wichtige Figur sie war, wie viele sie inspiriert hat, wie viele Karrieren korrupter Politiker sie beendet hat. Meine Mutter hat das Land verändert, sie verändert es sogar jetzt noch, aus ihrem Grab heraus."

Wie an jedem 16. des Monats, dem Tag ihrer Ermordung, fordern Hunderte von Menschen in Valletta Gerechtigkeit. Sie wollen endlich wissen, wer Daphne zum Schweigen bringen wollte.

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