Wie wird man NATO-Mitglied? Wie nah ist die Ukraine einem Beitritt?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyy auf einer Pressekonferenz im NATO-Hauptquartier
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyy auf einer Pressekonferenz im NATO-Hauptquartier Copyright AP Photo
Von Lauren Chadwick
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Die NATO-Mitglieder erklärten 2008, dass die Ukraine dem Bündnis in Zukunft beitreten könnte, aber trotz der Annäherung ist das Land nach Ansicht von Experten noch weit davon entfernt, Mitglied zu werden.

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat gefordert, dass die NATO nicht auf die Ukraine oder andere ehemalige Sowjetstaaten ausgedehnt wird. Er sei besorgt über die Ausweitung eines militärischen und politischen Bündnisses, das zur Bekämpfung der ehemaligen Sowjetunion gegründet wurde.

Einige sagen, dass aus diesem Grund 150.000 russische Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenze stationiert sind, was zu Warnungen vor einer bevorstehenden Invasion geführt hat. Moskau streitet das ab.

Aber wie tritt ein Land der NATO bei, und wie weit ist die Ukraine davon entfernt, Mitglied zu werden?

Wann wurde die NATO gegründet?

Der Nordatlantikvertrag wurde 1949 von 12 Gründungsstaaten als Bündnis gegen die Sowjetunion unterzeichnet.

Der kurze Vertrag verpflichtet die Mitglieder, sich gegenseitig zu schützen, wenn ein anderer bedroht wird. "Ein bewaffneter Angriff gegen einen von ihnen ... gilt als Angriff gegen alle", heißt es in Artikel 5 des Vertrages.

Dieser Artikel wurde erstmals nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten mit der Invasion in Afghanistan ausgelöst.

Wie sieht das Verfahren für einen NATO-Beitritt aus?

Die NATO ist in den letzten 70 Jahren auf 30 Länder angewachsen, und die Mitglieder können andere europäische Staaten zum Beitritt einladen.

Diese potenziellen Mitglieder müssen sich an demokratische Werte halten und zur euro-atlantischen Sicherheit beitragen, um berücksichtigt zu werden.

Die eingeladenen Länder erhalten einen Aktionsplan für die Mitgliedschaft, in dem sie beraten werden, wie sie Mitglied werden können. Daraufhin werden Beitrittsgespräche geführt. 

Ein Beitrittsprotokoll zum Vertrag muss dann einstimmig von den NATO-Mitgliedern unterzeichnet werden, damit das Land der Organisation beitreten kann.

Wie nahe ist die Ukraine einem Beitritt zum Bündnis?

Auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest haben die Bündnispartner die Bestrebungen der Ukraine und Georgiens begrüßt, Mitglied zu werden, und kamen überein, dass diese Länder Mitglieder werden können. 

Allerdings wurden den Ländern keine Aktionspläne für die Mitgliedschaft angeboten. Die NATO-Länder erklärten, sie würden sich bemühen, "die noch offenen Fragen" zu den Anträgen zu klären.

"In den vergangenen 14 Jahren hat sich in diese Richtung aber nichts getan", sagt Samuel Charap, leitender Politikwissenschaftler bei der RAND Corporation, über die Aktionspläne.

Der damalige moskaufreundliche Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, sagte, es bestehe keine Notwendigkeit für einen NATO-Beitritt des Landes, und das Parlament stimmte 2010 für einen bündnisfreien Status des Landes.

Nach dem Sturz Janukowitschs und der Annexion der Krim durch Putin erklärte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, dass sich der Standpunkt des Landes zur NATO-Mitgliedschaft geändert habe.

Das ukrainische Parlament verabschiedete 2017 ein Gesetz, das die NATO-Mitgliedschaft wieder als Ziel des Landes festschrieb und später, 2019, als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen wurde. Von Seiten der NATO wurde der Ukraine offiziell der Status eines Beitrittskandidaten erteilt. 

