Plattformarbeit: Regulierung und Arbeitsbedingungen

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Plattformarbeit: Regulierung und Arbeitsbedingungen
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Von Naomi LloydNaomi Lloyd, Fanny Garet, Sabine Sans
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Spanien ist das erste EU-Land, das Plattformarbeit per Gesetz reguliert. Aber nicht alle sind glücklich damit.

Digitale Arbeitsplattformen wie Lebensmittel-Lieferapps verändern die Art und Weise, wie wir Waren und Dienstleistungen kaufen. Aber bieten sie faire Arbeitsbedingungen? Sollte es eine EU-weite Gesetzgebung geben? Spanien ist das erste EU-Land, das ein Gesetz vorgelegt hat. Aber nicht alle finden das gut. Plattformarbeit ist das Thema dieser Real-Economy-Folge.

Wenn Sie jemals eine App benutzt haben, um Essen zu bestellen oder einen Handwerker zu beauftragen, dann haben Sie höchstwahrscheinlich die Plattformökonomie genutzt – eine der wichtigsten neuen Transformationen in der Arbeitswelt. Auf Europa-Ebene werden gerade die Arbeitsbedingungen diskutiert. Fanny Gauret trifft Essenslieferanten in Barcelona. Sie haben unterschiedliche Ansichten über ein neues spanisches Gesetz, das sie als Arbeitnehmer einstuft. Aber zuerst erklären wir, was Plattformarbeit eigentlich ist.

Was ist Plattformarbeit?

Plattformarbeit - auch bekannt als Gig-Economy - hat sich im vergangenen Jahrzehnt verfünffacht.

Dabei bieten Personen Dienstleistungen an, die über eine digitale Plattform organisiert werden, die sie mit Kunden verbindet.

Es kann sich um eine standortbasierte App handeln, die Jobs wie Essenslieferungen, Taxi- oder Handwerksdienste vergibt, oder um webbasierte Plattformen, die Arbeiten wie Übersetzungen oder Grafikdesign auslagern.

Die Plattformen schaffen neue Arbeitsmöglichkeiten. Aber es gibt Herausforderungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und das algorithmische Management der Plattformarbeit.

Die EU hat eine Konsultation zu den Rechten von Plattformarbeitern gestartet und lädt Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ein, eine Einigung zu finden. Gibt es sie nicht, wird die Kommission bis Ende 2021 eine Gesetzgebung ausarbeiten.

Spanien reguliert die Plattformarbeit

Regierungen sind noch unsicher, wie Plattformarbeit zu regulieren ist. Spanien ist das erste EU-Land, das ein Gesetz verabschiedet hat, das Zusteller als Arbeitnehmer mit sozialem Schutz einstuft. Fanny Gauret hat Fahrer in Barcelona getroffen.

Diese Zusteller kennen die Straßen Barcelonas in- und auswendig, der eine ist auf einem Roller, der andere mit dem Fahrrad unterwegs. Sie liefern Essen bzw. Pakete aus. Beide sind Selbstständige. Dieser Status wird sich bald ändern.

Dem spanischen Ministerrat liegt ein Gesetz vor, das Lieferplattform-Fahrer als Angestellte einstuft. Damit haben sie Recht auf Arbeitslosengeld, Urlaub und Krankschreibung.

Eine richtige Entscheidung meint dieser südamerikanische Fahrer. Er will anonym bleiben: "Die Regierung schlägt diesen Unternehmen vor, uns einen Mindestlohn, Krankengeld, eine Sozialversicherung sowie ein Fahrzeug zuzusichern, damit wir ordentlich arbeiten können. Denn wir arbeiten bis zu 12 Stunden am Tag für weniger als den Mindestlohn."

Der junge Mann wird nach der Anzahl der Zustellung bezahlt, nach den von der Plattform festgelegten Preisen. Er kann sich kein Motoroller leisten, zustellen per Fahrrad ist sehr anstrengend, erzählt er: "Ich habe noch nie 1000 Euro im Monat verdient. Mit dem Fahrrad ist das sehr schwer zu schaffen. Man muss lange arbeiten, das ist sehr anstrengend. Wenn man nicht eingeloggt ist, viele Fehler macht oder zu viele Bestellungen storniert, wird dein Profil einfach gelöscht." Er erhofft sich von dem neuen Gesetz einen Mindestlohn, eine Arbeitsunfallversicherung und eine Kontrolle der Profillöschungen.

In Spanien gibt es bereits Lieferplattformen, die das Lohnmodell nutzen. Doch Jordi Mateo, der 40 bis 50 Stunden pro Woche arbeitet, möchte lieber unabhängig bleiben:

"Wenn ich mir anschaue, was Konkurrenzunternehmen mit ihren Mitarbeitern machen, bekomme ich vielleicht einen Vertrag über 15 oder 20 Stunden, was einerseits meine Freiheit und Flexibilität einschränken würde, die ich heute habe, und außerdem würde mein Einkommen drastisch sinken."

