Geht Rumänien mit Atomkraft in eine strahlende Zukunft?

Geht Rumänien mit Atomkraft in eine strahlende Zukunft?
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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Das Land setzt auf Atomkraft. Neben den beiden bestehenden sollen zwei Meiler neu gebaut werden.

Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien und auch Rumänien wollen wieder massiv in Kernenergie investieren. Steht die Atomkraft in Europa vor einer neuen Blütezeit? Oder handelt es sich um eine Scheinblüte? Deutschland hält fest am Atom-Ausstieg, Kernenergie als Klimaretter sei ein "Mythos", meint die deutsche Umweltministerin. Welche Rolle spielt Kernenergie im „Grünen Deal“ der Europäischen Union? Die EU hat sich Klimaneutralität bis 2050 als Ziel gesetzt. Kohle-Länder wie Rumänien tun sich schwer mit Europas Klimazielen. Kann die Atomkraft dabei helfen, Rumäniens Energie-Mix sauberer zu machen? Unreported Europe recherchiert in dem südosteuropäischen Land.

Atomkraft in Rumänien

Unter dem kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu baute Rumänien zwei Atommeiler in Cernavoda, einer Kleinstadt am Ufer der Donau.

Die mit kanadischer Hilfe errichteten Schwerwasser-Reaktoren gelten im Vergleich zu sowjetischen Katastrophen-Meilern vom Tschernobyl-Typ als relativ sicher.

Jetzt plant Rumänienzwei weitere Reaktoren und eine Modernisierung der beiden Alt-Meiler. Das kostet sechs Milliarden Euro, schätzt der Aufsichtsratsvorsitzende von Nuclearelectrica, Teodor Chirica, bis vor kurzem Präsident der europäischen Atom-Lobby FORATOM.

Die Europäische Kommission will Energiequellen mit einem Umweltlabel versehen, und damit klimafreundliche Techniken fördern. Nur: wer bekommt das Label?

Teodor Chirica erklärt euronews-Reporter Hans von der Brelie, wie Rumänien die in Paris unterschriebenen Klimaziele erreichen will:

"Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir sowohl die Erneuerbaren wie auch die Kernenergie. Es ist unmöglich, die Klimaziele ohne Kernenergie zu erreichen. – Der Anteil der Kernenergie beträgt heute 18 bis 20 Prozent. Wenn sich der jetzige Trend fortsetzt, werden wir bis zum Jahr 2050 (in Rumänien) auf 30 bis 35 Prozent Kernenergie kommen."

Hans von der Brelie: “Wenn man sich diese heiße Debatte ansieht, die wir derzeit in Europa haben, ob man Atomenergie als grün einstufen soll oder nicht: warum wird das so leidenschaftlich diskutiert?“

Der Nuclearelectrica-Aufsichtsratsvorsitzende meint:"Hier prallen politisch-ideologische Standpunkte mit wissenschaftlichen zusammen. – Falls im schlimmsten Fall Kernenergie dieses Label nicht bekommen sollte, würde das keinesfalls das Ende der Atomkraft bedeuten. Das Problem liegt woanders: Wir hätten dann keinen Zugang mehr zu günstigen Krediten – und das könnte die Wirtschaftlichkeit unserer Projekte gefährden."

Grüne Gegenbewegung ist für Sonne, Wind und Sparen

Lavinia Andrei steht an der Spitze von Rumäniens nach wie vor sehr kleiner Anti-Atomkraftbewegung. Staatshilfen in Atommeiler zu pumpen verzerre den Energiemarkt, warnt sie. Ihr Gegenvorschlag: Dezentraler Ausbau von Sonnen- und Windenergie, Investitionen in Leitungsnetze und vorallem Energiesparen.

Sind die Pläne, weitere Kernreaktoren zu bauen, eine gute oder schlechte Idee, will der euronews-Reporter wissen. Die Aktivistin und Präsidentin von "Terra Mileniul III" meint: "Wenn das Geld für Kernenergie ausgegeben wird, dann werden andere Sektoren wie die erneuerbaren Energien benachteiligt. Das für den Stromtransport zuständige Unternehmen sagt, dass die Kapazität der Leitungsnetze nicht ausreicht für Atomstrom und den Strom aus erneuerbaren Energiequellen."

