Anpassung der EU-Kohäsionspolitk in der Coronakrise

Mit Unterstützung von The European Commission
Anpassung der EU-Kohäsionspolitk in der Coronakrise
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Von Efi KoutsokostaFanny Gauret & Dawid Krawczyk
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in dieser Folge von Real Economy zeigen wir, wie die Struktur- und Kohäsionsfonds die EU-Länder dabei unterstützen, die Folgen der Pandemie abzufedern.

Thema dieser Real-Economy-Folge sind die wirtschaftlichen Instrumente, die die EU einsetzt, um die Herausforderungen der Coronakrise zu bewältigen, einschließlich der Überarbeitung ihrer Struktur- und Kohäsionspolitik-Fonds. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten mehr für die Unterstützung des Gesundheitswesens, der kleinen und mittleren Unternehmen und des Arbeitsmarktes ausgeben können. Aber reicht das aus, um die Herausforderungen zu bewältigen?

In Polen schauen wir uns an, wie umgewidmete Gelder dem Gesundheitspersonal helfen, und wir interviewen den Wirtschaftswissenschaftler Thomas Wieser, um die Wichtigkeit dieser Art von Unterstützung zu erörtern. Doch zunächst erklären wir, für was Strukturfonds gedacht sind und wie sie an die Coronakrise angepasst werden.

Struktur- und Kohäsionsfonds: Zahlen & Fakten

Mit 355 Milliarden Euro machen die Struktur- und Kohäsionsfonds den Großteil der EU-Finanzierung aus. Sie haben das Ziel, die regionalen Einkommensunterschiede in Europa zu verringern.

Aktuell teilt die EU 54 Milliarden Euro der verbleibenden Mittel aus dem diesjährigen Haushalt neu zu, um die Coronakrise zu bewältigen.

Diese Mittel fließen in Gesundheitsausgaben wie den Kauf von Masken oder Krankenhausausrüstung, in kurzfristige Beschäftigungsprogramme und damit werden Arbeitgeber unterstützt, damit sie die Gehälter ihrer Arbeitnehmer zahlen können.

Das ist jedoch kein frisches Geld. Das sind entweder ungenutzte Mittel, die sonst in den EU-Haushalt zurückfließen würden oder Geld, das einfach früher als geplant zugeteilt wird.

EU-Unterstützung für Polens Gesundheitswesen

Polens medizinische Infrastruktur ist deutlich unterfinanziert. Es gibt zahlreiche bestätigte Covid-19-Fälle beim medizinischen Personal. Wir sehen uns die Situation in zwei polnischen Krankenhäusern an.

Jeder sechste mit dem Coronavirus Infizierte in Polen kommt aus dem Gesundheitswesen. In der Provinz Kujawien-Pommern gab es laut einer Pneumologin zu Beginn der Pandemie einen Mangel an medizinischem Material. Dank einer vom Europäischen Sozialfonds unterstützten Initiative konnten etwa dreißig Institutionen darunter dieses Krankenhaus zusätzliche Ausrüstung kaufen.

"Die Anschaffung der Ausrüstung bedeutet mehr Sicherheit", meint die Pneumologin Małgorzata Czajkowska-Malinowska. "Wir haben Geräte der Spitzenklasse gekauft, damit können wir die Patienten sowohl direkt am Bett überwachen, als auch vom Hauptsitz aus, der weit vom Patientenbett entfernt ist. Das ist weniger gefährlich für das Personal. Für uns war die Unterstützung aus dem Europäischen Fonds wichtig, weil Polen, wie andere Länder auch, nicht auf das Ausmaß der Pandemie vorbereitet war."

Izabela arbeitet seit 25 Jahren in der pädiatrischen Abteilung des Krankenhauses von Torun. Als die Epidemie ausbrach, meldete sie sich gemeinsam mit ihrer Freundin Elzbieta als Freiwillige, um das Personal zu verstärken, die Covid-19-Patienten betreuen.

"Wir ziehen Schutzanzüge an und tragen sie den ganzen Tag auf der Station, weil wir davon ausgehen, dass die gesamte Station infiziert sein könnte", erklärt die Krankenschwester Izabela Jędrzejczak. "Wenn wir uns in der Nähe von Covid-19-Patienten aufhalten, verwenden wir zusätzliche Ausrüstung wie Schürzen, Gesichtsschutz, Schutzmasken und Handschuhe."

Verbesserte Ausrüstung und Erholungsmöglichkeiten

Etwa 10 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds wurden umgeschichtet, um Schutz- und Desinfektionsausrüstung zu kaufen sowie medizinisches Material wie Beatmungsgeräte und Überwachungs-Monitore. Das Projekt unterstützt auch zwei temporäre Erholungszentren wie dieses Hotel, in dem die beiden Krankenschwestern untergebracht sind.

