State of the Union: Europas Anspruch und Wirklichkeit

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Von Stefan Grobe
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Vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen, hat Kommissionspräsidentin von der Leyen ihre erste Rede zur Lage der EU gehalten. Ihr Fokus sowie Europas krisengeschüttelte Nachbarschaft stehen im Mittelpunkt unseres Wochenmagazins. Dazu ein Interview mit Schwedens Ex-Regierungschef Carl Bildt

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Das Europäische Parlament ist zurück - und so ist das Coronavirus.

Ein Anstieg der Infektionen zwang die Abgeordneten dazu, die erste Plenarwoche nach der Sommerpause in Brüssel abzuhalten und nicht in Straßburg.

Experten warnen nun vor alarmierenden Ansteckungsraten in ganz Europa.

Vor diesem Hintergrund hielt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre erste Rede zur Lage der Europäischen Union.

Sie sprach über die Lehren aus der Pandemie, forderte vehement ehrgeizigere Klimaziele, Wiederaufbauhilfen, Minderheitenrechte und eine menschliche Migrationspolitik. Und sie rief zur Verteidigung europäischer Werte auf.

Was Europas unruhige Nachbarn angeht, so ist die EU derzeit eher Zaungast.

Von Brexit über Belarus zur Turkei ringt Europa um angemessene Antworten.

Über von der Leyens Rede, ihre Vision und die Wirklichkeit sprach Euronews mit Carl Bildt, dem früheren schwedischen Ministerpräsidenten.

Euronews: Gab es etwas, dass Sie in Ursula von der Leyens Rede überrascht hat? Gab es etwas, dass Ihnen gefehlt hat?

Bildt: Es war eine gute Rede, sehr umfassend. Ich denke, ihre Schwerpunkte waren richtig. Mir hat zudem gefallen, dass einige fundamentale Themen wie die Wettbewerbsfähigkeit und der Binnenmarkt einen prominenten Platz eingenommen haben. Also insgesamt sehr gute Noten für ihre Rede.

Euronews: Jahr für Jahr hören wir von EU-Spitzen, dass Europa eine wichtige Rolle auf der Weltbühne spielen solle. Doch derzeit ist Europa eher an vielen Fronten in der Defensive, sei es Belarus, Russland, Libyen, das östliche Mittelmeer oder Trump. Wie kann das korrigiert werden?

Bildt: Das ist in der Tat etwas, dass wir seit einigen Jahren beobachten - dass unsere Nachbarschaft sich komplett anders entwickelt, als wir es noch vor 20 Jahren gedacht hatten. Nämlich weitaus problematischer.

Wir haben ein revisionistisches Russland, einen Nahen Osten in Aufruhr, wir haben Herausforderungen in Afrika von der Sahelzone bis nach Libyen. Und wir haben natürlich die - milde ausgedrückt - unberechenbaren USA. Dies ist eine weitaus schwierigere außen- und sicherheitspolitische Agenda, als wir sie uns vorgestellt haben.

Und ich glaube nicht, dass wir die Politik und die Instrumente entwickelt haben, die nötig sind, um mit all diesen Problemen umzugehen.

Euronews: Es war Ihre Regierung, die Schweden Anfang der 90er Jahre in die EU-Familie geführt hat. Lassen Sie mich folgendes fragen: ist die europäische Identität, sind die europäischen Werte heute vom Populismus bedroht?

Bildt: Ich denke, diese Werte waren stärker vor ein paar Jahren bedroht nach der Flüchtlingskrise 2015. Damals gab es einen Anstieg von fremdenfeindlichen, populistischen und anti-europäischen Kräften.

Seitdem stellen wir aber fest, dass in einigen Ländern die Populisten nicht mehr so stark sind, wie sie einmal waren. Dennoch gibt es diese Kräfte weiterhin. Aber ich bin heute etwas optimistischer als noch vor ein paar Jahren.

Euronews: Wo sehen Sie die EU in fünf Jahren, wird sie stärker oder schwächer sein? Das ist ein Jahr nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen...

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Bildt: Ich hoffe, sie wird stärker sein. Die Frage ist, wird sie stark genug sein. Alles im Leben ist relativ. Meine Sorge ist, dass wir es nicht schaffen, die, wie ich es nenne, Erholung von der Erholung zu meistern. Dass wir nämlich zu einem rauhen wirtschaftlichen Wettbewerb zurückkehren.

Denn China rennt voraus, die USA rennen voraus bei der Digitalisierung. Hier sind wir weit hinter beiden Staaten zurück. Und wie das in fünf Jahren aussehen wird, ich wünschte ich könnte zuversichtlicher sein als ich es eigentlich bin.

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