EU-Aufbauplan: Spanien ist "Versuchskaninchen"

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Von Naomi LloydGuillaume Desjardins, Sabine Sans
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Spanien ist Vorreiter: Es ist das erste EU-Land, das die Voraussetzungen für die viel diskutierten Subventionen erfüllt hat.

Diese Real-Economy-Folge kommt aus Spanien, dem ersten Land, das Geld aus dem EU-Aufbauplan erhält. Ein Teil dieser Auszahlungen, 2 Milliarden Euro, um genau zu sein, ist für die Berufsausbildung bestimmt, ein Schlüsselsektor im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Euronews-Reporter Guillaume Desjardins hat dieses Thema auf den Kanaren recherchiert. Und die spanische Finanzministerin spricht im Interview mit euronews-Reporterin Naomi Lloyd über die nötigen Reformen, um die erste Tranche von 10 Milliarden Euro an Hilfen zu erhalten.

Europas Antwort auf Corona: größtes Konjunkturpaket aller Zeiten

Europas Antwort auf die Krise war ein historisches Konjunkturprogramm im Wert von mehr als 800 Milliarden Euro.

Flankiert von NextGenerationEU (NGEU), dem zeitlich befristeten Aufbau-Instrument, ist der langfristige EU-Haushalt das größte Konjunkturpaket, das je aus dem EU-Haushalt finanziert wurde. Mit insgesamt 2,018 Billionen Euro zu jeweiligen Preisen soll Europa nach Corona wieder auf die Beine kommen. Es soll ein grüneres, stärker digital ausgerichtetes und krisenfesteres Europa werden.

Aufgrund seiner größeren Flexibilität kann der neue, langfristige Haushalt besser auf unvorhergesehenen Bedarf reagieren. Somit wird er nicht nur den Gegebenheiten von heute, sondern auch den Unwägbarkeiten von morgen gerecht.

Überblick über Europas Aufbauplan

Europa leidet noch immer unter den Schockwellen der Coronavirus-Pandemie.

Das Herzstück des EU-Konjunkturprogramms ist die Aufbau- und Resilienzfazilität mit Darlehen und Zuschüssen in Höhe von mehr als 720 Milliarden Euro. Sie stehen den EU-Ländern für Investitionen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Aufbau einer grünen und digitalen Zukunft zur Verfügung.

Um die Mittel in Anspruch nehmen zu können, haben die Länder nationale Konjunkturpläne vorgelegt, in denen sie die geplanten Reformen und öffentlichen Investitionen in Schlüsselbereichen wie neue grüne Technologien, saubere Energie und Verkehr, Gebäudesanierung, schnelleres Internet und 5G sowie allgemeine und berufliche Bildung angeben.

Kommission und Rat haben bis jetzt 22 nationale Aufbau- und Resilienzpläne gebilligt.

Vorreiter Spanien

Die erste Auszahlung des europäischen Konjunkturprogramms hat Spanien erhalten. Das südeuropäische Land ist der erste Mitgliedstaat, der die Voraussetzungen für den Erhalt der viel diskutierten Subventionen erfüllt hat. Spanien wird fast 70 Milliarden Euro erhalten - das ist der größte öffentliche Investitionsplan in der jüngeren Geschichte des Landes. Bislang wurden 9 Milliarden Euro als Vorfinanzierung für Notfälle bereitgestellt, die erste Auszahlung von 10 Milliarden Euro erfolgte im vergangenen Dezember. Wie werden diese Mittel eingesetzt? Guillaume Desjardins hat auf Teneriffa Menschen getroffen, die sich fortbilden, um eine Arbeit zu finden.

Auf Teneriffa werden diese Mittel unter anderem für die Berufsausbildung eingesetzt. "An der Universität wird viel Theorie und wenig Praxis vermittelt. Das Gute an der Berufsausbildung ist die Möglichkeit, Praktika zu machen", meint der Bild & Ton-Student Adrián Lorente García. "Wenn dem Betrieb deine Arbeitsweise gefällt und sie Mitarbeiter brauchen, werden sie dich nehmen. Wie sehe ich meine Zukunft nach der Lehre? Ich hoffe, dass ich in einem Bereich arbeiten werde, der mit meiner Ausbildung zu tun hat. Ich würde gerne in verschiedenen Ländern der Welt leben, beispielsweise in Amerika, Deutschland oder Großbritannien und an verschiedenen Orten arbeiten."

Ausbildungszentren wie dieses gibt es bereits, auch dank des Europäischen Sozialfonds. Aus dem anlaufenden Konjunkturprogramm von 69,5 Milliarden Euro werden 2 Milliarden Euro zusätzlich für die Schaffung von 135.000 neuen Berufsausbildungsplätzen in ganz Spanien bereitgestellt.

"Wir erhalten Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Sie decken 80 % der Lehrergehälter und der Ausbildungskurse für Arbeitslose und Arbeitnehmer ab", erklärt Jorge Rivero Antuña, Direktor des Cifp César Manrique. "Was den Resilienz-Mechanismus betrifft, so haben wir bereits Gelder erhalten, die für Technik-Klassenzimmer und die Förderung von Unternehmensgründungen eingesetzt werden. Wir hoffen, auch 2022 und 2023 weiterhin Zuschüsse zu bekommen."

Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles Problem

Wie andere südeuropäische Mitgliedstaaten hat auch Spanien ein strukturelles Problem mit der Arbeitslosigkeit, insbesondere unter jungen Menschen. Der Zugang zu Qualifikationen, die von Arbeitgebern nachgefragt werden, ist ein Schlüsselelement im Kampf um Arbeitsplätze.

Insbesondere auf den Kanarischen Inseln, wo die Jugendarbeitslosigkeit bis Ende 2021 auf 52 % gestiegen ist. Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig der Kanaren, darauf entfallen ein Drittel der Arbeitsplätze. Das enorme Wachstum in der Technologiebranche dürfte jedoch neue Chancen für die Arbeitnehmer von morgen bedeuten.

"Derzeit haben die Menschen nicht die richtige Ausbildung für unsere Anforderungen - weder auf den Kanarischen Inseln noch im Rest Spaniens", findet Carlos Rodríguez, Gründer von Omnia Infosys. "Die Menschen bringen nicht die geforderten Fähigkeiten mit. Dieser Sektor wird stark wachsen. Es wird eine große Nachfrage geben. Wir brauchen mehr und mehr Menschen mit Qualifikationen. Die Nachfrage ist seit COVID-19 unglaublich groß. Das Wachstum hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdrei- oder vervierfacht. Und es wird weiter zunehmen. In Europa gibt es Millionen freie Stellen in diesem Sektor. EU-Konjunkturmittel finanzieren neue Berufsausbildungsplätze, aber es geht nicht nur ums Geld. Um die Mittel zu erhalten, musste Spanien soziale Reformen umsetzen, wie das Berufsausbildungssystem zu modernisieren oder das geschlechtsspezifische Lohngefälle am Arbeitsplatz zu verringern."

Überall in der EU arbeiten EU-Mitgliedstaaten an ihren Sozialreformen, um ihren Anteil an den Konjunkturmitteln zu erhalten.

Interview mit Spaniens stellvertretender Ministerpräsidentin

Über diese Reformen spricht euronews-Reporterin Naomi Lloyd mit Spaniens Finanzministerin Nadia Calviño - und über ihre Vision für die wirtschaftliche Erholung des Landes.

Euronews-Reporterin Naomi Lloyd: Spanien wird fast 70 Milliarden Euro erhalten. Das hat es noch nie gegeben. Was bedeutet das für Spanien, für die spanische Wirtschaft?

Nadia Calviño, Vizepräsidentin der spanischen Regierung und Ministerin für Wirtschaft und Digitalisierung: Das ist sehr wichtig für Spaniens Gegenwart und Zukunft, für die nächsten Generationen. Unser Konjunkturprogramm konzentriert sich auf vier Bereiche: grün, digital, sozialer und territorialer Zusammenhalt und die Gleichstellung der Geschlechter - die in allen Programmen verankert ist. Der digitale Bereich wird etwa 30 Prozent der Gesamtinvestitionen ausmachen.

Euronews: Es wird eine Reihe von Strukturreformen geben. Wie schwierig war es, all die geforderten Bedingungen zu erfüllen?

Nadia Calviño: Es war ein sehr beschwerlicher und intensiver Prozess. Wir waren gewissermaßen die Versuchskaninchen, die den Vorgang eröffnet haben. Wir haben gemeinsam mit der Kommission gelernt, wie man diesen beispiellosen Konjunkturplan umsetzt. Was die Reformen betrifft, so haben wir sie im Laufe des Jahres 2021 beschleunigt. Die Herausforderung besteht nun darin, die im Parlament anhängigen Verfahren abzuschließen und den bereits im letzten Jahr begonnenen Mittelfluss fortzusetzen.

Euronews: Gibt es die nötigen Verwaltungskapazitäten für die Umsetzung?

Nadia Calviño: Es ist eine sehr große Herausforderung für jede Verwaltung. Und Spanien ist ein großes Land, ein komplexes Land. Wir haben eine vielschichtige Verwaltung. Wir haben eine Governance-Struktur eingerichtet und die vorhandenen Mechanismen verstärkt. In den kommenden Wochen werden wir einige der wichtigsten strategischen Pläne auf den Weg bringen, zum Beispiel für den Übergang zum elektrischen und vernetzten Auto.

Euronews: Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Einfluss von Berufsbildungsprojekten wie dem in unserem Bericht - wie groß ist der Einfluss auf die Arbeitslosigkeit?

Nadia Calviño: Die Berufsausbildung ist einer der Schlüssel, damit der Arbeitsmarkt in Zukunft besser funktioniert. Unsere Arbeitslosenquote ist auf 13,3 gesunken. Zusammen mit den Strukturreformen, vor allem der Arbeitsmarktreform, und den erheblichen Investitionen in Bildung, Berufsausbildung und lebenslanges Lernen kann Spanien damit endlich einige der Ungleichgewichte beseitigen, die seit Jahrzehnten Wachstum und Wohlstand bremsen.

Cutter • Nicolas Coquet

Weitere Quellen • Production: Camille Cadet; Kamera Teneriffa: Mathieu Rocher; Kamera Madrid: Thierry Winn, Max Duncan, Martin Poveda; Motion Design: NEWIC https://www.agence-newic.com/

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