"Dieses Zentrum ist wichtig für mich, weil ich mich hier nach der Schicht wirklich entspannen kann", meint Krankenschwester Elzbieta Rusowicz. "Wir haben keine Haushaltspflichten, die Mahlzeiten werden für uns zubereitet. Wir wissen, dass all das nur vorübergehende Maßnahmen sind."

Nach offiziellen polnischen Angaben werden rund 10 Milliarden Euro der EU-Kohäsionspolitik-Mittel - das sind mehr als zehn Prozent der bis 2020 zur Verfügung stehenden Gelder -, dafür verwendet, die sanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise abzufedern.

Małgorzata Jarosińska-Jedynak, polnische Ministerin für Entwicklungsfonds und regionale Politik, sagt: "Das ist viel Geld, mit dem man in diesen Bereichen viel Gutes tun kann - für Unternehmer und Krankenhäuser. Die Mittel könnten helfen, eine halbe Million Arbeitsplätze zu retten. In der aktuellen Situation sollte man auch die Prioritäten der Kohäsionspolitik überdenken. Wir sind der Meinung, dass diese Politik so gut wie möglich an die spezifischen Situationen der einzelnen Länder und ihre aktuelle wirtschaftliche Situation angepasst werden sollte. Denn es ist sehr gefährlich, auf dem alten Niveau zu bleiben."

Interview mit einem Insider des EU-Krisenmanagements

Zurück in Brüssel zu einem Gespräch mit einem Insider des EU-Krisenmanagements, dem Wirtschaftswissenschaftler Thomas Wieser. Er hat die Krisensitzungen der Eurozonen-Krise verfolgt, kennt das System gut. Er ist uns aus seiner Heimatstadt Wien zugeschaltet.

Euronews-Reporterin Efi Koutsokosta:Herr Wieser, vielen Dank, dass Sie unser Gast sind. Die EU hat beschlossen, einen Teil der verbleibenden Struktur- und Kohäsionsmittel umzuverteilen, um die massiven Anforderungen in der Coronakrise zu decken. Kann die Kohäsionspolitk die mangelnde Einigkeit unter den Mitgliedstaaten kompensieren?

Thomas Wieser, Wirtschaftswissenschaftler:
Einige der größten Empfänger, Nettoempfänger von EU-Geldern, waren Mitgliedstaaten, die zentrale Elemente der europäischen Werte, die europäische Kohäsion und europäische Solidarität in Frage gestellt haben. Meine instinktive Antwort wäre also, dass ich absolut keine Verbindung, keine Korrelation sehe, zwischen dem Erhalt sehr hoher Summen aus dem EU-Haushalt, weil man ein sehr großer Nettoempfänger ist, der von anderen Mitgliedern finanziert wird und Gefühlen der europäischen Solidarität oder Kohäsion. Das scheint nicht der Fall zu sein. Und wenn ich mich richtig an die Zahlen, an die Summen erinnere, die mehrere Mitgliedstaaten erhielten, standen diese nicht in direktem Zusammenhang mit der Schwere der wirtschaftlichen Auswirkungen in diesen Ländern in Folge von Covid-19.

Euronews:
Wie sollte der neue EU-Haushalt gestaltet und eingesetzt werden, um der neuen Realität nach dem Coronavirus gerecht zu werden?

Thomas Wieser:Meiner Ansicht nach sollte der EU-Haushalt jährlich etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, das ist wesentlich mehr als der vorliegende Vorschlag vorsieht.

Die große Frage wird also sein, - selbst wenn wir es schaffen, zumindest für die kommenden Jahre ein erheblich größeres Budget vorzusehen - wird dieses Budget die Erwartungen erfüllen? Werden es vorwiegend Zuschüsse sein, die von der EU finanziert werden? Mittel, die natürlich allen Ländern gegeben werden, aber vor allem den hart Betroffenen? Dieser Nettotransfer von Ressourcen ist eine Voraussetzung dafür, dass die Erholung nach der Pandemie greifen kann. Das wäre die gute Variante. Die schlechteste Variante wäre, dass der gesamte zusätzliche Spielraum des EU-Haushalts in Anspruch genommen wird, um Darlehen an Mitgliedsstaaten oder deren Regionen zu gewähren. Das würde eine wesentlich höhere Summe bedeuten, die zurückerstattet werden müsste und die als solche keine Nettokosten für den EU-Haushalt verursachen würde, es sei denn Ausfalll-Haftungen, die nicht eintreten werden.

Euronews:
Sicher ist also, dass die kommenden Tage und Monate entscheidend sein werden. Herr Wieser, vielen Dank für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.

Journalist • Efi Koutsokosta

Cutter • Nicolas Coquet

Weitere Quellen • Produktion: Fanny Gauret, Sara Cessans; Kamera Brüssel: Vincent Degroote, Pierre Holland; Kamera Polen: Adrian Gniewkowski; Motion Design: NEWIC (www.agence-newic.com)

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