Was tut die EU gegen Energiearmut?

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Von Naomi LloydFanny Gauret, Sabine Sans
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Mehr als 35 Millionen Europäer sind in diesem Winter nicht in der Lage, ihre Wohnungen warmzuhalten. Das entspricht der Gesamtbevölkerung von Griechenland, Portugal, Ungarn und Irland.

Die Energiepreise schießen in die Höhe, Millionen Europäer müssen sich in diesem Winter zwischen Heizen und Essen entscheiden. Das Real-Economy-Team hat in Bulgarien recherchiert: Dort helfen europäische Gelder, eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, und wir gehen der Frage nach, wie man die Krise der Energiearmut bekämpft.

Europa steckt mitten im Winter - draußen ist es kalt. Millionen Europäer können es sich nicht leisten ausreichend zu heizen, weil sie mit der derzeitigen Covid-Krise und den steigenden Energiepreisen zu kämpfen haben.

Euronews-Reporterin Fanny Gauret hat in Bulgarien recherchiert. Dort bekommen Bedürftige eine warme Mahlzeit und Hilfe beim Heizen. Aber zuerst gibt es einen Überblick über die Ursachen der Energiearmut.

Ursachen der Energiearmut

Mehr als 35 Millionen Europäer sind in diesem Winter nicht in der Lage, ihre Wohnungen warmzuhalten.

Das entspricht der Gesamtbevölkerung von Griechenland, Portugal, Ungarn und Irland, die sich entscheiden müssen, ob sie heizen oder etwas zu essen auf den Tisch bringen wollen.

Die beiden Hauptursachen für Energiearmut sind niedrige Einkommen und das Leben in Gebäuden mit geringer Energieeffizienz.

Die stark gestiegenen Energiepreise in Europa und die anhaltende Pandemie haben den Kampf verschärft und machen es den Menschen noch schwerer, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Das Recht auf Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Energie ist in der Europäischen Säule sozialer Rechte verankert - einem Leitfaden zur Stärkung der sozialen Rechte in Europa.

Die EU hat den Ländern Maßnahmen vorgeschlagen, um die Energiepreise niedrig zu halten, darunter Notstandsbeihilfen und Steuersenkungen.

Bulgarien ist am stärksten von Energiearmut betroffen

In Frankreich ist die Zahl der Menschen, die auf Tafeln wie diese in Paris angewiesen sind, seit Beginn der Pandemie um mehr als 30 % gestiegen.

Überall in Europa haben Menschen Probleme, ihre Lebensmittel und steigenden Energierechnungen zu bezahlen. In Bulgarien kann es sich mehr als ein Viertel der Bevölkerung nicht leisten, ihre Wohnung zu heizen - das ist der höchste Wert in Europa, gefolgt von Litauen und Zypern. Fanny Gauret recherchierte in Bulgarien. Dort unterstützt der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) Bedürftige.

Im Winter sinken die Temperaturen in Bulgarien regelmäßig unter null Grad Celsius. Ausreichend zu heizen kann vor allem für sozial Schwache zum Problem werden, die nicht immer die Mittel dafür haben.

Schlecht isolierte Gebäude, aber auch niedrige Einkommen und steigende Energiepreise sind die Hauptursachen für diese prekäre Situation/Notlage.

Kocherinovo, ein kleines Bergdorf im Westen des Landes. Dort lebt der 71-jährige Nikola Tishanski allein. Er bezieht eine kleine Rente von etwa 150 €, das ist die Hälfte des Mindestlohns. Dank der staatlichen Energiebeihilfe konnte er Holz für den Ofen kaufen.

"Im Oktober habe ich 520 Lewa für Brennholz bekommen, das ist für den ganzen Winter", erzählt Nikola Tishanski. "500 Lewa sind fünf Kubikmeter. Ich habe acht gekauft und die Differenz aus eigener Tasche bezahlt. Der Kubikmeter hat früher 75 Lewa gekostet, jetzt sind es 90, das sind 15 Lewa mehr."

Die steigenden Energiepreise wirken sich deutlich auf sein Haushaltsbudget aus. Obwohl er medizinische Beihilfe und einen Covid-Bonus für Rentner erhält, kann er kaum seine Rechnungen, Medikamente und Lebensmittel bezahlen. Daher erhält der Mann jeden Tag eine Mahlzeit dank des Programms "Ein warmes Mittagessen für die Seele". Es wird vom FEAD fianziert, dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen.

"Linsen und Kartoffeln. Ich kann mich nicht beklagen. Ich überlebe."
Nikola Tishanski
Rentner

Wie der Rentner haben 2020 mehr als 15 Millionen Europäer dank des europäischen FEAD-Fonds Nahrungsmittelhilfe erhalten. Im gleichen Dorf lebt die 62-jährige Evelina Prosenikova. Sie kümmert sich trotz ihrer Behinderung allein um ihre Eltern. Deren Renten reichen nicht aus, um die Ausgaben der Familie zu decken. Deshalb erhält sie mehrere staatliche Beihilfen, um über die Runden zu kommen.

