Hausbesetzer übernehmen historisches Grachtenhaus in Amsterdam

Besetztes Haus im Grachtenviertel, Amsterdam
Besetztes Haus im Grachtenviertel, Amsterdam Copyright Sarah Tekath
Von Sarah Tekath
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Seit Juli 2020 sind die Hausbesetzer zurück im Zentrum von Amsterdam, nachdem es eine Weile still um die Szene geworden war.

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Seit Juli 2020 sind die Hausbesetzer zurück im Zentrum von Amsterdam, nachdem es eine Weile still um die Szene geworden war. Eine Gruppe hat eines der historischen Gebäude im Grachtenviertel besetzt. Das Besetzen von Häusern hat in den Niederlanden seit den 1960er Jahren Tradition, gilt jedoch seit 2010 per Gesetz als Straftat. Ein Umstand, der diese Gruppe nicht abzuhalten scheint, ein Statement zu setzen.

Wie in den meisten Großstädten Europas hat sich auch in Amsterdam der Wohnungsmarkt zu einem Problem entwickelt. Um darauf aufmerksam zu machen, hat eine Gruppe von Hausbesetzern im Sommer 2020 ein Gebäude in der Keizersgracht übernommen. Das Haus aus dem Jahr 1763 steht seit mehreren Jahren leer. 2017 wurden die Renovierungsarbeiten an dem Gebäude stillgelegt, da der Besitzer Auflagen des Denkmalschutzes, unter anderem für erhaltungswürdige Decken im Barockstil, missachtet hatte. Nun lassen Banner an dem baufälligen Gebäude mit Aufschriften, wie „we are back“ (dt. wir sind wieder da) und „kraken gaat door“ (dt. Häuser besetzen geht weiter), erkennen, dass die Hausbesetzer das Grundstück übernommen haben.

Leerstand, während die Mieten explodieren

Mit einem Statement an der Haustür von Keizersgracht 318 erklären die Hausbesetzer ihr Anliegen auf Niederländisch und Englisch. „Dieses Gebäude steht seit Jahren leer. Im Jahr 2015 wurde es bereits besetzt, wurde damals aber schnell geräumt, weil der Eigentümer angab, das Haus zu nutzen. Mit Blick auf den Zustand des Gebäudes scheint das nicht so zu sein. […] Nun, drei Jahre später, hat sich nichts geändert. Das Gebäude ist immer noch leer, nichts wurde restauriert und der Verfall geht weiter. Und das, obwohl die Zahl der Obdachlosen in Amsterdam steigt, die Mieten explodieren, die Wartelisten für Sozialwohnungen bis zu 20 Jahre betragen und ein Hotel nach dem anderen gebaut wird. Für uns ist das Grund genug, dieses Gebäude zu nutzen, denn wir wollen ein Heim haben.“

Erst Tradition, jetzt illegal

Die Szene der Hausbesetzer (niederländisch: krakers) entwickelte sich in den sechziger Jahren, als großer Wohnraummangel in Amsterdam herrschte. Zahlreiche Gebäude standen leer und wurden von verschiedenen Gruppen besetzt. Doch gerade in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als Hausbesetzer sich gegen Räumungen zur Wehr setzten. Einer der berühmtesten Fälle betrifft das Gebiet um den Nieuwmarkt im Zentrum von Amsterdam, unweit des Rotlichtviertels, wo die Regierung plante, mehrere Gebäude für den Bau eines neuen U-Bahn-Tunnels abzureißen.

Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2010 sind Hausbesetzungen verboten und werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet. Bei gewalttätigem Widerstand kann die Strafe auf bis zu zwei Jahre und acht Monate Haft erhöht werden.

Asyl-Hausbesetzer-Gruppe "We are here"

Kurz nach der Gesetzesänderung, ausgelöst durch den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa, entwickelte sich in Amsterdam ab 2012 eine Splittergruppe der Hausbesetzer, mit Namen "We are here". Die Gruppe besteht aus Migranten aus schätzungsweise 15 verschiedenen Ländern, deren Asylantrag in den Niederlanden teilweise bereits abgelehnt wurde. Die Asyl-Hausbesetzer übernahmen im Zeitraum von fünf Jahren knapp 30 Parks und Gebäude in Amsterdam. Gerade die rechten Parteien im niederländischen Parlament forderten ein härteres Vorgehen gegen die Gruppe.

Eigentümer im Lockdown

Die Gruppe, die das Gebäude in der Keizersgracht besetzt hat, scheint allerdings nicht zu "We are here" zu gehören. Auch wenn die Stadt Amsterdam in den vergangenen Jahren vehement gegen die Hausbesetzerszene vorgegangen ist, besetzte Gebäude schnell wieder räumen und seit Jahren bestehende, durch Hausbesetzer entstandene Kulturzentren und Siedlungen schließen ließ, ist eine Reaktion auf die aktuelle Besetzung bisher ausgeblieben. Dafür sind zuerst eine Anzeige des Eigentümers nötig sowie ein Gerichtsbeschluss für die offizielle Räumung, doch nach Recherchen der niederländischen Tageszeitung Het Parool ist der Besitzer des Gebäudes seit dem Beginn der Corona-Krise durch strenge Lockdown-Regeln in Südafrika gestrandet und ist vorerst außerstande, in die Niederlande zurückzukehren. Trotzdem habe der Eigentümer in der Zwischenzeit Kontakt mit seinem Anwalt aufgenommen, der ebenfalls einen Richterspruch erwirken kann. Wie lange die Hausbesetzer noch in der Keizersgracht 318 bleiben werden, ist demnach ungewiss.

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