Er arbeitet mit seinem Scooter für mehrere Plattformen und ist zufrieden damit, mehr als den spanischen Mindestlohn zu verdienen, etwa 1.100 € brutto pro Monat. Verbesserungen wären für ihn z. B. die Möglichkeit, die Preise selbst festzulegen: "Die meisten von uns Selbstständigen glauben, dass wir mehr Schutz benötigen. Aber wir brauchen keinen Vertrag, der uns in die Armut stürzt und uns nicht so schützt, wie die Regierung es uns verkauft."

Plattformarbeit ist komplex

Insgesamt ist es eine komplexe Situation. Plattformarbeit wird in Bereichen wie Transport, Heim- oder Onlinediensten geleistet.

Laura Cardenas Corrales ist Grafikdesignerin. Sie hat ihre Arbeit in der Coronakrise verloren. Heute ist sie auf einer Plattform eingeschrieben: 

"Man meldet sich auf der Seite an, erstellt sein Profil, gibt seinen Tarif, Arbeitszeiten und Verfügbarkeit an. Für mich ist die Veränderung positiv. Es gibt mir die Freiheit, meine Arbeitszeit selbst zu bestimmen und Projekte anzunehmen, die mir zusagen. Plattformen wie diese helfen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren."

Während die einen mehr soziale Rechte einfordern, sind andere mit den flexiblen Arbeitszeiten zufrieden. Auch digitale Plattformen verteidigen ihr Modell. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verdienen Plattformarbeiter in Europa jährlich knapp 4 Milliarden Euro.

Doch wie lassen sich die Einhaltung der Arbeitsgesetze und die Qualität der geschaffenen Arbeitsplätze sicherstellen? Die Europäische Kommission hat eine Konsultation gestartet, um den Arbeitnehmerschutz auf digitalen Plattformen zu verbessern. 

In Brüssel erklärt der Generaldirektor für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Eingliederung der Europäische Kommission Joost Korte:

_"Dieser vielversprechende Sektor hat viele gute Aspekte, wie z.B. eine bessere Work-Life-Balance, eine größere Flexibilität, einen besseren Arbeitsmarktzugang für Menschen in schwierigen Umständen. Aber wir brauchen ein nachhaltiges Modell. Andernfalls würde es dazu kommen, dass wir in verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Lösungen kommen, was sich negativ auf den Binnenmarkt auswirken würde." _

Euronews-Reporterin Naomi Lloyd ist online mit Uma Rani verbunden, einer leitenden Ökonomin bei der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation der UN, die internationale Arbeitsstandards festlegt. Begrüßen Sie die Konsultation der Europäischen Kommission, will sie wissen:

Uma Rani, ILO-Ökonomin:

Man muss bedenken, dass digitale Arbeitsplattformen grenzüberschreitend arbeiten. Daher wäre ein EU-Gesetzesrahmen, der Ende des Jahres vorläge, ein sehr guter Schritt nach vorne, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter und der Plattformen zu verbessern.

Euronews:

Unser Bericht hat gezeigt, dass Zusteller von Algorithmen bestraft werden, wenn sie Jobs ablehnen. Kennen Sie diese Praxis?

Uma Rani:

Das ist eine Erfahrung, die viele Arbeiter auf diesen Plattformen machen. Die Plattformen verwenden algorithmische Managementpraktiken bei der Zuteilung und der Vergütung der Arbeit, der gesamte Arbeitsprozess wird auf diese Weise überwacht. Wenn man anfängt, Arbeit abzulehnen, weil man das Tempo nicht halten kann, wird man bestraft.

Euronews:

Nicht alle Zusteller wollen einen Arbeitsvertrag. Viele genießen die Flexibilität, sich selbst die Arbeitszeit einteilen zu können.

Uma Rani:

Ich vermute, ein Grund warum Zusteller viele Stunden arbeiten wollen, ist der Gamification-Prozess, den Plattformen verwenden. Es gibt eine Menge Boni und Anreize. Im Laufe der Zeit sinkt aber die Arbeit, die man zugeteilt bekommt, und der Lohn, und das ist der Punkt, an dem die Frustration einsetzt.

Euronews:

In vielen Branchen gibt es Selbstständige. Welche Probleme gibt es dort mit der Plattformarbeit?

Uma Rani:
Es gibt ein Problem, wenn die Selbstständigkeit zu einer Scheinselbstständigkeit wird. Wenn man sich als Angestellter selbstständig versichern muss und keine der Leistungen erhält. In diesem Bereich gibt es keine Vorschriften. Man bestimmt den Arbeitnehmerstatus, entscheidet, was der Preis für eine Fahrt oder eine Dienstleistung ist, was sehr problematisch ist.

Cutter • Nicolas Coquet

Weitere Quellen • Produktion: Camille Cadet; Kamera Paris : Mathieu Ravey; Kamera Brüssel: Jorne Van Damme; Kamera Barcelona: Juan-Pablo Chapela; Motion Design: NEWIC https://www.agence-newic.com/

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