Aber da ist noch ein anderes Problem: AKWs brauchen Kühlwasser. Doch als Folge der Erderwärmung führen die Flüsse weniger Wasser, selbst die Donau. Auch Cernavoda musste in einem Hitzesommer bereits einmal abschalten. Derartiges könnte bald öfter geschehen - auch wenn die Cernavoda-Manager das abstreiten: Man habe vorgesorgt und das Kühlwassersystem umgebaut.

Gerangel um Rumäniens Energiemarkt

Nur ein paar Hügel weiter liegt Agighiol. Hinter dem Dorf hat der italienische Energieversorger ENEL einen großen Windpark gebaut.

Es ist ein Rennen um Anteile an Rumäniens Energie-Mix. Doch Investitionen im Energiesektor benötigen stabile gesetzliche Rahmenbedingungen. Vor einigen Jahren half Rumänien Erneuerbaren noch mit "Umweltzertifikaten". Dann wurde das Fördermodell eingestellt, Investoren zogen sich zurück. Nur einige große, wie ENEL, blieben.

Sorin Zamfir betreut 133 Windkraftanlagen. Ein Traumjob, sagt der Wartungschef vom ENEL-Windpark:

"Wind zu ernten bedeutet, neue, moderne Technik zu verwenden. Das hat mir gefallen, für mich war das eine spannende berufliche Herausforderung. Auch für die Menschen hier vor Ort ist das wichtig. Durch die moderne Windkrafttechnik fühlen wir uns näher dran an Europa, wir existieren auf der europäischen Karte."

Rumäniens Windpotential ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Doch die Windprofis beklagen Hindernisse beim Handel mit grüner Energie und - diese Klage taucht immer wieder auf - fehlende Stromleitungen… Der schleppende Ausbau der Elektrizitäts-Infrastruktur - Hochspannungsmasten, Umspannstationen, Leitungsnetze - hält nicht Schritt mit dem rapiden Auf- und Ausbau der Windparks. 

"Die klassischen fossilen Energieträger sind begrenzt und dreckig", so Sorin Zamfir. "Windenergie ist sauber und effizient. Man könnte weitere Windkraftanlagen bauen. Nicht nur hier. Rumänien könnte seinen gesamten Verbrauch mit Erneuerbaren decken."

Fehlende Fördermodelle für Rumäniens grüne Zukunft

Rumänien hat nicht nur Wind im Überfluss – sondern auch Sonne. Und auch hier schöpft das Land seine Möglichkeiten nicht aus.

Andrei Bucur sitzt im Aufsichtsrat von Rumäniens erstem grünen Energieversorger, eine kleine Kooperative mit hochfliegenden Plänen.

Allein auf Lagerhallen könne man 1.5 Millionen Quadratmeter Fotovoltaik-Anlagen montieren. Auf die Politik ist Bucur schlecht zu sprechen: Es fehle an Fördermodellen und – noch schlimmer - an Stromleitungen. Das Thema wird spontan immer wieder angesprochen, egal mit wem man spricht, mit Experten in der Hauptstadt, auf dem flachen Land mit Windtechnikern und Solarmanagern... sie alle beklagen unisono: Wir wollen mehr und bessere Leitungen. 

"Rumänien ist ein gesegnetes Land: wir haben jede Menge Sonne und Wind", meint Andrei Bucur. "Wir wären in der Lage, mindestens doppelt so viel erneuerbare Energie zu erzeugen. Aber, wie Sie hier sehen, um so eine Fotovoltaik-Anlage irgendwo aufzubauen, braucht man ein Stromnetz. Welcher Investor will schon sein Geld in eine Fotovoltaik-Anlage stecken, wenn er sie nicht an ein bestehendes Leitungsnetz anschließen kann.“ Sein Fazit: "In Rumänien mangelt es an einer flächendeckenden, leistungsfähigen Infrastruktur für den Stromtransport. Der Staat sollte das hierfür zuständige Unternehmen zwingen, mehr zu investieren..." - und damit die Bedingungen zu schaffen für ein Durchstarten der Erneuerbaren. 

