Warum die Anklage Putins wegen Kriegsverbrechens zum Boomerang werden könnte

Der russische Präsident Putin beobachtet die Militärübung Wostok im Fernen Osten Russlands, 6. September 2022
Der russische Präsident Putin beobachtet die Militärübung Wostok im Fernen Osten Russlands, 6. September 2022 Copyright Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP
Copyright Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP
Von Stefan GrobeIsabel Marques da Silva
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Die EU und die USA wollen den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Gericht bringen und ihn des internationalen Verbrechens der Aggression in der Ukraine beschuldigen, aber die Einrichtung eines Sondertribunals könnte den Westen möglicherweise in Zukunft für ähnliche Fälle anfällig machen.

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Die EU und die USA wollen den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Gericht bringen und ihn des internationalen Verbrechens der Aggression in der Ukraine beschuldigen, aber die Einrichtung eines Sondertribunals könnte den Westen möglicherweise in Zukunft für ähnliche Fälle anfällig machen.

Der Westen argumentiert, dass Putin die letzte Verantwortung für die Ausführung eines großangelegten und schweren Angriffs trägt, bei dem staatliche Militärgewalt gegen ein anderes Land eingesetzt wird.

Politisch gilt das Verbrechen der Aggression als eines der schwersten internationalen Verbrechen, sagte Vaios Koutroulis, Professor für Internationales Völkerrecht an der Freien Universität Brüssel, gegenüber Euronews.

„Es gibt keinen formellen Text, der besagt, dass Aggression schwerwiegender ist als Völkermord oder Kriegsverbrechen. Der Sinn der politischen Interpretation ist, dass alle anderen Verbrechen während der Militäroperation folgen können, weil ein Aggressionsverbrechen begangen wurde, das einen Krieg auslöste. Aus Sicht des Völkerrechts gibt es keine Hierarchie zwischen Verbrechen", sagte der Wissenschaftler.

Die Schaffung eines Sondertribunals zur Verfolgung von Putin und seiner politischen und militärischen Elite voranzutreiben, könnte jedoch Russland oder andere Länder veranlassen, ähnliche Verfahren gegen westliche Regierungen einzuleiten.

„Die Staaten müssen konsequent sein. Wenn Sie glauben, dass es keine Immunität für Staatsbeamte vor einem solchen internationalen Gericht gibt, dann müssen Sie akzeptieren, dass, wenn Russland ein besonderes internationales Gericht einrichtet – durch einen Vertrag mit Verbündeten oder Staaten, die Russland befreundet oder gut gesonnen sind – , auch westliche Beamte vor diesem Gericht keine Immunität haben werden. Sind die Staaten also bereit, diesen Weg einzuschlagen?“, sagte Vaios Koutroulis.

Russland ist „ein internationaler Paria“ geworden

Russland und einige seiner Verbündeten könnten künftige NATO-Missionen – oder insbesondere von den USA geführte Missionen – potenziell als Angriffshandlungen einstufen, nämlich dann, wenn sie Länder innerhalb dessen angreifen würden, was Russland als seinen Einflussbereich ansieht.

In den letzten drei Jahrzehnten hat die NATO mehrere Missionen durchgeführt, nämlich in Bosnien und Herzegowina, am Persischen Golf, in Libyen und im Irak.

Im Moment scheinen die USA nicht besorgt über eine mögliche rechtliche Gegenreaktion zu sein und argumentieren, dass Russland seinen Ruf in der internationalen Gemeinschaft beschädigt hat, da Millionen auf der ganzen Welt unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Invasion leiden.

„Wie wir wissen, ist Russland zu einem internationalen Paria geworden. Angesichts der Tatsache, dass es den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit auf so schreckliche Weise verletzt hat. Das hat zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise und der Ernährungsunsicherheit auf der ganzen Welt geführt. Nicht zu vergessen die sich abzeichnende Energiekrise. All dies sind Beispiele für die Destabilisierung, die dieser Krieg verursacht hat", sagte Beth Van Schaack, die US-Botschafterin für globale Strafjustiz, in einem Euronews-Interview.

„Die Fähigkeit Russlands, irgendeinen glaubwürdigen Prozess gegen Europäer oder andere Angeklagte einzuleiten, ist also wirklich fragwürdig. Die Welt würde das nicht hinnehmen, es wäre kein glaubwürdiges oder legitimes Verfahren“, fügte sie hinzu.

Keine Verjährung für Kriegsverbrechen

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag ermittelt in der Ukraine bereits über Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft betreffen: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression.

Russland erkennt die Autorität des Internationalen Strafgerichtshofs nicht an, der durch einen internationalen Vertrag namens "Römisches Statut" geschaffen wurde und 2002 in Kraft trat.

Die USA gehören auch nicht zu den 123 Mitgliedsstaaten, die den Vertrag ratifiziert haben, betrachten die Rolle des IStGH jedoch als sehr wichtig in dieser Untersuchung und unterstützen ihn durch diplomatische Instrumente und juristische Expertise.

„Kurzfristig können Ermittlungen eröffnet, Beweise gesammelt, Zeugenaussagen gesichert, Haftbefehle ausgestellt werden“, sagte Beth Van Schaack.

Tatsächlich ist die US-Regierung nach einer von ihrem Außenministerium geleiteten rechtlichen Analyse formell zu dem Schluss gekommen, dass Russland „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen hat, wie Vizepräsidentin Kamala Harris am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärte.

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Das Ziel Washingtons ist es, Putin weiter zu isolieren und die Unterstützung zu verstärken, um sicherzustellen, dass er und seine Regierung vor internationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden.

Putin ist seit einem Vierteljahrhundert an der Macht, entweder als Ministerpräsident oder als Präsident. Ein Referendum im Jahr 2020 bestätigte eine Verfassungsänderung, die die Amtszeit des Präsidenten zurücksetzte und es ihm ermöglichte, noch zweimal zu kandidieren und bis 2036 an der Macht zu bleiben.

Aber Putins Immunität sollte nicht demoralisierend sein, sagte Botschafterin Beth Van Schaack.

„Solange Putin in Russland bleibt, genießt er Straffreiheit für alle seine Verbrechen. Es gibt keine internationale Polizei, die eine internationale Grenze überschreiten und einen Verdächtigen festnehmen kann. Wir warten auf eine Art politische Transformation innerhalb Russlands.“

Aber: Es gibt keine Verjährungsfrist für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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