"Ich bekomme Beihilfen fürs Heizen und Essen, und es kommt auch jemand, der mir hilft. Es ist viel besser, wenigstens muss ich jetzt nicht mehr kochen", meint Evelina Prosenikova.

Die Energieausgaben belasten die ärmsten bulgarischen Haushalte: 2018 machten sie rund 16 % ihrer Ausgaben aus, in Schweden sind es weniger als 5 %.

Evelina Prosenikova konnte Geld sparen, um einen Ofen zu kaufen, der mit Pellets geheizt wird. Sie verbrauchen weniger Energie als Holz.

"Wir haben zwei Tonnen gekauft, ich hoffe, das wird reichen", so Evelina Prosenikova. _"Ich spare an unserer Rente. Heizen ist wirklich wichtig."

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Eine Kombination aus nationaler und europäischer Hilfe, wie das "warme Mittagessen für die Seele" - das auch Evelina und ihre Familie erhalten - ist eines der Ziele des Europäischen Sozialfonds Plus zur Bekämpfung der Energiearmut - und der Armut in all ihren Formen.

In Brüssel erklärt die stellvertretende Generaldirektorin der GD Beschäftigung, Soziales und Integration Andriana Sukova:

"Für arme Menschen hat es sich als sehr wichtig erwiesen, dass die Nahrungsmittel und die materielle Grundversorgung, die durch das FEAD-Programm bereitgestellt werden, auch von nationalen Maßnahmen begleitet werden, die die Belastung des persönlichen Einkommens der armen Menschen verringern, um ihre Wohnung warmzuhalten oder die Medikamente zu kaufen, die ältere Menschen benötigen, und um ein venünftiges und angemessenes Leben zu führen."

Die europäische Energiearmutskrise

Über die europäische Energiearmutskrise spricht Euronews-Reporterin Naomi Lloyd mit Thomas Pellerin-Carlin, dem Direktor des Jacques-Delors-Energiezentrums.

Euronews:"Wie kann es sein, dass Millionen Menschen in Europa es sich nicht leisten können, zu heizen? Das ist doch ein Grundbedürfnis?"

Thomas Pellerin-Carlin, Direktor des Jacques Delors Energiezentrums im Jacques Delors Institut: "Auf jeden Fall. Das ist das Ergebnis von früheren Entscheidungen, nämlich ein ineffizientes System aufzubauen, das auf der Nutzung fossiler Brennstoffe basiert. Dadurch sind wir in eine Situation geraten, in der Millionen Europäer ihre Wohnung nicht richtig heizen können. Und das verschlimmert sich jedes Mal, wenn wir eine Krise bei den fossilen Brennstoffen und einen Schock bei den Preisen für fossile Brennstoffe erleben."

Euronews:"Viele europäische Länder haben Hilfs-Maßnahmen aufgelegt, in-wieweit greifen die?"

Thomas Pellerin-Carlin:"Die Länder, die am besten abschneiden, sind eindeutig die Länder, die Anreize für die Umstellung auf erneuerbare Energien und auf Effizienz schaffen. Energiearmut ist im Süden Europas am größten, was man nicht erwarten würde. Man sollte meinen, dass die Energiearmut umso schlimmer ist, je kälter das Land ist, aber eigentlich ist es genau umgekehrt. Denn Energiearmut ist nicht das Ergebnis von Geografie oder Natur, sondern von politischen Entscheidungen. Wenn es Schweden jetzt gut dasteht, dann liegt das nicht an der aktuellen schwedischen Regierung, sondern an 30 Jahren schwedischer Investitionen in die Renovierung von Häusern und in die Entwicklung erneuerbarer Heizsysteme."

Euronews:"Was muss Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene getan werden?"

Thomas Pellerin-Carlin:"Für mich sind das drei Punkte: Im Rahmen des europäischen Green Deals sollte man nach Ansicht des Jacques-Delors-Instituts sicherstellen, dass jede Familie ihre Wohnung im Winter angemessen heizen kann. Das sollte ein primäres politisches Ziel sein. Wie kann man das umsetzen? Erstens durch Regulierung. Das bedeutet, dass wir die Renovierung von schlecht isolierten Gebäuden vorschreiben, wenn sie vermietet oder verkauft werden. Und drittens müssen wir Finanzmittel bereitstellen, um diese Art von Renovierung zu unterstützen, insbesondere für die ärmsten Länder wie Bulgarien. Dazu hat die Europäische Kommission einen guten Vorschlag gemacht, nämlich einen sozialen Klimafonds einzurichten. Das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung."

Cutter • Nicolas Coquet

Weitere Quellen • Produktion: Camille Cadet; Kamera Bulgarien: Thierry Winn, Damian Vodenitcharov; Paris: Vincent Kelner, Vincent de Feyter, Nicolas Personne; Motion Design: NEWIC https://www.agence-newic.com

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