Sind Mikrochip-Implantate in der Hand bald Normalität in Europa?

LinkedIn-Profil öffnen, Alarm (de-)aktivieren und vielleicht bald kontaktlos bezahlen: Mikrochips sind keine Zukunftsmusik mehr.
LinkedIn-Profil öffnen, Alarm (de-)aktivieren und vielleicht bald kontaktlos bezahlen: Mikrochips sind keine Zukunftsmusik mehr. Copyright Ric Wasserman/Euronews
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Von Lauren Chadwick
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In Schweden nutzen rund 3.000 Menschen den Chip unter der Haut in der Hand, für ihre Monatskarte in Bus und Bahn. Experte hoffen nun, dass das kontaktlose Zahlen der Technologie einen neuen Booster gibt.

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Skandinavien gilt weltweit als besonders fortschrittliches Land, sei es bei Bildung, Gleichberechtigung oder in der Wirtschaft. Tausende von Schweden sind auch im Technologiebereich ihren Nachbarn einen Schritt voraus: Sie haben kleine Mikrochips unter der Haut in der Hand implantiert.

Die Technologie wird für alltägliche Aufgaben wie den Zugriff auf das Smartphone, das Öffnen der Haustür oder das Einstellen eines Alarms verwendet.

Und diejenigen, die die reiskorngroßen Mikrochips herstellen und implantieren, arbeiten mit Nachdruck daran, andere europäische Märkte zu erschließen.

Eric Larsen, der Biohax Italia leitet, wartet in Italien auf die Genehmigung medizinischer Zentren und des Gesundheitsministeriums.

Er sagte, dass er damit rechnet, in den ersten sechs bis acht Monaten in Mailand und Rom etwa 2.500 Menschen einen Chip implantieren zu können.

Auch ohne Zertifizierung durch das Gesundheitsministerium ist es Biohax Italia bereits gelungen, diese Chips mit Hilfe eines medizinischen Zentrums ein paar hundert Menschen unter die Haut zu stechen.

"Es ist ein Schritt in die Zukunft... Es ist extrem futuristisch, obwohl es bereits Realität ist. Diese Technologie wurde geboren, um uns zu helfen, um uns kleine 'Supermächte' zu geben", sagte Larsen gegenüber Euronews.

Es ist extrem futuristisch, obwohl es bereits Realität ist. Diese Technologie wurde geboren, um uns zu helfen, um uns kleine 'Supermächte' zu geben.
Eric Larsen
Biohax Italia

Allerdings befürchtet Larsen, dass die Coronavirus-Pandemie seinen Plänen in den Weg kommen könnte. Die öffentliche Besorgnis über die von den Regierungen während der Pandemie eingeführten Apps zur Ermittlung von Kontaktpersonen trügen dazu bei.

"Viele Menschen in Italien haben Angst, ein GPS oder etwas, das Bewegungen verfolgen kann, in sich zu tragen. Das könnte eine Gefahr für uns darstellen", erklärte er.

"Wir verfolgen keine Bewegungen, das kann unser Chip nicht, aber ich glaube, dass viele Menschen sich dessen nicht bewusst sind".

Euronews/Ric Wasserman
Das Implantieren kommt einem Bienenstich gleich.Euronews/Ric Wasserman

Geldbeutel überflüssig

Der schwedische IT-Experte Martin Lewin nutzt die beiden Mikrochips in seiner Hand um sich in seinen Computer einzuloggen, den Alarm in seinem Büro zu aktivieren und sein LinkedIn-Profil aufzurufen.

Aber sie als Alternative zu Bar- oder Kartenzahlungen zu verwenden, dürfte der Wendepunkt für die Technologie sein.

"Die Brieftasche und der Schlüsselbund werden überflüssig, all diese Karten, die nur ein Risiko darstellen... denn wenn man sie verliert, verliert man seine Identität", sagte der ehemalige Body-Piercer Jowan Österlund, der hinter dem Start-up-Unternehmen Biohax International steht.

"Wenn Sie Ihren Schlüssel verlieren, kommen Sie nicht mehr in Ihr Haus. Wenn jemand anders Ihren Schlüssel bekommt, kann er in manchen Ländern grundsätzlich Anspruch auf Ihr Haus erheben."

In Schweden können die Mikrochips als Zugfahrkarte verwendet werden. Aber Lewin hofft vor allem, dass er damit bald Zahlungen leisten kann.

"Ich hoffe, dass das zu einer Grundfunktion wird", sagte er gegenüber Euronews. "Ich freue mich auf ein Ökosystem, in dem der Chip in der Lage ist, alle Arten des Zugangs zu ermöglichen. Wo man seine Identität auf einfache Art und Weise mitführt".

Aber die Technologie hat sich nicht so schnell durchgesetzt, wie er erwartet hatte.

"Es hat länger gedauert, als ich dachte und hoffte. Es ist drei Jahre her, dass mir mein Chip implantiert wurde. Es sieht so aus, als würde es noch ein weiteres Jahr dauern, bis der Chip für Zahlungen funktioniert."

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Larsen sagte, in Italien spreche Biohax mit Vodafone und Paypal, um zu versuchen, das Ziel zu erreichen. Ein Unternehmen in Grossbritannien, BioTeq, arbeitet ebenfalls daran, kontaktlose Zahlungen mit implantierten Mikrochips zu ermöglichen.

