Historiker über Einsatz in Afghanistan: "Es war ein schrecklicher Betrug"

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Von Sandor Zsiros
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Man habe den Menschen in Afghanistan ein freies Leben versprochen und nun seien die Taliban zurück, das sei Betrug. So sieht es der Historker Timothy Garton Ash im Interview mit euronews.

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Ein zwanzigjähriger Militäreinsatz Europas und der USA, zunichte gemacht in nur wenigen Tagen, so geschehen in Afghanistan nach dem Abzug der US-Truppen. In der Folge machten sich Tausende Menchen auf, das Land zu verlassen, unter dramatischen Umständen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht nun die Chance, eine schnelle Eingreiftruppe der EU zu formen.

Doch wie wird der Einsatz in Afghanistan von späteren Generationen gesehen werden? Historiker Timothy Garton Ash sieht wenig Positives:

"Nun, es ist ein riesiger Betrug an all jenen Menschen, denen wir ein freies und gleichberechtigtes Leben versprochen haben. Besonders an den Frauen und Mädchen. Ein schrecklicher Betrug. Und die Terroristen kommen zurück. Und man muss sagen: zwei Billionen US-Dollar zum Fenster hinausgeworfen."

Westen hat Glaubwürdigkeit verspielt

Um das Beste aus der Situation zu machen, hat die EU nun Bedingungen gestellt, zu denen eine Zusammenarbeit mit den Taliban möglich wäre. Eine Sprecherin aber ließ jüngst keinen Zweifel, dass man weiter Vorsicht walten lassen wird:

"Die Taliban werden sich an ihren Taten messen lassen müssen, nicht an den bisherigen Versprechungen. Ob und wie sich die EU auf die Taliban einlässt, wird von ihrem Verhalten abhängen."

Um humaitäre Hilfe auf den Weg zu bringen, muss die EU zunächst Beziehungen zu den Taliban etablieren. Doch Garton Ash ist der Meinung, der Westen habe seine Glaubwürdigkeit bereits verspielt:

"Und zwar massiv. Die amerikanische, britische, deutsche und französische Botschaft sind dicht, die Russlands und Chinas nicht. Muss ich mehr sagen?"

Europa: mehr Autonomie wagen

Die Staats- und Regierungschefs der EU sollten mit Blick auf die USA dringend über mehr Eigenständigkeit nachdenken, Garton Ash. Und weiter:

"Auf eine merkwürdige Weise hat Präsident Joe Biden selbst für das plädiert, worüber alle Europäer sprechen, nämlich strategische Autonomie und europäische Souveränität. Das Merkwürdige ist jedoch, dass die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs daraufhin über Flüchtlinge und die Angst vor einer neuen Migrationskrise sprachen, anstatt das zu sagen, was sie eigentlich sagen sollten, nämlich dass dies ein Plädoyer für eine größere strategische Autonomie ist. Es gab zweitausendfünfhundert amerikanische Soldaten. Zur Stabilisierung Afghanistans verfügen allein Frankreich und Großbritannien über 10.000 Soldaten und eine schnelle Eingreiftruppe. Warum haben wir in Europa nicht über das diskutiert, was wir hätten tun können?"

Dabei gilt mehr Unabhänigkeit von den USA als etwas, nach dem einige EU-Staats- und Regierungschefs längst streben.

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