Papst-Wähler Poletto: "Wir sollten die Probleme in der Kirche nicht übertreiben"

Papst-Wähler Poletto: "Wir sollten die Probleme in der Kirche nicht übertreiben"
Von Euronews
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Der Heilige Stuhl ist seit kurzem unbesetzt. Wird nun, nach einem Polen und einem Deutschen, wieder ein Italiener auf ihm Platz nehmen?

Die Papstwahl könnte turbulent werden. Es steht, so sagen Beobachter, ein Kampf zwischen den Anhängern Ratzingers und der alten Garde Wojtyłas bevor.

Die wichtigste Aufgabe der 115 wahlberechtigten Kardinäle wird es nun sein, die Kandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen. Einen Favoriten hat noch keiner genannt.

Gleichwohl kursieren bereits die Namen von Kandidaten, die als besonders aussichtsreich gelten. Darunter sind der Italiener Angelo Scola, der Brasilianer Odilo Scherer, Marc Oullet aus Kanada, Peter Turkson aus Ghana und der US-Amerikaner Timothy Dolan.

Vor dem Konklave, das den neuen Papst wählt, gibt es bei katholischen Entscheidungsträgern grob gesagt zwei Positionen: Die einen wollen die Skandale aufarbeiten, die anderen einen Schlussstrich ziehen.

Nach Vatileaks, der Affäre um durchgesickerte vertrauliche Vatikan-Dolumente, sind mehrere nicht-italienische Kardinäle gegen einen italienischen Papst. Vatileaks gilt vielen als Ergebnis italienischer Intrigen zur Kontrolle der Kurie.

Die Diskussionen hinter verschlossenen Türen bietet nun Gelegenheit, über mögliche Reformen ebenso zu sprechen wie über den Kindesmissbrauch und die Finanzskandale. Die italienischen Kardinäle treten dabei nicht als geschlossener Block auf, besonders über das Verhältnis zum italienischen Politik gibt es unterschiedliche Meinungen.

Noch ist unklar, wann wieder weißer Rauch aufsteigen und die Wahl des neuen Papstes anzeigen wird. Sicher scheint nur, dass diese Wahl des neuen Oberhauptes der katholischen Kirche keine einfache Angelegenheit sein wird.

euronews-Interview mit Kardinal Severino Poletto

Manuela Scarpellini, euronews:
Er ist der älteste Kardinal im Konklave, der 79-jährige Severino Poletto. Bereits 2005 nahm der inzwischen emeritierte Erzbischof von Turin an der damaligen Papstwahl teil, die der zurückgetretene Bededikt XVI. gewonnen hatte. Für diesen wird nun ein Nachfolger gesucht.

euronews:
Kardinal, wir befinden uns am Ende eines bewegten Pontifikats. Wie haben Sie den Moment kurz vor der letzten Audienz des Papstes erlebt?

Severino Poletto:
Mit viel Bewunderung und Emotionen gegenüber Papst Benedikt XVI. Die große Geste seines Rücktritts zeugt von Mut, Bescheidenheit und Liebe zur Kirche und zu Jesus Christus. Er selbst hat in der Generalaudienz gesagt: “Ich habe nachgedacht, gebetet und versucht zu verstehen. Ich weiß, dass dieser Schritt schwer wiegt, aber ich gehe ihn mit großer Gelassenheit, denn ich habe Jesus Christus und das Wohl der Kirche vor mein eigenes Wohl gestellt.”

euronews:
Während des Konklave müssen Sie, die Kardinäle, sich mit ziemlich heiklen Themen befassen, die der kommende Papst angehen muss: Die Pädophilie in der Kirche, versteckte Finanzen, die Untersuchung im Falle Vatileaks. Macht das die Wahl komplizierter?

Severino Poletto:
Ich glaube nicht, denn wir müssen ja den Besten wählen. Wir müssen den Herrn bitten, dass er uns anleitet, denjenigen zu wählen, den er, der Herr, bereits ausgesucht hat. Der Herr weiß bereits, wer der neue Papst ist. Und was die Probleme in der Kirche angeht, das sollte man nicht übertreiben, denn da wurde vieles völlig hochgespielt. Ich streite die Probleme nicht ab. Der Papst selbst hat um Verzeihung gebeten. Er sagte, dass er beschämt sei wegen der Verfehlungen, und er hat ganz sicher auch unter der Veröffentlichung der Vatileaks-Dokumente gelitten. Aber das sind alles Dinge, die Teil des Menschen sind, auch des geistlichen Menschen, der, wie jeder andere, Schwächen hat. Man darf das aber nicht verallgemeinern und es darf auch die Wahl einer Person nicht beeinflussen. Die Wahl eines neuen Papstes muss von der spirituellen Vision desjenigen motiviert sein, den uns der Herr vorschlägt und den ich noch nicht kenne, denn ich habe sozusagen ein unbeschriebenes Blatt vor mir. Der Mann, den uns der Herr vorschlägt, wird mit all seiner Geistlichkeit, seinem Glauben, seiner kulturellen und pastoralen Bildung und Erfahrung in der Lage sein, die Kirche auf dem Weg von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. fortzuführen.

euronews:
Fürchten Sie, dass die Wahl lang dauern kann, vielleicht aufgrund von Meinungsverschiedenheiten unter den Kardinälen?

Severino Poletto:
Diese Meinungsverschiedenheiten im Kardinalskollegium sind meiner Ansicht nach eine Erfindung von Journalisten, denn genau einen Tag, nachdem Papst Benedikt seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte, am 12. Februar also, war in einigen italienischen Zeitungen bereits von Grüppchenbildung unter den wahlberechtigten Kardinälen die Rede.

euronews:
Bei der Versammlung der Kardinäle werden Sie über die Zukunft nachdenken. Wie stellen Sie sich die Kirche von morgen vor?

Severino Poletto:
Die Kirche, von der ich träume, und die es bereits gibt, ist eine, die das Evangelium verbreitet. Der scheidende Papst, der zurückgetretene Benedikt der XVI., der in unserer Erinnerung immer Papst bleiben wird, hat ja das Jahr des Glaubens ausgerufen. Er hat im vergangenen Jahr eine Synode zur Evangelisierung einberufen, um die gesamte Welt an die Pflicht einer neuen Evangelisierung zu erinnern. So soll vermieden werden, dass sich der Glaube in unseren Ländern abschwächt, die eine sehr lange katholische Tradition haben, etwa in Europa.

euronews:
Einen Gruß an den zurückgetretenen und einen Wunsch an den nächsten Papst.

Severino Poletto:
Dies ist ein Gruß voller Zuneigung, Anerkennung und Emotion für das sehr hohe Niveau von Benedikts Amtszeit. Und der Wunsch an den kommenden Papst ist, dass er voll Gnade sei, dass er die geistige Unterstützung des Herrn spüre, die Gnade des Herrn und dass er auch den Rückhalt, die Unterstützung und Gemeinschaft von uns allen wahrnehmen möge.

euronews:
Wird es an Ostern einen neuen Papst geben?

Severino Poletto:
Das ist noch einen Monat hin. Ich hoffe, dass die Arbeiten zur Vorbereitungen des Konklave nicht länger als einen Monat in Anspruch nehmen. Es wäre sonst problematisch, wenn es länger dauerte. Aber ich hoffe das Beste.

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