Slowenien: Medienfreiheit in Gefahr?

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Von Valérie GauriatSabine Sans
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Eine Unreported-Europe-Recherche in dem EU-Land, das am 1. Juli turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Ist die Meinungsfreiheit in Slowenien bedroht? Ministerpräsident Janez Janša, der am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, steht in der Kritik wegen einer umstrittenen Medienreform. Eine Unreported-Europe-Recherche in Ljubljana.

Jeden Freitag versammeln sich in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana Hunderte Demonstranten vor dem Parlament – viele auf Fahrrädern. Sie protestieren gegen die Regierung von Ministerpräsident Janez Janša. Die Themen sind vielfältig wie zum Beispiel Proteste gegen die Unterstützung der Regierung für Israel sowie Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser. Aber wie jede Woche steht die Verteidigung der Pressefreiheit im Mittelpunkt der Demonstrationen.

"Die slowenische Regierung tut nichts Gutes für uns", sagt Teilnehmerin Sarah Štiglic. Sie versuchen, alles zu zerstören. Sie versuchen, die Medien zu zerstören. Als zukünftige Journalistin macht mich das traurig. Ich bin wütend und traurig."

Hetzkampagnen in sozialen Medien

Blaž Zgaga ist ein bekannter Investigativ-Journalist. Als er die Legitimität und das Management des von der Regierung zu Beginn der Pandemie eingerichteten Covid-19-Krisenstabs infrage stellte, begann eine Hetzkampagne in den sozialen Medien gegen ihn. Losgetreten wurde sie durch einen anonymen ihn beleidigenden Tweet, der über den Twitter-Account des Krisenstabs verbreitet wurde.

"Nach diesem Tweet fingen die Propagandatrompeten der slowenischen Regierung an, über mich zu schreiben", erzählt Blaž Zgaga. "Sie behaupteten, dass ich ein Journalist einer ‚Schattenregierung‘, ein Lügner sei. Dann erhielt ich Dutzende Drohungen, Todesdrohungen."

Nach der Aufforderung mehrerer internationaler Pressefreiheitsorganisationen hat die Europäische Kommission die slowenische Regierung ersucht, die Sicherheit des Journalisten zu gewährleisten.

"Fast alle dieser Drohungen hörten sofort auf", so Zgaga. _"Als ob jemand den Ausschalter gedrückt hätte. Was ein klares Indiz dafür ist, dass jemand am Anfang den Einschalter gedrückt hat."
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Attacke auf die Medien

Eine Behauptung, die auf den umstrittenen und ultra-konservativen slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša zielt. Seit er vor einem Jahr an die Macht kam, attackiert er die Medien: Auf der Regierungswebseite wirft er ihnen ein Lügenmonopol vor.

Der Politiker mit dem Spitznamen Marschall Twitto (in Anlehnung an den jugoslawischen Diktator Josip Broz Tito) lässt keine Gelegenheit aus, kritische Journalisten in den sozialen Medien anzugreifen. Zu den jüngsten Kontroversen gehört die Streichung staatlicher Gelder, die für die nationale Presseagentur STA bestimmt waren, was den Protest der Europäischen Kommission nach sich zog.

Der Regierung zufolge habe man die Mittel zurückgehalten, weil die Presseagentur nicht die nötigen Belege eingereicht habe. Die STA-Leitung behauptet, das sei gelogen. Ohne die Gelder, die die Hälfte der Agentur-Einnahmen ausmachen, ist laut der Chefredakteurin die Zukunft gefährdet:

"Dieses Jahr übernimmt Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft, und wir feiern den 30. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes", so Barbara Štrukelj. _"Die finanzielle Unsicherheit bedroht die Umsetzung einiger redaktioneller Projekte und Investitionen in die Presseagenturentwicklung."

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Mehrere Medien, darunter die regierungskritischsten, haben in diesem Jahr ebenfalls staatliche Gelder verloren. Das sei ein Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen, behaupten die Betroffenen.

Mittelvergabe als Kontrollmittel?

Das für die Medien zuständige Kulturministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Mittelzuteilung basiere auf der Qualität der eingereichten Projekte und sei nicht an politische Vorgaben geknüpft, betonen Ministeriumsvertreter:

"Das ist eine Medienausschreibung. Die Medien müssen um die Mittel konkurrieren", sagt Mitja Iršič, Pressesprecher slowenisches Kulturministerium. "Unter vorherigen Regierungen haben alle Medien etwas aus dem Topf bekommen. Eine Expertenkommission im Ministerium entschied, dass man die Gelder jetzt mehr leistungsbezogen verteilen wolle."

