Langzeitpflege: So wichtig und so vernachlässigt

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Langzeitpflege: So wichtig und so vernachlässigt
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Von Fanny Gauret
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Das Thema Langzeitpflege ist angesichts einer erheblich alternden Bevölkerung in Europa täglich von Belang. Doch öffentlich findet es selten statt. Dabei gibt es viele Dinge, die zu verbessern wären. Fanny Gauret hat das Thema beleuchtet.

Alžbeta Zaušková arbeitet in der Pflege. Die Slowakin tut dies aus Leidenschaft - trotz aller Schwierigkeiten. „Mir macht diese Arbeit Spaß und ich mag den Kontakt mit den Menschen. Es erfüllt mich, dass ich ihnen helfen kann und ihnen etwas von mir selbst geben kann, weil ich eine besondere Beziehung zu allen habe“, betont sie.

So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden

Die alternde Bevölkerung führt zu einem steigenden Bedarf an Personal für die Langzeitpflege. euronews ist nach Banska Stiavnica gereist. In der Stadt in der Ostslowakei wurde ein Pilotprojekt mit dem Ziel durchgeführt, ältere Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden zu halten.

Lucia Schneider ist 38 Jahre alt. Sie kümmert sich seit rund einem Jahr um ihre Großmutter.

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Lucia Schneider betreut ihre Großmuttereuronews

In diesem Landstrich der Slowakei ist der Zugang zu Pflegedienstleistungen für ältere Menschen aufgrund von Geld- und Personalmangel nicht immer möglich. Schneider ist Pflegekraft und betreut im Rahmen ihrer Arbeit ihre Großmutter, Eva Lamperová. „Ich helfe meiner Großmutter beim Putzen, Einkaufen und Duschen“, so Schneider.

Die öffentlichen Ausgaben für Langzeitpflege sind in Europa gering und beliefen sich 2019 auf nur 1,7 % des BIP. Aufgrund der hohen Kosten wird die Pflege innerhalb der Familie geleistet.

„Ich bin froh, wenn sie zum Mittagessen kommt. Wenn sie da ist, fühle ich mich viel lebendiger“, erzählt Lamperová. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie allein, ihre kleine Rente reicht nicht aus, um alle Ausgaben zu decken. Daher hilft ihr ihre Familie. Eva Lamperová: „Ich konnte nicht in ein Altersheim gehen, weil meine Rente zu gering ist, um die Kosten zu decken“

Solange sie kann, möchte sie zu Hause in der Nähe ihrer Familie bleiben. Vorhersagen zeigen, dass die Zahl der Menschen, die Langzeitpflege benötigen, in der Slowakei bis 2070 um mehr als 50 % steigen wird. Das ist doppelt so viel wie der durchschnittliche Anstieg in der Europäischen Union.

Zusammenarbeit von Gemeinden

Mária Petrová lebt allein, gesundheitlich ist sie angeschlagen. „Ich muss mich oft behandeln lassen. Herr Zorvan bringt mich ins Krankenhaus, wartet da auf mich und bringt mich nach Hause“, sagt sie. Vor einem Jahr hat sich Petrová in einer Sozialeinrichtung der Gemeinde angemeldet. Diese werden vom Europäischen Sozialfonds unterstützt. Gesellschaftliche und medizinische Dienste sollen unter einem Dach zusammengelegt werden, um älteren Menschen mehr Dienstleistungen anzubieten. Im Alltag hilft ihr unter anderem ein vielseitiges Gerät bei der Überwachung ihrer Gesundheit. Getragen wird es wie eine Uhr am Handgelenk. Petrová erläutert: „Gemessen werden die Körpertemperatur, der Blutdruck und anderes. Das hilft körperlich und seelisch sehr.

Pavel Červienka ist der Leiter. Er ermuntert die ältere Bevölkerung, sich an die Gemeinde zu wenden, um ihre Bedürfnisse einzuschätzen. „Wir hatten die Idee, die Gemeinden zu kleinen Verwaltungseinheiten zusammenzulegen, um mehr Mittel aufzubringen und so eine ausreichende Anzahl an Pflegekräften bezahlen zu können“, so Červienka.