Die Ukraine wurde 2020 zu einem Partner der NATO mit erweiterten Möglichkeiten, was einen besseren Informationsaustausch und Zugang zu Übungen mit der Organisation ermöglicht. Sie gehört damit zu jenen Ländern, die im Rahmen des Individuellen Partnerschaftsaktionsplans ( „Individual Partneship Action Plan") von der NATO Unterstützung erhalten.

"Finnland hat diesen Status ebenfalls und ist wahrscheinlich der fähigste und bedeutendste Nichtmitgliedspartner der Allianz", erklärt der Politikwissenschaftler Charap.

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Der derzeitige Präsident Wolodymyr Selenskyj warb wiederholt um eine NATO-Mitgliedschaft seines Landes und setzt den Kurs auf eine Vollmitgliedschaft sowohl in der EU als auch in der NATO fort. Er bekräftigte in diesem Monat, dass die Absicht der Ukraine, Mitglied zu werden, "in der Verfassung verankert ist (und) unverändert bleibt".

AP/Ukrainian Presidential Press Office
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, rechts, besucht die Frontlinie in der Region Donezk, Ostukraine, 17. Februar 2022AP/Ukrainian Presidential Press Office

Was sind die Hürden für eine ukrainische Mitgliedschaft in der NATO?

Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations meint, die Ukraine erfülle nicht wirklich die Kriterien für eine Mitgliedschaft.

Auf der politischen Seite müssen die Mitglieder im Rahmen des Mitgliedschaftsplans Reformen durchführen, und auf der militärischen Seite sollen sie "zur Sicherheit des Bündnisses beitragen und es nicht beeinträchtigen", so Loss.

"Durch die Invasion der Ukraine im Jahr 2014 und die Invasion Georgiens im Jahr 2008 hat Russland effektiv ein Veto gegen die Mitgliedschaft dieser beiden Länder eingelegt", so Loss.

Das bedeutet, dass Putins Aktionen im Jahr 2014 die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine jemals Mitglied wird, aufgrund des Territorialstreits um die Krim deutlich verringert haben.
Rafael Loss, European Council on Foreign Relations

William Alberque, Direktor für Strategie, Technologie und Rüstungskontrolle am Internationalen Institut für Strategische Studien, sagt, dass sich das ukrainische Militär seit 2014 zwar verbessert habe, die Ukraine aber noch Reformen in den Bereichen Recht, Wirtschaft und Korruptionsbekämpfung durchführen müsse, um der NATO beizutreten.

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"In Bezug auf Korruptionsbekämpfung, Reformen und militärische Umbildung ist das Land näher an die NATO herangerückt, aber auch hier gibt es Verbesserungen im militärischen Bereich und immer noch Hürden bei der Korruptionsbekämpfung und den Justizreformen", so Alberque weiter.

"Deutschland war während des gesamten Kalten Krieges von der UdSSR besetzt und ist dennoch 1955 dem Bündnis beigetreten. In der Tat war das Projekt der Wiedervereinigung Deutschlands einer der zentralen Gründe für den Westen und die NATO", sagte er.

Viele sind der Meinung, dass die Frage des Beitritts seit der Ablehnung eines Aktionsplans für die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens im Jahr 2008 nicht mehr wirklich auf dem Tisch liegt.

Wenn die Ukraine dem Bündnis beitreten würde, würden die Mitgliedstaaten "im Grunde genommen einen Krieg mit Russland aufnehmen, und das ist einfach extrem unwahrscheinlich", so Charap.

So hat US-Präsident Joe Biden bereits erklärt, dass er im Falle einer russischen Invasion keine US-Truppen in die Ukraine schicken würde, was bei einem Beitritt des Landes zum Bündnis für alle 30 NATO-Mitglieder erforderlich wäre.

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"Ich denke, dass die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine noch in weiter Ferne liegt", so Loss.

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