Und Uršula Menih Dokl, Generaldirektorin Direktorat der Medienabteilung des Kulturministeriums, ergänzt: "Unser Ziel ist es, die Schaffung von Inhalten zu erleichtern, um Pluralität und unterschiedliche Ansichten zu verschiedenen Themen zu gewährleisten."

Ein Ziel, das in den Augen vieler slowenischer Journalisten eher dem Willen entspringt, die Medien zu kontrollieren. Ein weit verbreiteter Glaube auch beim nationalen TV-Sender RTV SLO, dem der Regierungschef ständig vorwirft, fake news zu verbreiten.

Frauen als Zielscheibe

Seit Janšas Zeit als Oppositionsführer sind Frauen eine seiner Hauptzielscheiben. Eine der Star-Moderatorinnen des Senders gehörte zu denjenigen, die in sozialen Netzwerken und in Medien, die der SDS-Partei von Janez Janša nahestehen, mit Angriffen konfrontiert wurden. Jelena Aščić, Journalistin & Moderatorin, RTV Slovenija:

"Dieser Druck ist sehr gefährlich, denn wenn man jetzt über Themen für die Sendung nachdenkt, denkt man über die Konsequenzen nach, über mögliche Angriffe aufgrund dieser Themen. Deshalb wählt man harmlose Themen aus. Diese Angriffe führen also auch zur Selbstzensur, was in Slowenien bereits ein großes Problem ist."

Ein Problem, das der Moderator der Parlamentssendung des Senders nicht nachvollziehen kann. Angriffe über soziale Medien seien Teil des Jobs, sagt er und bestreitet jeglichen Druck seitens der Regierung:

"Journalisten können Kritik üben - auch an der gegenwärtigen Regierung", so Journalist & Moderator Igor Pirkovič. Da gibt es keine Behinderungen und auch keine Konsequenzen. Es gab Druck auf Journalisten, aber von der vorherigen Regierung. Vor allem gab und gibt es ein großes Problem der Einflussnahme auf Journalisten vonseiten der Medienhäuser."

Ein Hinweis auf die Konzentration etablierter Medien in Slowenien, die von Janez Janša als links und regierungsfeindlich bezeichnet werden. Seine Verbündeten haben eigene Netzwerke geschmiedet, manchmal unterstützt von ungarischen Investoren, die angeblich der Regierung von Victor Orban nahestehen. Das gilt auch für Nova24 TV, einem Sender, der laut Kritikern mit rechtsextremer Ideologie flirtet. Der Chefredakteur moderiert eine Sendung namens "Wer lügt dich an? ", die zu Pandemiebeginn gestartet wurde:

"Es ist unwirklich, wie viele fake news es in unseren Mainstream-Medien gab und immer noch gibt", so Boris Tomasic. "Ich nehme mir die Manipulation oder Lüge vor und zeige die andere Seite, die Wahrheit, oder wie sie manipulieren."

Primož Cirman war bereits Thema im Programm. Der Investigativ-Journalist ist bekannt für eine groß angelegte Recherche zu einem Finanzierungsskandal der Partei von Janez Janša, in den einer seiner Berater verwickelt sein soll. Er und die beiden Journalisten seines Online-Mediums "Uncensored" wurden von 39 Verleumdungsklagen überzogen – von dem Mann, gegen den selbst ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Geldwäsche läuft.

"Ihr Ziel ist klar! Sie wollen uns beruflich und privat zerstören", meint Primož Cirman. Sie wollen, dass wir unser Büro schließen und aufhören zu arbeiten. Das ist ihr Ziel. Wir haben keine Angst, wir werden weiter unsere Arbeit machen. Das ist der Grund, warum sie ein Problem mit uns haben. Wir machen keine politische Propaganda für irgendeine Seite. Wir wollen einfach nur frei und ungestört unserer Arbeit nachgehen, denn wir leben, in einem freien demokratischen Land."

Kurze Zeit später gingen Zehntausende Menschen in Ljubljana auf die Straße, um erneut die Absetzung von Janez Janša und vorgezogene Neuwahlen zu fordern.

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