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Alžbeta Zaušková begleitet Pavel Adamy beim Erledigen von Einkäufeneuronews

Pavel Adamy wird beim Einkaufen von Alžbeta Zaušková als Betreuerin begleitet. Diese meint, die Arbeit müsse besser entlohnt werden. „Das ist eine sehr wichtige Arbeit - die könnte bei den Arbeitszeiten und bei der Bezahlung besser sein“, meint Zaušková.

Angesichts des Personalmangels und des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks hat die Europäische Union Maßnahmen eingeleitet, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern.

„Pflegekräfte sind unterbezahlt“

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Ivailo Kalfin im Gespräch mit euronews-Mitarbeiterin Fanny Gaureteuronews

euronews: Was sind die größten Herausforderungen im Bereich der Langzeitpflege in Europa? In Brüssel habe ich Ivailo Kalfin, den Direktor der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, danach gefragt.

Ivailo Kalfin: Es sind so viele, dass es schwierig ist, sie zusammenzufassen, aber die vielleicht größte Herausforderung ist der Zugang zu Langzeitpflegediensten. Es gibt einfach viele Menschen, die keinen richtigen Zugang zur Langzeitpflege haben.

Das Hauptproblem ist jedoch die Ausstattung und das Pflegepersonal. Es besteht in Europa wegen einer alternden Bevölkerung immer mehr Bedarf an Pflegekräften, und es gibt immer weniger Pflegekräfte. In der Pflege sind nicht genügend junge Leute tätig. Das ergibt eine sehr düstere Zukunftsaussicht, wenn nichts unternommen wird.

euronews: Wir sprachen über die Langzeitpflege: Wie kann man mehr Menschen für diesen Bereich gewinnen?

Viele von ihnen sind kurzfristig im Einsatz, müssen also ständig verfügbar sein, aber sie brauchen auch Zeit, um sich auszuruhen, zu entspannen und sich zu erholen, bevor sie wieder arbeiten.
Ivailo Kalfin
Direktor der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen

Kalfin: Das ist eine sehr gute Frage, und deshalb wird die Kommission eine Strategie für die Langzeitpflege vorlegen.

Natürlich müssen wir über die Gehälter sprechen, denn die Pflegekräfte sind unterbezahlt. Aber es geht nicht nur um die Gehälter, es gibt eine Reihe von zusätzlichen Hilfen, die den Pflegekräften zur Verfügung gestellt werden könnten, zum Beispiel mehr Unterstützung für das seelische Wohlbefinden, weil sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten.

Auch die Ausbildung ist wegen des technologischen Wandels wichtig. Technologie kann helfen, aber auch ein Hindernis sein. Es ist also sehr wichtig, dass diese Leute auf dem Laufenden gehalten werden.

Viele von ihnen sind kurzfristig im Einsatz, müssen also ständig verfügbar sein, aber sie brauchen auch Zeit, um sich auszuruhen, zu entspannen und sich zu erholen, bevor sie wieder arbeiten.

euronews: Wenn man über informelle Pflege spricht, also Familienmitglieder, die sich um ihre Verwandten kümmern: Wie kann man diese unterstützen?

Kalfin: Ihre Unterstützung ist noch schwieriger als jene der beruflichen Pflegekräfte.

Bei all diesen informellen Pflegekräften handelt es sich in den meisten Fällen um Frauen. Denn Frauen neigen dazu, in schlechter bezahlten und unsicheren Arbeitsstellen tätig zu sein. Und das ist ein Stigma, das sich seit vielen Jahren hält.

Viele dieser Menschen, die sich zu Hause um ältere oder behinderte Menschen kümmern, können nicht arbeiten gehen. Es muss also möglich sein, entweder eine Tagesbetreuungsstätte einzurichten oder jemanden zu finden, der diese Menschen zu Hause ersetzt. Sie haben ein sehr geringes Einkommen, und das ist im Grunde genommen ihre Arbeit. Wenn wir für ein Mindestmaß an Lebensqualität sorgen wollen, brauchen sie Unterstützung durch das Sozialsystem.

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