Wie Regen und Kälte die Spanische Grippe 1918 beeinflusst haben

Boxen mit Grippeviren
Boxen mit Grippeviren Copyright Carolyn Kaster/Copyright 2017 The Associated Press. All rights reserved.
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Von Kirsten Ripper mit GeoHealth
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Forscher der Universität Harvard haben untersucht, wie ungewöhnlich schlechtes Wetter die Todeszahlen während des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe beeinflusst haben.

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in der aktuellen Debatte zur zweiten Welle der Covid-19-Pandemie warnen viele Experten und Politiker vor Herbst und Winter. Sie gehen davon aus, dass die sinkenden Temperaturen die Ausbreitung des Virus verschlimmern könnten.

Bei Voraussagen für den Verlauf der aktuellen Pandemie ist der Vergleich mit der Spanischen Grippe interessant. Im Sommer 1918 schien die Pandemie kurzzeitig verschwunden, sie kam dann aber ab Ende August an verschiedenen Orten der Welt zurück - im Osten der USA, aber auch in Frankreich und Westafrika. Die zweite und schwerere Welle der Spanischen Grippe wurde von September bis Dezember 1918 beobachtet. In Europa waren die Monate Oktober und November besonders schlimm.

Ein Team um den Umweltforscher Alexander More von der Harvard University hat jetzt untersucht, wie die Klimabedingungen während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 die Sterblichkeit zur Zeit der Spanischen Grippe beeinflusst haben. Dabei haben sie anhand eines Eiskerns aus den Alpen das Wetter von damals rekonstruiert und die gewonnenen Daten mit historischen Aufzeichnungen über die Todesfälle während der Kriegsjahre verglichen.

Ihre Erkenntnisse haben sie in der Fachzeitschrift GeoHealth veröffentlicht.

Zwischen 1917 und 1919 starben zwischen 50 und 100 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe. In Europa wird die Zahl der Todesfälle auf 2,64 Millionen geschätzt, wie More erklärt.

Klima und Pandemie interagieren

Alexander More schreibt zusammenfassend: "Anhaltende sintflutartige Regenfälle und sinkende Temperaturen haben die Zahl der Opfer auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs erhöht und die Voraussetzungen für die Ausbreitung der Pandemie am Ende des Konflikts geschaffen. Mehrere unabhängige Aufzeichnungen über Temperatur, Niederschlag und Sterblichkeit bestätigen diese Erkenntnisse."

In Grafiken zeigen die Harvard-Forscher auf, wie die Zahl der Todesfälle mit dem schlechten Wetter korreliert.

Klimaanomalie während des Ersten Weltkriegs

Die Wissenschaftler sprechen von einer Klimaanomalie: "Die neue, hochauflösende Klimaaufzeichnung aus Europa zeigt eine Klimaanomalie, die nur einmal im Jahrhundert während der Jahre des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippepandemie auftrat. Die Sterblichkeitsdaten zeigen einen Anstieg in Zeiten sich verschlechternden Wetters. Niederschlagsmengen und Temperaturen sind ein Faktor in vielen der großen Schlachten des Ersten Weltkriegs sowie ein möglicher verschärfender Faktor für die Virulenz der Pandemie."

Zweite Welle der Spanischen Grippe kam offenbar aus Asien

Die zweite Welle der Spanischen Grippe ging laut More im Herbst und Winter 1917 wohl von alliierten Truppen aus, die aus Asien gekommen waren und ihr Basislager in der Nähe von Boulogne errichtet hatten. Die Kombination von extrem viel Regen und von Millionen von Truppen auf den Schlachtfeldern unter unhygienischen Bedingungen sowie dem Einsatz von Chlorgas als chemischer Waffe gelten als Faktoren, die zur Mutation und Entstehung der tödlichsten Welle der Spanischen Grippepandemie im Herbst und Winter 1918-1919 beitrugen.

Alexander More meint: "Die tödlichste Grippewelle in Europa begann im Herbst 1918 gleich nach einer Periode mit extrem hohen Niederschlägen und kalten Temperaturen." Verschärft wird die Todesrate laut Studie "in Regionen mit ausgedehnter, langfristiger Luftverschmutzung wie Europa".

Vögel als Verbreiter: Wegen des schlechten Wetters nicht migrierte Stockenten

Die Harvard-Forscher gehen zudem davon aus, dass sich wegen der Klimaanomalie besonders viele Stockenten in Europa aufhielten. Diese könnten den Grippevirus HIN1 über Seen und andere Gewässer auf den Menschen übertragen und die Pandemie verschlimmert haben. "Die Übertragung des Influenzavirus H1N1 von Tieren (Vögeln und Säugetieren) auf den Menschen (Zoonose) erfolgt in erster Linie über Wasserquellen, die mit Kot von infizierten Vögeln kontaminiert sind. Im Herbst kann die Rate der Influenza-A-Virusinfektion in Stockentenpopulationen aufgrund der Exposition immunologisch naiver Jungtiere gegenüber dem Virus bis zu 60% betragen. Die Jungtiere sind besonders anfällig dafür, im selben Gebiet zu bleiben, wenn ihre Wanderroute unterbrochen wird."

More glaubt zudem, dass "Anomalien des Unwetters in den Jahren 1917-1919 sowohl zur Verbreitung als auch zur Mutation des Virus der Spanischen Grippe beigetragen haben könnten."

Leben Viren in feuchter Luft länger?

Philip Landrigan vom Global Public Health Program am Boston College hält die Harvard-Studie in Bezug auf das Coronavirus für interessant- wie er dem Standard erklärt "Was wir bei der Covid-19-Pandemie mittlerweile gelernt haben, ist, dass einige Viren in feuchter Luft länger lebensfähig zu sein scheinen als in trockener Luft. Es klingt also durchaus plausibel, dass die Witterungsbedingungen in Europa in den Jahren des Ersten Weltkriegs die Übertragung des Virus beschleunigt haben könnten."

Wie die Friedrich-Ebert-Stiftung in einem Artikel zur Spanischen Grippe erklärt, wurde die Pandemie schon während des Ersten Weltkriegs in Deutschland von einigen abgetan.

So schrieb die Zeitung "Vorwärts" am 1. Juli 1918 mit Verweis auf den nasskalten Sommer: "Nicht jeder, der in den letzten Tagen vor Frost klapperte, hat deswegen an Schüttelfrost gelitten. Immerhin kann eine gewisse Vorsicht nicht schaden, wenn auch übertriebene Aengstlichkeit erst recht von Uebel ist. Die Zahl derer, die bei solchen Anlässen einer Suggestion erliegen und sich krank glauben, obwohl ihnen nichts fehlt, ist erfahrungsgemäß nicht gering."

Im Oktober 1918 hieß es dann aber in der SPD-Zeitung: "Die Krankenhäuser sind allenthalben so überfüllt, daß selbst Schwerkranke oft keine Aufnahme finden können. […] Im Reich sieht es noch schlimmer aus als in Berlin."

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