Können Asylbewerber die deutsche Spargelsaison retten?

Silas ist Student, er sagt: "Jetzt zählt Solidarität".
Silas ist Student, er sagt: "Jetzt zählt Solidarität". Copyright Bundesverband der Maschinenringe e.V.
Von Alexandra Leistner
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300.000 Erntehelfer fehlen, aber das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat eine Idee: Wer jetzt wegen der Coronavirus-Maßnahmen keine Arbeit hat, kann Deutschlands Bauern tatkräftig zur Seite stehen. Ist die Spargelsaison gerettet?

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Update: Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Bundesinnenministerium wollen nun doch bis zu 40.000 Erntehelfer nach Deutschland einreisen lassen. Es sei wichtig die Landwirte "nicht hängen zu lassen", so Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Julia Klöckner.

Für die Einreisenden gelten strikte, vom RKI entwickelte, Richtlinien. Die Anzahl notweniger Erntehelfer solle so gering wie möglich gehalten werden, aber man brauche diese Arbeitskräfte für April und Mai. Sie sollen ausschließlich per Flugzeug an bestimmten Flughäfen ankommen dürfen, wo sie vom Arbeitgeber abgeholt und dort einem Gesundheitscheck unterzogen werden müssen.

Den Hof auf dem sie arbeiten, dürfen die Erntehelfer nicht verlassen. Für ihre Unterkünfte gelten besondere Regeln für eine größtmöglichen Abstand sowie für die Hygiene.

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Es ist eine Nachricht, die in Deutschland fast so viel Angst verbreitet, wie die Ansteckung vor dem Coronavirus: Die Spargelsaison ist in Gefahr. Denn wegen der Reiseeinschränkungen, die erlassen wurden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, fehlen in Deutschland rund 300.000 Erntehelfer, die unter anderen zum Spargelstechen und Erdbeeren pflücken dringend benötigt werden.

Denn in der kommenden Woche beginnt die Ernte der weißen Stangen, von denen Deutsche 2017/2018 etwa 1,7 Kilogramm pro Kopf zu sich nahmen. Ende Mai sind dann die Erdbeeren reif und schon jetzt muss ortsweise der Hopfen angeleitet werden. Andere Landwirte brauchen Hilfe beim Melken von Kühen und Ernten oder Verpacken von Gemüse.

Um dem Personalnotstand in der Branche zu begegnen, hat der Bundesverband der Maschinenringe das Jobportal "Das Land hilft" ins Leben gerufen, durch das Landwirte und Arbeitssuchende unbürokratisch und schnell in Verbindung treten sollen.

Mehr als 38.000 Inserate zählt die Platform bereits, zahlreiche Menschen in Deutschland sind bereit, zu helfen und nebenher etwas Geld zu verdienen und viele haben ihre Arbeit auf dem Feld auch schon begonnen. "Jetzt zählt einfach Solidarität und sich helfen. Dazu kann ich Geld verdienen", wird Student Silas aus Oberbayern auf der Seite der Kampagne zitiert.

DasLandHilft.de
Gurken ernten, sortieren oder abpacken? DasLandHilft.de vermittelt Arbeitswillige und ArbeitgeberDasLandHilft.de

Allerdings könnte der Spargel trotz der Initiativen vergeblich im Boden warten, um gestochen zu werden. "Dass der Spargel gerettet ist, ist eine Illusion", meint Nadine, die seit 10 Tagen auf einem Spargel- und Erdbeerhof bei Nürnberg auf dem Feld arbeitet.

Die 30-jährige backt in eigentlich Kuchen in einem Nachbarschaftscafé, als dieses im Zuge der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus geschlossen wurde, erkundigte sie sich, ob ihre Hilfe benötigt würde und fing umgehend auf dem nahegelegenen Hof an.

Landwirte haben Existenzängste

Als sie vor einigen Tagen Spargel pflanzten, habe der Bauer von einem möglicherweise "historischen Moment" gesprochen, denn ob sein Hof so weiter bestehen kann wenn diese Saison ins Wasser fällt, weiß er nicht. Anschließend sei er über das Feld gelaufen und habe mit seinen Böden gesprochen, Selbstgespräche geführt. Ein Abschied?

