Die Woche in Europa - Ex-NATO-Generalsekretär Rasmussen zur Krise in Belarus

Die Woche in Europa - Ex-NATO-Generalsekretär Rasmussen zur Krise in Belarus
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Von Stefan Grobe
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Die Lage an der östlichen EU-Außengrenze mit Belarus bleibt undurchsichtig. Zu Wochenbeginn gab es Szenen der Gewalt, Tage später aber auch vorsichtige diplomatische Bemühungen.

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Während Europa mit einer rasch anschwellenden vierten Covid-Welle kämpft, bleibt die Lage an der östlichen EU-Außengrenze mit Belarus undurchsichtig. Zu Wochenbeginn gab es Szenen der Gewalt: Polnische Polizeikräfte setzten Tränengas und Wasserwerfer gegen Steine werfende Migranten ein, die versuchten, die Grenze zu überqueren.

Am Donnerstag dann wurden etwa 100 Migranten bei einem nächtlichen Versuch festgenommen, nach Polen zu gelangen. Warschau warf Belarus daraufhin vor, den Stacheldrahtzaun beschädigt zu haben, um den Übergang zu ermölichen.

Dies stärkte die in der EU weit verbreitete Ansicht, dass der Minsker Machthaber Alexander Lukaschenko das Schicksal der Migranten für seine eigenen Zwecke ausnutzt.

Doch in dieser Woche gab es auch vorsichtige Diplomatie, um die Lage zu entschärfen. Die geschäftsführende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte zwei Mal mit Lukaschenko binnen weniger Tage. Danach schien es, als sei Lukaschenko bereit, die Krise, die er selbst geschaffen hatte, beizulegen.

Doch Polen, Estland und Litauen waren von Merkels Initiative enttäuscht und fühlten sich außen vorgelassen und bevormundet. Der Vorsitzende des Auswärtigen Parlamentsausschusses in Estland erklärte gar, durch ihren Alleingang und die Nicht-Einweihung Polens habe Merkel zur vollsten Zufriedenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putins gehandelt, der für viele die Schlüsselfigur in dieser Krise ist.

Dazu ein Interview mit Anders Fogh Rasmussen, Chef der Consultingfirma Rasmussen Global und ein früherer NATO-Generalsekretär und Ministerpräsident Dänemarks.

Euronews: Fangen wir mal mit dem Migrationsdrama in Belarus an. Sehen Sie Russland als den eigentlichen Drahtzieher in dieser Krise?

Rasmussen: Absolut. Präsident Lukaschenko ist eine Marionette. Präsident Putin ist der Drahtzieher. Ich denke, es ist sehr klar, dass Putin alles unterstützt, was Chaos in EU und NATO erzeugen kann.

Euronews: Wir sehen auch einen massiven russischen Truppenaufmarsch nahe der ukrainischen Grenze. Ist dies nur eine Provokation oder sehen Sie ein wirkliches Risiko einer russischen Invasion?

Rasmussen: Der Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze ist ein wirkliches Risiko. Dann gibt es das Risiko, dass die Flüchtlingskrise in Belarus nur ein Ablenkungsmanöver für eine Aggression gegen die Ukraine ist. 

Wenn Sie also alles zusammen nehmen, Belarus, Ukraine und den Anstieg der Erdgaspreise, der auch von Russland ausgelöst wurde, dann haben sie Elemente, die einem Zweck dienen: Instabilität und Chaos zu erzeugen.

Euronews: Sie haben mit Kreml-Analysen reichlich Erfahrung. Warum tut Russland dies und warum jetzt?

Rasmussen: Russland tut all das, weil sein Endziel eine Spaltung, vielleicht sogar eine Auflösung von NATO und Europäischer Union ist. Und Russland tut es gerade jetzt, weil es die Entschlossenheit Europas testen will, gerade mit Blick auf die Regierungsbildung in Berlin. 

Putin weiß genau, dass die Grünen wichtige Positionen der neuen Koalition besetzen werden und dass die Grünen eine sehr kritische Haltung gegenüber Russland und China einnehmen. Und um die europäische Entschlossenheit zu testen, startet er gerade alle diese Destabilisierungskampagnen.

Euronews: Ohne indiskret zu sein, aber was sagen Sie derzeit ihren Kunden über den Umgang mit Russland?

Rasmussen: Also ich muss ehrlich mit ihnen sein und ihnen sagen, dass solange das derzeitige Putin-Regime in Moskau an der Macht ist, ist Russland kein sicheres und stabiles Land, mit dem man Geschäfte machen könnte.

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