Miliband: "Die Ukraine ist heute ein Land der Angst"

Eine ältere Frau mit ihrem Hund in ihrer zerstörten Wohnung in Kramatorsk, Ost-Ukraine. 5. Mai 2022,
Eine ältere Frau mit ihrem Hund in ihrer zerstörten Wohnung in Kramatorsk, Ost-Ukraine. 5. Mai 2022, Copyright YASUYOSHI CHIBA/AFP or licensors
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Von Stefan Grobe
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Die EU-Kommission hat weitere anti-russische Sanktionen vorgeschlagen, um Moskau für der Krieg in der Ukraine zu bestrafen. Dort fanden vor dem Hintergrund einer dramatischen humanitären Lage die ersten Evakuierungen aus Mariupol statt.

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Während der Stellungskrieg in der Ukraine weitergeht, kündigte die EU diese Woche eine sechste Runde von Sanktionen gegen Russland an. Sie enthalten die bislang schärftsten Maßnahmen, darunter auch ein totales Ölimportverbot sowie Sanktionen gegen Banken und mutmaßliche Kriegsverbrecher.

Doch es ist das seit Wochen diskutierte Ölembargo, das für die EU das bisher größte Opfer bedeutet, um Russland und seiner Wirtschaft Schaden zuzufügen.

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin: "Wir gehen heute unsere Abhängigkeit von russischem Öl an. Klar dabei ist, es wird nicht einfach, denn einige Mitgliedsstaaten sind sehr stark abhängig von Russland. Doch wir müssen es tun."

Also, “es wird nicht einfach” ist eine Untertreibung.

Die tschechischen und slowakischen Regierungen äußerten Widerstand und verlangten eine Übergangsperiode.

Und hier ist der ungarische Außenminister Peter Szijjarto: "In dieser Form können wir das Brüsseler Sanktionspaket nicht unterstützen und nicht verantwortungsvoll dafür stimmen. Ungarn kann den Sanktionsmaßnahmen nur zustimmen, wenn Öllieferungen via Pipeline von den Sanktionen ausgeschlossen sind."

Verhandlungen in Brüssel sind stets hart, wenn es um große Pakete wie diesem geht. 

A propos harte Verhandlungen.

Mehr als zwei Monate nach dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine, konnten Helfer der Vereinten Nationen die ersten Evakuierten aus der belagerten Stadt Mariupol und dem zerstörten Stahlwerk Azovstal betreuen. Vorausgegangen waren Gespräche des UN-Generalsekretärs in Moskau und Kiew.

Koordiniert von der UNO und dem Roten Kreuz wurden in bislang zwei Evakuierungsoperationen mehrere hundert Zivilisten gerettet.

Doch werden noch immer zahlreiche eingeschlossene Menschen in Mariupol vermutet, die dringend Hilfe benötigen. Nur ein Beispiel der katastrophalen humanitären Situation in vielen Teilen des Landes.

Dazu ein Interview mit David Miliband, Chef des Internationalen Rettungskomitees IRC und früherer britischer Außenminister.

Euronews: Wie dramatisch ist die Lage vor Ort, was sehen und hören Sie?

Miliband: Also, ich bin gerade aus Moldau und der Zentralukraine zurückgekehrt. Alle ihre Zuschauer dürften wissen, dass die Ukraine heute ein Land der Angst ist. Es ist eine Angst von Menschen, die von Zuhause vertrieben wurden. Fünf Millionen haben es in Nachbarstaaten geschafft, weitere fünf bis sieben Millionen sind innerhalb der Ukraine versprengt. Ich traf Menschen, die ihre kämpfenden Väter, Brüder und Ehemänner zurücklassen mussten, die nur ein paar Habseligkeiten sei sich haben und die medizinische, wirtschaftliche und psychologische Unterstützung brauchen, um mit dem erlebten Trauma fertig zu werden.

Euronews: Was ist denn das dringendste Bedürfnis in der Ukraine?

Miliband: Es gibt zwei Kategorien. Zunächst gibt es Städte unter Belagerung, das extremste Beispiel hier ist Mariupol. Das humanitäre Bedürfnis hier ist, diese Menschen am Leben zu erhalten und die Versorgung mit Wasser, Medizin und Lebensmittel sicherzustellen. Der Rest des Landes ist relativ sicher. Und hier geht es darum, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Meine Organisation hilft durch Bargeldspenden, durch die Unterstützung des Gesundheitswesens und der Gesundheitsbehörden, denn das Gesundheitssystem ist extremem Stress ausgesetzt.

Euronews: Inwieweit ist die Ukraine anders als andere Kriege, in denen das IRC geholfen hat?

Miliband: Der größte Unterschied ist, dass der Krieg in der Ukraine ein Krieg zwischen Staaten und kein Bürgerkrieg ist. Dann herrscht hier die absolute Straflosgkeit, Verbrechen werden verübt ohne Konsequenzen. Wie erleben in der Ukraine und auch anderswo die Bedrohung der Lebensgrundlage der Bevölkerung.

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Euronews: Eine Frage an den früheren Außenminister. Wie wird das enden, gibt es eine realistische Chance auf eine diplomatische Lösung?

Miliband: Kriege enden entweder durch Sieg oder durch Erschöpfung auf beiden Seiten. Wir haben gesehen, dass es keinen klaren Sieg der russischen Armee geben wird. Aber wir sind derzeit weit davon entfernt, dass beide Seiten erschöpft sind. Und das bedeutet eine möglicherweise lange Herausforderung der ukrainischen Bevölkerung und seine europäischen Nachbarn, mit den Kriegsfolgen umzugehen. Niemand weiß, was Präsident Putin am kommenden Montag, dem 9. Mai, dem Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg, in seiner Rede sagen wird. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir, während wir auf eine bestmögliche diplomatische Lösung hoffen, uns auf den schlimmsten Fall vorbereiten. Und das tun wir als humanitäre Organisation.

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