Weg von russischem Erdgas: So gehen die EU-Staaten vor

Firmenschild von Gazprom Germania, dem deutschen Gazprom-Ableger
Firmenschild von Gazprom Germania, dem deutschen Gazprom-Ableger Copyright Michael Sohn/Copyright 2022 The Associated Press
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Von euronews
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Die Staaten der Europäischen Union wollen Schritt für Schritt auf Erdgas aus Russland verzichten. Die Rubel-Bezahlforderung aus Moskau beschleunigt das. Manchen Ländern fällt der Verzicht auf Gas aus Russland schwer.

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Russland ist in Europäischen Union der Hauptlieferant fossiler Energieträger. Das Land führt Krieg in der Ukraine, ein Ende des Vorgehens ist nicht absehbar. Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt, der Kreml hat in den vergangenen Monaten wiederum einigen EU-Staaten teilweise oder vollständig den Gashahn zugedreht. Das wirkt sich auf die Wirtschaft der jeweiligen Länder und auf die russische Wirtschaft aus.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte eine Verordnung in Kraft gesetzt, die besagt, dass Energieunternehmen Rubelkonten bei der Gazprombank eröffnen müssen, um die Gasrechnungen zu begleichen. Einige Länder taten das nicht, da sie befürchteten, auf diese Weise gegen Sanktionsvorschriften zu verstoßen. Russland ergreift Maßnahmen gegen die Länder, die den von Moskau eingeführten Überweisungsbedingungen nicht nachkommen und deshalb als „unfreundlich" eingestuft werden.

Und die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer bereiten sich auf einen möglichen vollständigen Halt russischer Gaslieferungen vor. Unter Wirtschaftsfachleuten wird über die Frage diskutiert, welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirken das haben könnte. Einige meinen, es werde in einem solchen Fall einen deutlichen Wirtschaftsabschwung geben und dass einige Länder dann mit Energieträgern haushalten müssten.

Das Ziel: geordnete Notfallmaßnahmen

Die Europäische Kommission arbeitet an der Aufstellung geordneter Notfallmaßnahmen, um Einzellösungen zu vermeiden, die sich als Flickenteppich erweisen könnten - so wie beispielsweise zeitweise während der Covid-19-Pandemie.

„Wir müssen uns jetzt auch auf weitere Unterbrechungen der Gasversorgung und sogar auf einen vollständigen Halt der russischen Gaslieferungen vorbereiten", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Es ist offensichtlich: Putin setzt Energie weiterhin als Waffe ein", sagte sie.

Es folgt eine Übersicht der EU-Länder, die bisher von Gegenmaßnahmen betroffen sind.

Polen und Bulgarien

Die beiden Staaten waren Ende April die ersten in der EU, die kein Erdgas aus Russland mehr geliefert bekamen. Das russische Staatsunternehmen Gazprom setzte beide Länder darüber in Kenntnis, da weder Bulgarien noch Polen ihre Rechnungen in Rubel begleichen wollten.

Beide Länder lehnten das von Russland eingeführte Verfahren ab und kündigten an, verstärkt auf andere Energieträger zu setzen.

Polen etwa griff auf Kohle zurück und verfügt in Swinemünde über einen Anleger, an dem auf dem Schiffweg geliefertes Gas in die Netze weitergeleitet werden kann. Auf diesem Weg kommt zum Beispiel Erdgas aus Ägypten, Israel, Katar und den Vereinigten Staaten nach Polen.

Bulgarien war stark von russischen Gaslieferungen abhängig und entschied, die Strömmenge der Fernleitung zu erhöhen, die Gas aus Aserbaidschan anliefert.

Finnland

Gazprom teilte am 20. Mai mit, dass dem Land kein Erdgas mehr geliefert werden würde, da das finnische Unternehmen Gasum nicht der Forderung nachkam, die Ankauf in Rubel zu bezahlen. Diese Entscheidung fiel auf den Zeitpunkt, als sich Finnland bereit machte, NATO-Mitglied zu werden, was in Moskau auf Ablehnung gestoßen war.

Rund fünf Prozent der jährlich in Finnland genutzten Energie entfiel auf russisches Erdgas.