Steven Northam, der Direktor der britischen Firma BioTeq, sagte, dies sei der "Wendepunkt zur 'Massenadoption'", da das Unternehmen täglich Anfragen zu "Zahlungsimplantaten" erhalte.

Abflachen des Booms in Schweden

Schwedens Bahnbetreiber SJ sagte, dass sie ihre Versuche mit Mikrochips nach einem "kleinen Anstieg" in den letzten zwei Jahren abgeflacht sei, wodurch die Gesamtzahl der Benutzer auf 3.000 gestiegen sei.

Ein Sprecher von SJ sagte, dass sie zwar die Technologie verfügbar halten, sich aber "in eine andere Richtung" bewegen werden.

'Die Leute sind besorgt'

Die Mikrochips nutzen die Nahfeldkommunikation (NFC) und die Radiofrequenz-Identifikation (RFID) zur Kommunikation mit einem System. Es handelt sich dabei um Radiowellen, die bei engem Kontakt gelesen werden.

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Es ist "im Wesentlichen die gleiche" Technologie, die in Ihrem Telefon oder Ihrer Kreditkarte steckt, erklärt Dr. Rob van Eijk, der europäische Geschäftsführer des Forums zur Zukunft des Datenschutzes, wenn man sie in die Nähe eines Sensors hält.

Sie wirft die gleichen bekannten Datenschutzprobleme auf, einschließlich der Möglichkeit, dass jemand das Signal auffangen könnte.

"Es ist vergleichbar mit dem Abhören eines Richtmikrofons, man kann auch das RFID-Signal auffangen", erklärt Eijk, der früher für die niederländische Datenschutzbehörde gearbeitet hat.

Theoretisch könnte es "so eingesetzt werden, dass man sich von der Menge abhebt, um sich als Einzelperson in einer Gruppe hervorzuheben... wenn man der Einzige ist, der einen Biochip trägt, und alle anderen tragen ihn nicht", fügte er hinzu.

Es könnte auch zu komplizierteren Datenschutzproblemen führen, wenn zukünftige Versionen dieser Chips Ihre Gesundheit oder andere Informationen aufzeichnen, so Eijk.

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"Die einzige Information, die Sie jemals über Implantate erhalten haben, ist die Hollywood-Popkultur, und wenn es sich um Hollywood-Popkultur handelt, ist es entweder ein riesiges GPS, das Arnold Schwarzenegger aus der Nase zieht, oder KGB-Polonium oder ein Ortungsgerät. Die Leute sind also ängstlich", sagte Österlund von Biohax International.

Aber viele seiner Kunden lassen sich die Implantate einfach einsetzen, um ihre LinkedIn-Konten zu verinden, damit sie ihr Profil schneller freigeben können - sozusagen als Visitenkarte. Mit rund 150 Euro ist das meist billiger, als die meisten sich das vorgestellen.

Österlund sagte, dass sie mit Partnern zusammenarbeiten, damit diese Mikrochips Gesundheitsinformationen enthalten. Für den Fall, dass jemand bewusstlos ins Krankenhaus gebracht wird, könnte ein Sanitäter den Chip scannen und Informationen über Allergien oder Vorerkrankungen erhalten.

Vorerst arbeiten sie daran, die Chips in Bezug auf die Qualität des verwendeten Materials und den Grad des Datenschutzes zu regulieren.

"Wir drängen auf eine Gesetzgebung, die das tatsächlich durchsetzt und einen Rechtsrahmen dafür schafft, weil wir derzeit in einer rechtlichen Grauzone arbeiten. Das ist gut für die Entwicklung und für bahnbrechende Technologien, aber dieses Ding kommt in den Körper der Menschen und bleibt dort, also müssen wir diese Verantwortung übernehmen", sagte Österlund.

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Es handle sich um eine Technologie, die bereits in mindestens 20 Ländern existiert. BioTeq im Vereinigten Königreich hat etwa 250 Menschen Mikrochips implantiert.

Die Implantate sind nicht "als medizinische Geräte reguliert und können daher von jedem implantiert werden", sagte Northam bei BioTeq, aber das Unternehmen setzt nur Ärzte ein, um sie zu implantieren.

Man muss sich keine Sorgen machen. Es ist eine passive Technologie.
Martin Lewin
IT-Experte

"Persönlich sehe ich keinen Nachteil. Ich weiß, dass es Leute gibt, die sich Sorgen machen, dass man sie zurückverfolgen kann, aber es ist eine passive Technologie, also gibt es nichts, worüber man keine Kontrolle über sich selbst haben kann", sagte Lewin.

"Man muss sehr nahe heranzugehen, damit Informationen vom Chip abgelesen werden können. Manche glauben, dass es schmerzhaft ist, das Implantat einzusetzen, aber es kommt einem Bienenstich gleich".

Die Popularität dieser Chips wird "darauf hinauslaufen, welches Problem sie für uns lösen", so Eijk auf dem Forum zur Zukunft des Datenschutzes. "Schauen Sie sich an, wie schnell wir von Bargeld zu kontaktlosen Zahlungen übergegangen sind - das ist in wenigen Jahren geschehen", fügte er hinzu.

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Einige wollten schon wissen, ob ein Telefon so klein werden kann, dass es unter unsere Haut kommt: "Aber das ist die nächste Stufe. Das ist nicht die Art von Biochip-Technologie, über die wir jetzt sprechen".

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