Dündar: "Flüchtlingsstopp auf Kosten der Meinungsfreiheit ist ein Verrat an Europa!"

Dündar: "Flüchtlingsstopp auf Kosten der Meinungsfreiheit ist ein Verrat an Europa!"
Von Euronews
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Interview mit dem türkischen Journalisten Can Dündar

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Der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung Cumhürriyet, Can Dündar, wurde wegen Verrat von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil seine Zeitung über geheime Waffentransporte des türkischen Geheimsdienstes nach Syrien berichtete. Er war in dieser Woche als Gast des Europaparlaments und Kandidat für den Sacharow-Preis in Straßburg.
Unser Korrespondent Sandor Zsiros hat ihn dort getroffen.

Sandor Zsiros, Euronews:
Wie schätzen sie die Lage der Pressefreiheit in der Türkei ein, und kann die EU da etwas bewirken?

Dündar:
Dies ist die schlimmste Periode unserer Geschichte für Journalisten und die Medien. Wir haben sehr gelitten. Vor dem gescheiterten Coup war es nicht wirklich besser, aber jetzt ist es die Hölle.
Die Türkei ist zum größten Gefängnis für Journalisten geworden. Lediglich ein paar Zeitungen und ein einziger Fernsehsender sind übrig, und die kämpfen ums Überleben. Das ist die Lage der türkischen Presse, und selbstverständlich sollte Europa den Kampf der Journalisten unterstützen, und alles daran setzen, die Aggression der türkischen Regierung zu stoppen. Leider gibt es eine gewisse Zögerlichkeit, die Journalisten zu unterstützen und gegenüber der türkischen Regierung klare Zeichen zu setzen.

Euronews:
Hat das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei damit zu tun? Wie schätzen sie es in diesem Zusammenhang ein?

Dündar:
Ich nenne es einen schmutzigen Deal, weil Erdogan die Flüchtlinge dazu benutzt, die Europäer zu einer Blindheit gegenüber der Unetrdrückung zu überreden. Und leider hat Europa so viel Angst davor, Erdogan zu verärgern, dass man sich nicht traut, klar zu den Vorgängen in der Türkei Stellung zu nehmen. Die Unterdrückung sieht man schon, aber man hofft darauf, dass sich Erdogan zum Besseren verändert.

Euronews
Vor zwei Wochen wurde in Ungarn die letzte oppositionelle Tageszeitung dicht gemacht. Was ist ihre Botschaft an die Journalisten, die jetzt arbeitslos sind?

Dündar:
Bei uns wurden 150 Zeitungen dicht gemacht, das steht also in keinem Verhältnis. Aber für ein EU-Mitgliedsland ist das natürlich schockierend. Wir brauchen eine Solidarität unter den Journalisten, die der Unterdrückung ausgesetzt sind. Ungarn und die Türkei sind ähnliche Fälle innerhalb Europas. Aber nicht nur Journalisten, sondern alle Bürger sollten die Gedanken- und Meinungsfreiheit verteidigen. Das sind doch westliche Werte, oder nicht? Wir müssen sie verteidigen. Und wenn wir diese Werte aufgeben, bloß um den Flüchtlingsstrom zu mindern, ist das ein Verrat an Europa.

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