"Es wird wirklich schwierig" - steigende Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt Europas

Sonnenblumenöl wird knapp - nur eines der Phänomene gestiegener Lebenshaltungskosten
Sonnenblumenöl wird knapp - nur eines der Phänomene gestiegener Lebenshaltungskosten Copyright THOMAS COEX / AFP
Von Méabh Mc Mahon
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Mit einer Million Menschen in Belgien, die Schwierigkeiten haben, Energierechnungen zu bezahlen, und einer Inflation in Belgien, die zu den höchsten in Europa gehört, spüren die Einheimischen die Not. Aber noch herrscht keine Panik.

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"Leider reicht die Summe Ihrer Raten nicht aus. Um Ihren tatsächlichen Verbrauch für den Zeitraum vom 02.01.2021 bis 03.11.2022 abzurechnen, ist eine zusätzliche Nachzahlung von 3.192,23 € nötig."

3.192,23 EURO – das muss ich ein Jahr nach dem Einzug in ein renovierungsbedürftiges Haus nahe der Brüsseler Innenstadt an den belgischen Stromkonzern Bolt Energy zahlen. Zusätzlich zu den bereits hohen monatlichen Bolt-Rechnungen.

Mit einer Million Menschen in Belgien, die Schwierigkeiten haben, Energierechnungen zu bezahlen, und einer Inflation in Belgien, die zu den höchsten in Europa gehört, spüren die Einheimischen die Not. Aber es ist ein sonniger Tag auf Brüssels Haupteinkaufsstraße Rue Neuve, und Passanten sagen mir, dass sie sich Sorgen machen - aber Panik? Fehlanzeige.

„Meine Mutter ist ins benachbarte Luxemburg und in die Niederlande gefahren, um literweise Benzin zu kaufen“ – erzählt mir ein junges Mädchen, während ihr Freund mir sagt, dass seine Miete wegen der gestiegenen Stromrechnungen um 300 Euro erhöht wurde.

Eine junge portugiesische Mutter erzählt mir, wie schwer es sei, für ihre Kinder zu sorgen. Für 78 Windeln zahlt sie jetzt 50 Euro, vorher 30 Euro.

Mehl, Zucker, Milch, Brot – es ist alles weg, sagte mir ein anderer Mann – und fügte hinzu, er hoffe, dass die Regierung die Bedürftigen und nicht nur die Mittelschicht unterstütze. Ein anderer behinderter Mann erzählt mir auf Flämisch, dass er Mühe hat, über die Runden zu kommen, da seine monatliche Behindertenbeihilfe von 331 Euro nicht erhöht wurde.

Eine Frau, die die Situation genau beobachtet, ist Helen Willets von Social Platform. Bei einem sehr teuren Kaffee erzählt mir Helen, wie sich der Krieg in der Ukraine und die Inflationsraten auf die 45 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in ganz Europa auswirken, die sie vertritt. Sie wünscht sich, dass die Zivilgesellschaft mit den politischen Entscheidungsträgern an einem Tisch sitzt. 

„Es ist eine Krise, die für viele der Menschen, die wir vertreten, bereits andauerte, also hat sie nur zu einem System beigetragen, das bereits durch den Umgang mit der Covid-Pandemie belastet war und sogar versuchte, sich von den Auswirkungen der Sparmaßnahmen zu erholen“, sagt sie. „Wir vertreten ältere Menschen, verschiedene Gruppen in der gesamten EU, und wenn die Zivilgesellschaft nicht die von den Regierungen hinterlassenen Lücken füllen würde, würden viele Menschen ihre und sozialen Rechte als nicht erfüllt ansehen."

Der italienische Ökonom David Rinaldi, Politik- und Studiendirektor bei der sozialistischen Denkfabrik FEPS, sagt mir, dass die Situation noch komplexer und ernster sei, als wir dachten, dass der Preisanstieg vor der russischen Invasion in der Ukraine stattgefunden habe – und verweist auf seine Besorgnis über den Airbnb-Effekt und Gentrifizierung.

„In einem Kontext, in dem Sie steigende Wohnkosten, Energiekosten, Transportkosten und Lebensmittelkosten haben, wird es also wirklich schwierig. Dies geschieht bedauerlicherweise Jahrzehnte, nachdem die Lohnquote angefangen hat zu sinken, sodass die Gehälter im Laufe der Zeit immer niedriger wurden. Es ist sehr schwierig. Ich sehe nicht, wie wir aus dieser Krise herauskommen können, wenn wir der Kaufkraft der Menschen nicht Priorität einräumen, indem wir die Gehälter erhöhen.“ Er fügt er hinzu, dass der öffentliche Sektor den Zugang zu verschiedenen Nahrungs- und Energiequellen sichern und die Handelswege diversifizieren muss.

Ich besuche einen türkischen Bäcker und ein Lebensmittelgeschäft in einer ärmeren Ecke von Brüssel. Es war das Schild „Hier Mehl“, das mich anlockte. Cherif ist herzlich und einladend und bietet mir einen Teller mit türkischen Köstlichkeiten an. 

Er verkauft kiloweise Mehl und literweise Sonnenblumenöl und betreibt einen florierenden Handel – er füllt die Lücke, die der deutsche Discounter Lidl hinterlassen hat, dem Anfang März das Mehl ausgegangen war. Eine Notwendigkeit für ärmere Familien in Brüssel, einer Stadt mit einer Arbeitslosenquote von 15,9 Prozent (!), wo 3 von 10 Menschen jenseits der Armutsgrenze leben.

Journalist • Stefan Grobe

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