Wie soll der Energie-Mix der Zukunft aussehen?

Zurück nach Cernavoda. Teamleiter Costin Antonie übt mit seinen Kollegen Silvio und Catalin regelmäßig Erdbeben, Kühlwasserprobleme oder Alltägliches wie das Regeln der Brennstäbe und Uran-Nachschub. Jeder Handgriff wird wieder und wieder geübt, die Automatismen müssen jederzeit abrufbar sein. 

Antonie, ein stämmiger Mann mit wachen Augen, fährt die Anlage. Er ist verantwortlich für "seinen" Meiler - und wenn es irgendwann mal Ernst werden sollte, dann fällt er die Entscheidung im Kontrollzentrum, ob der Reaktor hoch- oder runtergefahren wird, ob eine Notabschaltung nötig ist, was getan werden muss. Im Herbst wird er zur Fort- und Weiterbildung in die USA gehen, für einige Monate. 

Zunächst hatte es ja so ausgesehen, als ob Rumänien den Ausbau seiner AKWs China überlassen wollte. Dann wechselte die Regierung in Bukarest... und bald darauf bekam Peking eine Absage. Jetzt laufen Gespräche mit den USA, Kanada und Frankreich. 

Auch auf dem Rückweg in seine bewachte Wohnanlage denkt Teamleiter Costin nach über Energiefragen: Woher soll er kommen, der Saft für die wachsende E-Mobilität? Wie soll er aussehen, der Energie-Mix der Zukunft?

"Kernenergie ist das Fundament, denn sie ist immer da, wenn man sie braucht", so Costin Antonie. "Dann die Erneuerbaren. Die gibt es ja, bei uns in Rumänien. Damit sollten wir weitermachen, sogar weiter investieren. Aber Wind und Sonne sind eben nicht immer da, wenn man sie braucht. Und diese Nicht-Verfügbarkeit kann ausgeglichen werden mit Atomstrom."

Den Energie-Hunger einer Gesellschaft im Wandel diskutiert Costin nicht nur mit Freunden und Kollegen beim Grillen – sondern auch mit seiner zwölfjährigen Tochter Bianca:

"Warum ist Kernkraft wichtig? Nun, Du weißt ja selber, Bianca, dass sich der Klimawandel beschleunigt, es wird jedes Jahr wärmer, dagegen müssen wir was tun. Ich habe mein Leben der Atomenergie gewidmet, wenn man das mal so sagen kann, weil ich glaube, dass das eine saubere Energie ist."

Aber ist sie das wirklich? Was ist mit den radioaktiven Abfällen? So wie viele andere EU-Länder hat auch Rumänien immer noch kein langfristiges Entsorgungskonzept, die Endlagerfrage ist nach wie vor ungeklärt. - Und dann: was bedeutet "saubere Energie"? Sicher, im laufenden Betrieb ist die CO2-Bilanz der Reaktoren glänzend. Das sieht schon etwas anders aus, wenn man auch die Urangewinnung - klassischer Bergbau - mit einrechnet. 

Die Europäische Kommission muss bei energietechnischen Fragen neutral bleiben. So steht es in den Verträgen, so ist es Konsens in Europa. Und doch wird die Entscheidung, Atomkraft mit einem Nachhaltigkeitslabel zu versehen oder nicht, immensen Einfluss auf Investitionsentscheidungen haben – über Jahrzehnte hinaus.

Cutter • Christele Ben Ali

Weitere Quellen • Journalist and MoJo-Kamera: Hans von der Brelie; Drohnenpilot: Sorin Miscoci; Fixer: Mari Jeanne Ion; Produktion: Géraldine Mouquet; Produktionsleitung: Sophie Claudet

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