Warum "hasst" Jean-Luc Mélenchon Deutschland?

Jean-Luc Mélenchon hat sich öffentlich häufig negativ über Deutschland und seine Bevölkerung geäußert. Woher kommt diese Abneigung?
Jean-Luc Mélenchon hat sich öffentlich häufig negativ über Deutschland und seine Bevölkerung geäußert. Woher kommt diese Abneigung? Copyright Daniel Cole/AP
Von Alexandra Leistner
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Deutschland steht für alles, was Macron-Herausforderer Mélenchon verachtet: Wie würde Europa unter einem französischen Premier Mélenchon aussehen?

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Im ersten Durchgang der von ihm "dritte Runde der Präsidentschaftswahlen" getauften Parlamentswahlen hat Jean-Luc Mélenchon mit seiner Linksallianz Nupes zwar nur den zweiten Platz gemacht - es ist aber noch nicht ganz auszuschließen, dass ihm der große Coup gelingt und er die Mehrheit im Parlament übernimmt.

Sollte der Zusammenschluss aus Mélenchons Partei La France Insoumise, Sozialisten, Grünen und Kommunisten in der zweiten Runde am kommenden Sonntag zulegen, könnte es zu einer sogenannten Cohabitation kommen - in der der Präsident des Landes (Macron) und die stärkste Fraktion im Parlament unterschiedlichen politischen Lagern angehören.

Sollte der Altlinke Jean-Luc Mélenchon dann zum Premierminister gewählt werden, weht in Europa aller Wahrscheinlichkeit nach ein anderer Wind. 

Was hat Mélenchon gegen Deutschland?

Schon vor der Präsidentschaftswahl, in der Mélenchon den Einzug in die Stichwahl gegen Marine Le Pen verlor, war über dessen kritische Haltung gegenüber Deutschland berichtet worden.

Bereits im Jahr 2015 löste Mélenchon mit seinem Pamphlet "Deutschland: Der Bismarckhering – das deutsche Gift" eine Polemik aus. Darin kritisiert er die deutsche Politik und bezeichnet Deutschland als "Monster", das die EU fest im Griff hat und nur aus eigenen Interessen handelt.

Durch das Buch wollte Mélenchon auch die in seinen Augen fehlgeleitete Bewunderung vieler Franzosen und Französinnen für das "deutsche Modell" aufdecken und dem positiven Bild der deutschen Wirtschaft als Vorbild für andere Länder in den Medien entgegentreten.

In Europa gilt das Tandem Frankreich-Deutschland als dominant - will Mélenchon das ändern? Der Vorsitzende der "Insoumis" (Ungehorsamen) steht für einen antiliberalen, antikapitalistischen Kurs, vielmehr unterstützt er große staatliche Eingriffe, will Managergehälter deckeln, eine Mindestrente und ein Grundeinkommen für junge Leute einführen und verspricht die Deckelung von Energiepreisen.

"Für Mélenchon ist Deutschland eine Projektionsfläche, um zu begründen warum er der EU so kritisch gegenübersteht und warum er die Europapolitik Frankreichs verändern will",erklärt Dr. Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gegenüber Euronews.

Deutschland verantwortlich für EU-Politik

"Deutschland ist die Führungsmacht in der Europäischen Union, die für alles steht, wogegen Mélenchon eintritt und was es den Staaten aus seiner Sicht schwer macht, sozialpolitisch wirken zu können. Für ihn zentral ist, dass Deutschland in erster Linie mitverantwortlich ist für den fehlgeleiteten Kurs der Europäischen Union", so Politikwissenschaftlerin Kempin.

Wenn Mélenchons Linksbündnis in der Nationalversammlung eine Mehrheit hätte, wäre Macron an der Seite Deutschlands "ein geschwächter Partner".

Während es für Deutschland dann schwieriger werden dürfte, seinen europapolitischen Kurs durchzubringen, könnten sich kleinere Länder in der EU über eine Veränderung der Machtverhältnisse freuen.

Die Legitimität des deutsch-französischen Tandems werde in den ost- und mitteleuropäischen Staaten immer weniger anerkannt, erklärt Kempin. Dort sehe man es so, dass ihren Warnungen vor Russland nicht Folge geleistet wurde und Berlin und Paris Putin gegenüber zu freundschaftlich auftraten.

Eine eventuelle "Kohabitation" zwischen Elysée-Palast und Palais Bourbon, dem Sitz der französischen Nationalversammlung, bietet Kempin zufolge auch eine Chance für Reformen. Der Präsident wäre dann stärker an Absprachen mit den Parteien der Linksallianz gezwungen.

"Klappt das Zusammenspiel, könnte sich ein Fenster auftun für Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union."

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SWP Berlin
Dr. phil. Ronja KempinSWP Berlin

Dr. phil. Ronja Kempin ist Politikwissenschaftlerin und Senior Fellow der EU/Europe Research Group bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ihre Schwerpunkte umfassen deutsch-französische Beziehungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Rolle des Front National und des Populismus in Frankreich.

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