Die Woche in Europa: Beziehungskrise zwischen Paris und Berlin

Auf Augenhöhe? Olaf Scholz und Emmanuel Macron diese Woche in Paris
Auf Augenhöhe? Olaf Scholz und Emmanuel Macron diese Woche in Paris Copyright Christophe Ena/Copyright 2022 The AP. All rights reserved
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Von Stefan Grobe
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Wie schwerwiegend sind die derzeitigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland? Thema der aktuellen Ausgabe von #StateoftheUnion

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Kein anderes Land in Westeuropa ist für seine angeblich unbefriedigende Unterstützung der Ukraine mehr kritisiert worden als Deutschland.

Seiner politischen Klasse wurde vorgeworfen, Jahre lang mit dem Kreml zu eng auf Tuchfühlung gewesen zu sein, um deutsche Wirtschaftsinteressen zu schützen.

Während der vergangenen Monate fiel dies gnadenlos auf Berlin zurück. Die ehemaligen Kanzler Schröder und Merkel mussten Kritik einstecken, und das jetzige Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier, ein Ex-Außenminister, musste sich öffentlich für Fehler in der Russland-Politik entschuldigen.

In dieser Woche reiste Steinmeier überraschend in die Ukraine, die sich noch vor einem halben Jahr geweigert hatte, ihn zu empfangen. In der nördlichen Stadt Koriukivka musste er dann in einen Luftschutzbunker, nachdem in dem Ort plötzlich die Sirenen losgingen. Mehr als andere westliche Staatsmänner hat Steinmeier also erfahren, wie der Krieg den Alltag in der Ukraine bestimmt.

Zur gleichen Zeit, zeigte Deutschland auch in Berlin seine Unterstüzung für die Ukraine, nämlich als die Regierung zusammen mit der EU-Kommission eine Konferenz zum Wiederaufbau des zerstörten Landes organisierte. Eine gigantische Aufgabe.

"Das Ausmaß der Zerstörung ist unvorstellbar. Die Weltbank schätzt die Schadenssumme auf 350 Milliarden Euro. Kein Land kann das alleine stemmen, deshalb müssen wir alle mit anpacken", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Und Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: "Es geht hier um nichts anders als einen neuen Marshall-Plan für das 21. Jahrhundert. Eine Aufgabe, die jetzt beginnen muss. Der Wiederaufbau und die Modernisierung der Ukraine ist eine Herausforderung für Generationen, die die gesamte Stärke der internationalen Gemeinschaft erfordert.”

Deutschlands Rolle beim Management der Folgen des Kriegs in der Ukraine hat unterdessen zu angespannten Beziehungen zu seinem engsten Freund und Verbündeten geführt: Frankreich. Paris ist verärgert über Berlins Alleingänge bei der Energiepreisdämpfung, bei der Verteidigungsstrategie und bei der China-Politik.

In dieser Woche trafen sich Emmanuel Macron und Olaf Scholz zu einem hastig arrangierten Mittagessen in Paris, nachdem die urspünglich geplanten Regierungskonsultationen kurzfristig verschoben worden waren.

Zu sagen, es gebe Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich ist eine Untertreibung.

Ist die Beziehung in einer echten Krise? Brauchen wir ein weiteres tête-à-tête, um die Dinge wieder einzurenken? Vielleicht mit einem Abendessen... 

Dazu Fragen an Ronja Kempin, Frankreich-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Euronews: Das deutsch-französische Paar hat derzeit Beziehungsprobleme. Wie ernst sind diese, sind sie schwerwiegender als in der Vergangenheit?

Kempin: Das ist schwer zu sagen. In den fast 60 Jahren der deutsch-französischen Freundschaft hat es immer wieder Aufs und Abs gegeben Was heute anders ist, ist, dass der Krieg das Gleichgewicht des Paars geändert hat. Bisher war Frankreich immer das Sicherheits- und Verteidigungskraftzentrum, Deutschland eher das wirtschaftliche. Mit dem Krieg versucht Deutschland, auch ein militärisches Schwergewicht in Europa zu werden und fordert Frankreich damit praktisch heraus. Deswegen sind die Dinge eben im Moment ein wenig kompliziert.

Euronews: Eine Beziehungskrise kann von den Partnern emotional unterschiedlich empfunden werden - wer leidet mehr, Paris oder Berlin?

Kempin: Ich bin geneigt zu sagen Paris, denn die Franzosen warten seit geraumer Zeit darauf, dass sich Deutschland dem europäischen Integrationsprozess voll anschließt. So wartet Paris etwa auf eine deutsche Antwort auf Macrons berühmte Rede an der Sorbonne 2017. Und die Franzosen haben gehofft, dass die neue Koalition in Berlin einen anderen europäischen Ansatz verfolgen würde. Nun aber macht Deutschland viele Dinge im Alleingang, worunter Frankreich leidet, denn Paris fürchtet den Verlust seines engsten und wertvollsten Verbündeten.

Euronews: Staaten haben Interessen, aber auch Menschen an der Spitze. Wie würden Sie die Chemie zwischen Emmanuel Macron und Olaf Scholz beschreiben?

Kempin: Die beiden kennen sich ziemlich gut aus ihrer jeweiligen Ministerzeit in früheren Regierungen, das dürfen wir nicht vergessen. Beide haben indes sehr unterschiedliche Temperamente. Wir haben einen deutschen Bundeskanzler, der stets sehr reduziert in seinen Äußerungen ist, während der französische Präsident es liebt zu überzeugen, zu argumentieren, viel zu sagen. Beide - ich halte das im persönlichen Verhältnis für schwierig - haben sehr deutlich gemacht, dass sie die Führung der Europäischen Union übernehmen wollen.

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