State of the Union: Werden Corona-Konjunkturhilfen vergeudet?

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Von Stefan Grobe
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Unser Wochenendmagazin mit einem Gespräch mit dem Generalsekretär von Finance Watch, der der EU vorwirft, eine nachhaltigkeitsferne Wirtschaft von gestern retten zu wollen

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Laut der berühmeten Persönlichkeitstrainerin Lolly Daskal gibt es sieben Warnsignale für eine zerrüttete Beziehung: Verbitterung, Respektlosikgeit, Unehrlichkeit, Mißtrauen, Distanz, Rechtfertigung und Mißachtung.

Suchen Sie sich aus, wie Sie den emotionellen Zustand beschreiben wollen, der seit Jahren zwischen der Europäischen Volkspartei und ihrer ungarischen Mitgliedspartei Fidesz herrscht, die von Ministerpräsident Viktor Orban geführt wird.

Für die meisten Christdemokraten war Orban der Buhmann, der die Demokratie in Ungarn stetig aushöhlte.

In dieser Woche zog Orban seine Abgeordneten aus der EVP-Fraktion ab, um einem nahzu sicheren Rauswurf zuvorzukommen. Fraktionschef Manfred Weber machte für das Ende der Beziehung voll und ganz Orban verantwortlich.

Fidesz' EVP-Mitgliedschaft hatte Orban bislang vor härteren Reaktionen auf seinen anti-demokratischen Kurs geschützt.

Doch die selbstgewählte Isolierung von mächtigen Verbündeten könnte Ungarn verzweifelt gebrauchte EU-Coronavirushilfen kosten, die nun an die Respektierung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft sind.

Die Zukunft dieser Coronavirushilfen war diese Woche auch Gegenstand einer Debatte in Brüssel - allerdings aus anderen Gründen. Die EU-Kommission verlängerte die Coronavirus-Ausnahme für die EU-Haushaltsregeln, um den brutalen wirtschaftlichen Schock abzumildern, den die Pandemie verursacht hatte.

Doch werden diese Konjunkturhilfen auch vernünftig ausgegeben? Studien von Finance Watch, einer europäischen Vereinigung von sozialen Interessensverbänden, fand jetzt heraus, dass große Teile dieser Hilfsmittel dabei sind, verschwendet zu werden, indem sie nachhaltigkeitsferne Industrien unterstützen.

Und dies könnte Europa anfällig für den Klimawandel und größere Armut machen.

Dazu das folgende Interview mit Benoît Lallemand, den Generalsekretär von Finance Watch.

Euronews: Sie haben den EU-Coronavirus-Hilfsfonds intensiv studiert und sagen, dass ein großer Teil dieser Mittel verschwendet wird. Wie ist das möglich?

Lallemand: Wir glauben in der Tat, dass europäische Regierungen eine große Gelegenheit auslassen, die Wirtschaft zu reformieren und unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen. Sie spielen Feuerwehr, ohne an eine künftige Stärkung der Fundamente zu denken. Der größte Teil der Hilfsgelder wird für eine Wirtschaft von gestern ausgegeben. Und da unsere Wirtschaft nicht nachhaltig ist, wird das zu mehr Krisen führen. Jeder Euro, der für das veraltete System ausgegeben wird, ist nicht nur vergeudet, sondern ebnet den Weg für massive Verluste in der Zukunft.

Euronews: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben massive Summen bereit gestellt, um das Verbluten des Arbeitsmarktes zu verhindern. Sie sagen, damit sei die EU nicht nur auf dem falschen Weg, sondern riskiert auch unseren künftigen Lebenstandard. Was beunruhigt Sie hier am meisten?

Lallemand: Zunächst einmal rufen wir die Regierungen auf, die Menschen zu unterstützen, was es auch kostet. Natürlich war es notwendig, kurzfristig soziale Hilfen und finanzielle Entschädigungen für die Schäden des Lockdowns zu zahlen.

Ziel müsse aber sein, das Geld für eine gerechte Gesellschaft aufzuwenden, für einen Respekt der Umwelt, für eine Umschulung von Arbeitern beim Übergang zu den Jobs der Zukunft, für Uden mbau sozialer Sicherheitsnetze und für die direkte Hilfe von Haushalten und kleinen Betrieben. Nicht so sehr für Großkonzerne, die ohnehin Teil des Problems sind.

Euronews: Wenn Sie dies in Brüssel und anderswo in Europa vortragen, wie fallen die Reaktionen aus? Hört man Ihnen zu?

Lallemand: Die Kommission und die Mitgliedsstaaten hören zu, und einige bemühen sich um eine Kurskorrektur.

Das Problem ist, dass alle einem zerbrochenen wirtschaftlichen und politischen System verhaftet sind, bei dem jede Entscheidung von kurzfristigen Überlegungen bestimmt ist.

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Kursfristiges Wachstum, kurzfristige Wahltermine. Die Bürger müssen sich Gehör verschaffen, um strukturelle Veränderungen herbeizuführen.

Euronews: Die EU-Kommission hat einen optimistischen Ausblick gegeben, was die konjunkturelle Wende im Laufe des Jahres angeht. Teilen Sie die Prognose?

Lallemand: Zu einem gewissen Grad - aber um ehrlich zu sein, es ist völlig egal, ob das Wachstum in drei Monaten oder in einem Jahr anzieht. Das Bruttoinlandsprodukt ist ein sehr schwacher Indikator für Wohlstand, Wohlbefinden und für Widerstandsfähigkeit.

Entscheidend ist, was wir in 30 Jahren haben wollen und nicht im nächsten Quartal.

Und ganz ehrlich, wenn Sie sich den Klimawandel und die Erderwärmung anschauen, dann wird das althergebrachte Wachstum nur Katastrophen bringen, gegen die die Pandemie wie ein Witz erscheint.

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Wir rufen daher die Regierungen auf, die Konkukturhilfen zu überdenken und sicherzustellen, dass wir Widerstandsfähigkeit bauen - sonst rennen wir gleich in die nächste Krise.

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