"Was sie jetzt brauchen, sind Helfer, die zuverlässig kommen und denen es nicht anstrengend wird", meint Nadine. Erfahrung und ein Grundverständnis für Lebensmittel seien zwar ein Plus, aber ausfallsichere und belastbare Hilfe sei jetzt Priorität.

Privat
Nadine hat Backstube gegen Feldarbeit eingetauscht.Privat

Spargel zu stechen ist nicht nur sehr anstrengend - "kommt direkt nach Baumfällen", meint Nadine - sondert erfordert auch ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl. Die Stange muss ausgegraben und vorsichtig abgetrennt werden, damit umliegende Triebe, die in den darauffolgenden Tagen erst erntereif sind, nicht beschädigt werden.

Auch zwei polnische Erntehelfer sind auf dem Hof. Sie waren schon vor den EU-Reisebeschränkungen da und dürfen jetzt bleiben. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung beschlossen, dass Saisonarbeitskräfte bis zum 31. Oktober eine kurzfristige Beschäftigung für bis zu 115 Tage sozialversicherungsfrei ausüben dürfen. Bisher war das für bis zu 70 Tage möglich.

Anders als die deutschen Erntehelfer, darunter auch zwei Köche, arbeiten die beiden Polen 12 Stunden täglich.

Henning Hoffheinz baut in Genthin, nordöstlich von Magdeburg, Spargel an. Für diese Saison sehe es schlecht aus, so der Jungbauer gegenüber Euronews. "Ich bin sicher, dass wir keine Deutschen für die Feldarbeit finden werden. Spargelstechen? Zum Mindestlohn?"

Auf dem Jobportal werben zahlreiche Landwirte mit "guter Bezahlung". Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Deutschland derzeit bei 9,35 Euro.

Maßnahmenpaket: Angebot an Angestellte in Kurzarbeit

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Das Maßnahmenpaket des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) umfasst zudem eine vereinfachte Regelung, um Leiharbeiter an Dritte zu verleihen und eine gesetzliche Anpassung, damit der Verdienst durch Erntearbeit nicht auf das Kurzarbeitergeld angerechnet wird - bis zur Höhe des Nettolohns aus dem eigentlichen Beschäftigungsverhältnis - und flexiblere Arbeitszeitregelungen. Rentnern soll außerdem der kurzzeitige Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit vereinfacht werden.

Landwirte können zusätzlich Corona-Soforthilfen beim Bund beantragen, die Höhe der Unterstützung richtet sich nach Anzahl der Mitarbeiter (bei weniger als 10 Festangestellten). Kleine und mittelständische Unternehmen der Landwirtschaft, des Garten- und Weinbaus können zu dem Kredit zu günstigen Bedingungen beantragen und haben einen Kündigungsschutz für Pachtverhältnisse.

Bundesverband der Maschinenringe e.V.
Landwirt Andreas aus der Hallertau hat dank des Jobportals Hilfe gefunden: "Der Hopfenernte sehe ich jetzt gelassener entgegen"Bundesverband der Maschinenringe e.V.

Können Asylbewerber die Ernte retten?

Nadine sticht jetzt grünen Spargel, weil der etwas einfacherer zu stechen ist und man dabei nicht die ganze Zeit gebückt ist. Aber obwohl sie sich selbst als sportlich beschreibt auch schon Marathon gelaufen ist, tun ihr nach 10 Tagen Oberschenkel, Hände und Rücken weh. Weitermachen will sie trotzdem erstmal so lange, bis ihr Hauptarbeitgeber sie wieder braucht.

Die Bundesregierung will unterdessen neben Kurzarbeitern aus Einzelhandel und Gastronomie auch Asylbewerbern, die keine Arbeitserlaubnis haben, kurzfristig den Einstieg in der Landwirtschaft ermöglichen. Gegenüber Euronews sagte das BMEL: "Viele kommen aus sicheren Herkunftsländer wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien oder Montenegro und wollen sich einbringen".

Verbraucher werden sich wohl trotzdem darauf einstellen müssen, dass der Spargel nicht ganz so häufig wie gewohnt auf dem Teller landen wird.

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