Europa wächst zusammen - dank Putin

EU-Ratsvorsitzender Petr Fiala, die Regierungschefs von Nordmazedonien und Albanien, Dimitar Kovacevski und Edi Rama, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
EU-Ratsvorsitzender Petr Fiala, die Regierungschefs von Nordmazedonien und Albanien, Dimitar Kovacevski und Edi Rama, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Copyright Virginia Mayo/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved
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Von Stefan Grobe
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Als die EU vor einigen Wochen den Kandidatenstatus an die Ukraine vergab, warf sie eine Jahrzehnte alte Beitrittsdiplomatie über Bord. Dadurch wuchs der Druck auf Brüssel so sehr, die Getreuen auf dem Balkan nicht zu vergessen, Albanien und Nordmazedonien. Themen diese Woche in #State of the Union

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In Nordmazedonien und Albanien haben diese Woche die Sektkorken geknallt – politisch gesehen.

Beide Balkanländer kamen ihrem Langzeitziel näher, Mitglieder der Europäischen Union zu werden, als die offiziellen Verhandlungen endlich begannen. Darauf warteten beide Kandidaten seit Jahrzehnten. Hoffentlich war also der Sekt in Tirana und Skopje noch gut...

Der Grund, warum die Beitrittsgespräche jetzt begannen war, dass kürzlich entscheidende rechtliche Hürden genommen wurden und, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, dass beide Länder hart daran gearbeitet haben, europäische Standards zu erreichen.

"Sie haben Widerstandskraft bewiesen. Sie haben an den Beitrittsprozess geglaubt. Sie haben die Rechtsstaatlichkeit gestärkt und gegen Korruption gekämpft. Sie haben freie Medien. Sie haben eine dynamische Zivilgesellschaft. Sie haben zahlreiche Reformen durchgesetzt - und Sie haben ihre Wirtschaft modernisiert."

Es gibt aber noch einen anderen Grund. Als die EU vor einigen Wochen den Kandidatenstatus an die Ukraine vergab, warf sie eine Jahrzehnte alte Beitrittsdiplomatie über Bord. Dadurch wuchs der Druck auf Brüssel so sehr, die Getreuen auf dem Balkan nicht zu vergessen, Albanien und Nordmazedonien.

Mit anderen Worten, der Krieg in der Ukraine hat, direkt und indirekt, eine stärkere demokratische Identität in Europa geschaffen und das Gefühl, dass die demokratischen Staaten zusammenrücken müssen gegen ein aggressives Russland.

So war es keine Überraschung, dass die EU diese Woche ihre anhaltende Unterstützung für die Ukraine wiederholte und neue Sanktionen gegen Russland auf den Weg brachte. Zugleich wies Brüssel mit aller Härte den Vorwurf zurück, dass die EU-Sanktionen schuld am starken Anstieg der Energiepreise seien und damit Haushalte und Unternehmen in die Zange nähmen.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell "Der Ölpreisanstieg begann einen Monat vor dem Krieg, er kletterte daraufhin nur noch mehr. Aber seit wir die Sanktionen beschlossen und russische Ölimporte verboten haben, hat sich der Ölpreis wieder entspannt."

Die EU unterstrich zudem, dass die Sanktionen tatsächlich Wirkung zeigten und die russische Wirtschaft in großen Probleme stürzten. Doch ist das wirklich der Fall? Schließlich gibt es eine kontroverse Debatte unter Experten über die Wirksamkeit der Sanktionen.

Dazu ein Interview mit Stefan Lehne von Carnegie Europe, ein früherer Spitzenbeamter der EU und des österreichischen Außenministeriums.

Euronews: In der öffentlichen Wahrnehmung funktionieren die Sanktionen nicht wirklich, und Russland kann gut mit ihnen umgehen. Wie sehen Sie die Dinge?

Lehne: Ich denke, dass kaum ein Experte glaubt, dass die Saktionen die russische Wirtschaft sofort zum Einsturz bringen und Putin zwingen, den Krieg zu beenden. Die Sanktionen waren als mittel- und langfristiges Instrument geplant, sie zeigen aber schon Wirkung. Und diejenigen die sagen, die Sanktionen würden der EU mehr schaden als Russland, könnten nicht falscher liegen.

Die russische Wirtschaft wird in diesem Jahr um 11,4 Prozent schrumpfen, während die der EU um 2,7 Prozent wächst. Die Inflation ist in der EU mit acht Prozent sehr hoch, die in Russland ist aber doppelt so stark. Es gibt also keinen Zweifel, dass die Sanktionen Russland erheblich schaden und die Kriegskosten in die Höhe treiben.

Euronews: In welchen Sektoren funktionieren die Sanktionen und in welchen nicht?

Lehne: Der am stärksten betroffene Sektor ist eindeutig der Technologiebreich. Schauen Sie etwa auf die Luftfahrt. Zwei Drittel aller in Russland operierenden zivilen Flugzeuge kommen aus dem Ausland. Das heißt, dass Russland nun keine Ersatzteile mehr bekommt, wodurch die Fluggesellschaften dort in den nächsten Monaten vor große Probleme gestellt werden.

Die Automobilindustrie ist praktisch zusammengebrochen, nachdem westliche Hersteller das Land verlassen haben. Auch fehlen der russischen Produktion wichtige Elemente wie etwa Airbags. Dies sind also Sektoren, bei denen Russland wirklich leidet. 

Ein Bereich, in dem die Sanktionen weniger durchschlagend waren, ist der Finanzsektor. Dank der gewaltigen Einnahmen aus dem Energiegeschäft ist die Landeswährung Rubel fast so stark wie vor dem Krieg. Auch hat Russland in seinem Haushalt einen Überschuss. Doch das dürfte sich bis zum Jahresende ändern, wenn in der EU das Verbot der Ölimporte aus Russland abgeschlossen sein wird. Langfristig wird der Westen seine Abhängigkeit von russischer Energie abschütteln und damit Putins wirtschaftliches Modell für Russland komplett in Frage stellen.

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