Dänemark und Niederlande

Ähnlich wie das finnische Staatsunternehmen Gasum entschloss sich auch der dänische Energiekonzern Ørsted, nicht wie von Russland gefordert, Rechnungen in Rubel zu begleichen. Gazprom lieferte deshalb kein Erdgas mehr. Die dänische Staatsministerin Mette Frederiksen hatte dem russischen Präsidenten vorgeworfen, mit der Anordnung Erpressung zu betreiben.

Fast zeitgleich erhielt auch das niederländische Unternehmen GasTerra kein Erdgas von Gazprom mehr. Der Grund war derselbe wie bei Ørsted. GasTerra ergriff eigener Aussage nach Maßnahmen, um andernorts Ersatz für die ausbleibenden Lieferungen zu beschaffen.

Deutschland, Frankreich, Italien

Ludovic Marin/AP
Iohannis, Draghi, Scholz und Macron während ihres Besuchs beim ukrainischen Präsidenten in Kiew.Ludovic Marin/AP

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, der rumänische Präsident Klaus Iohannis und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi reisten Mitte Juni gemeinsam nach Kiew. Auch die drei größten Volkswirtschaften in der Europäischen Union (Deutschland, Frankreich, Italien) sind von abebbenden Erdgaslieferungen aus Russland betroffen.

Über die Fernleitung Nord Stream 1 strömten 40 Prozent weniger Erdgas als zuvor von Russland nach Deutschland. Durch das Rohrsystem wurden zuvor jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas in Richtung Greifswald gepumpt, um dort in die deutschen Netze verteilt zu werden.

Laut Gazprom waren Wartungsarbeiten der Grund für die Verringerung der Liefermenge. Scholz äußerte: „Niemand von uns glaubt, dass die technischen Gründe, die für die Reduktion von Gaslieferungen gegenwärtig von russischen Lieferanten angeführt werden, zutreffen.“

Deutschland kündigte an, seine Bemühungen, Energieträger aus anderen Ländern einzuführen, zu verstärken. Auch das vorübergehende, wieder verstärkte Zurückgreifen auf Kohle zur Stromerzeugung wurde in den Blick genommen.

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Das italienische Energieunternehmen Eni eröffnete ein Rubelkonto bei der Gazprombank, gab aber auch bekannt, dass die Zufuhr russischen Erdgases um 15 Prozent gesunken sei.

Ministerpräsident Draghi zweifelte die Begründung von Wartungsarbeiten an und sprach davon, dass Erdgas ebenso wie Getreide als politisches Druckmittel eingesetzt werde.

Das französische Unternehmen GRTgaz gab zwischenzeitlich bekannt, dass es über Fernleitungen kein russisches Erdgas mehr erhalte, während die Regierung später erläuterte, dass weiterhin Gas geliefert werde, die Mengen aber schwankten.

Österreich, Slowakei, Tschechien

Das österreichische Unternehmen OMV berichtete von der Halbierung der aus Russland gelieferten Erdgasmenge, Anfang Juli sei die Menge dann wieder etwas angewachsen.

Der Konzern SPP aus der Slowakei teilte mit, die Liefermengen seien schrittweise zurückgefahren worden. Auch nach Tschechien strömte weniger russisches Erdgas, die Energieversorgung sei aber nicht gefährdet, hieß es von Behördenseite.

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Vor dem Europäischen Parlament betonte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, dessen Land seit Anfang Juli den EU-Ratsvorsitz innehat, man werde seine Gasspeicher auffüllen, um für den Winter gerüstet zu sein. Er warb für gemeinsames Handeln:

„Wir sollten immer daran denken, dass wir uns in einer Lage befinden könnten, in der die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten mehr denn je erforderlich ist", sagte Fiala.

Die immer länger werdende Liste der rückläufigen Erdgaslieferungen lässt Zweifel an dem kürzlich vereinbarten Ziel der EU aufkommen, bis zum 1. November mindestens 80 Prozent der Gasspeicher zu füllen, um einen Winter der Knappheit zu vermeiden.

Derzeit liegt der Speicherstand in der gesamten Union bei 60 Prozent, wobei nur drei Länder - Portugal, Polen und Dänemark - die 80 Prozent-Marke überschreiten.

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