Die Woche in Europa - Demokratie unter Druck von Budapest bis Washington

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
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Von Stefan Grobe
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Drei Wochen vor Weihnachten war die EU-Kommission mit ihrer Geduld am Ende und holte gegenüber Viktor Orban die Rute aus dem Sack. Brüssel will mehr als 13 Milliarden Euro an EU-Mitteln für Ungarn weiter eingefroren lassen - wegen rechtsstaatlicher Bedenken und mangelnder Korruptionsbekämpfung.

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Drei Wochen vor Weihnachten war die Europäische Kommission mit ihrer Geduld am Ende und holte gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban die Rute aus dem Sack.

Brüssel will mehr als 13 Milliarden Euro an EU-Mitteln für Ungarn weiter eingefroren lassen - wegen rechtsstaatlicher Bedenken und mangelnder Korruptionsbekämpfung im Land.

Schon im September hatte die Kommission damit gedroht, die Gelder nicht auszuzahlen, da sie die Sorge hatte, die Mittel könnten in Ungarn ohne Kontrolle versickern. Budapest hatte bis Mitte November Zeit, ausreichende Anti-Korruptionsmaßnahmen zu treffen, doch das geschah nicht.

Nun bleibt das Geld aus.

Didier Reynders, EU-Justizkommissar: "Diese Auflagen sind verbindlich und zeitlich uneingeschränkt. Das bedeutet, sie müssen vollständig vor dem ersten Auszahlungsantrag Ungarns umgesetzt werden. Es gibt keine teilweise Auszahlung für eine teilweise Umsetzung."

Nichts von dem war eine wirkliche Überraschung, denn das Verhältnis Budapests zur EU ist seit Jahren angespannt.

Eine Überraschung ist da schon eher, dass Europas Beziehungen zu den Vereinigten Staaten immer schlechter werden. Der Grund ist, dass Washington an einer protektionistischen Handelspolitik festhält und die Biden-Regierung ihre Version von “America First” praktiziert.

Die Europäer befürchten, dass ihre Unternehmen absichtlich ins Hintertreffen geraten, was die transatlantische Partnerschaft arg strapazieren könnte.

Dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron fiel es zu, eine Warnung an Joe Biden zu übermitteln: “Die Politik Washingtons schafft derartige Ungleichgewichte zwischen den USA und Europa, dass viele Unternehmen nicht länger auf der anderen Seite des Atlantiks investieren werden."

Einige sagen, Ungarn und die USA spielen nicht nach demokratischen Regeln - übertrieben?

Beide wurden diese Woche in einem vielbeachteten Bericht zur Lage der Demokratie in der Welt erwähnt - in Verbindung mit wachsender politischer Polarisierung, institutioneller Funktionsstörung und bedrohten Bürgerrechten.

Es scheint John F. Kennedy hatte recht, als er sagte: "Demokratie ist nie vollendet, sie muss immer wieder neu erkämpft werden."

Dazu ein Interview mit Kevin Casas-Zamora, Generalsekretär des Instituts für Demokratie und Wahlhilfe (International IDEA) in Stockholm.

Euronews: Ihr jüngster Bericht ist ernüchternd und alarmierend zugleich, wenn sie sagen, die Demokratie verliere dramatisch an Zuspruch. Was ist los in der Welt?

Casas-Zamora: Also, was los ist, ist, dass die Welt immer autoritärer wird, wir sehen das auf vielerlei Weise. Eine besonders schwerwiegende Art von demokratischer Erosion beginnt, sehr große und einflussreiche Länder wie Brasilien, Indien und, am besorgniserregendsten, von allen die USA zu treffen. Aber ganz allgemein sehen wir die Qualität der Demokratie auf breiter Front unter Druck. Verschiedene Formen der Demokratie-Erosion betreffen nach unseren Studien buchstäblich die Hälfte der Demokratien auf der ganzen Welt.

Euronews: Was ist dafür die Ursache? Ist es wirtschaftliche Unsicherheit oder in Mißtrauen gegenüber den Institutionen oder beides?

Casas-Zamora: Es kommen mehrere Faktoren zusammen, um dieses Ergebnis zu erzeugen. Einige Faktoren betreffen Dinge aus der jüngsten Vergangenheit. So machen sich allmählich beispielsweise die politischen Folgen der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise bemerkbar. Aber es gibt auch strukturelle, langjährige Faktoren, die vor der Pandemie und vor dem Krieg in der Ukraine entstanden sind und bedenkliche Auswirkungen haben. Die unkontrollierbaren Polarisierungsebenen, die wir vielerorts sehen, in vielen Fällen im Zusammenhang mit der Rolle der sozialen Medien, der Wahrnehmung, dass Demokratien nicht wirksam auf gesellschaftliche Erwartungen und Forderungen reagieren. Alle diese Faktoren schaffen also ein sehr trübes Bild der Demokratie.

Euronews: Wie sollen die Demokratien reagieren? Was schlagen Sie vor?

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Casas-Zamora: Wir müssen besonders die Elemente der Demokratie schützen, die die Ausübung der Exekutivgewalt kontrollieren. Wir sollten vor allem die Arbeitsfähigkeit der freien Presse schützen, die Fähigkeit unabhängiger Richter, die Exekutivgewalt zu kontrollieren, die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, so zu agieren, dass gewählte Politiker zur Rechenschaft gezogen werden. Und vor allem sollten wir die Integrität von Wahlen ausdrücklich und sehr bewusst schützen. Wahlen sind weiterhin frei und fair. Wahlen sind nach wie vor die wichtigste Kontrolle der Macht in einer Demokratie.

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