Wie gefährlich ist die Pelztierzucht?

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Von Julian GOMEZSabine Sans
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Nerze gelten als gelten als gravierendes Risiko für die Verbreitung mutierter Coronaviren.

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Die umstrittene Pelztierzucht ist in der Krise: In mehreren Ländern wurden Millionen Nerze gekeult - aus Angst, dass die Tiere eine mutierte Coronavirus-Variante auf den Menschen übertragen und Impfstoffe wirkungslos machen könnte. Im großen Stil begann die Nerzzucht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA. Die Erfindung der Pelznähmaschine beflügelte den Trend, Pelz zu tragen. Der Europäische Nerz ist in Deutschland nahezu ausgestorben und steht auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten Europas; ihm wird unter anderem zum Verhängnis, dass Zuchtnerze immer wieder ausbrechen und in seine angestammten Lebensräume drängen. 2018 gab es laut dem europäischen Pelzverband Fur Europe 4.350 Pelzfarmen in Europa, mit einer Produktion von knapp 38 Millionen Fellen.

Wie gefährlich sind Europas Nerzfarmen?

Im vergangenen November hat Dänemark 17 Millionen Nerze gekeult, damit die Tiere nicht zu einem Reservoir für eine mutierte Coronavirus-Variante werden. Außerdem soll eine Übertragung auf den Menschen verhindert werden. Massenkeulungen gab es auch in den Niederlanden und Spanien.

Nordgriechenland ist ein weiteres Zentrum der europäischen Pelzindustrie. Dort laufen die Dinge anders. Die Region gehört zu den ärmsten des Landes. Dort ist man stark von dieser umstrittenen Industrie abhängig. Euronews besucht eine der rund 80 Farmen in der Gegend, auf denen etwa 1,5 Millionen Tiere gezüchtet werden. Der Zutritt auf das Gelände ist nur unter strengen Auflagen möglich, einschließlich negativer PCR-Tests für die Filmcrew.

"Uns hat es sehr überrascht, dass diese Tiere so empfindlich auf das Covid-Virus reagieren", sagt Nerzzüchterin Nicole Bauduin. "Die Mitarbeiter trugen sofort Masken und waschen sich regelmäßig die Hände. Es wird nicht zu zweit in einem Stall gearbeitet. Wir tun alles, um Covid aus dem Gebiet fernzuhalten. Alle Mitarbeiter auf Nerzfarmen sind bereits geimpft."

Neben der regelmäßigen Untersuchung der Nerze auf das Virus werden diese Maßnahmen vom Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) dringend empfohlen, um Infektionen in einer, wie es heißt, "risikoreichen" Umgebung zu verhindern. Diese Farm ist bisher nicht infiziert worden.

Aber mindestens 15 Prozent der griechischen Farmen sind infiziert, weniger als in den Niederlanden, aber in ähnlicher Größenordnung wie bei großen Pelzproduzenten wie Dänemark oder Schweden. Anders als in anderen Ländern werden kranke Tiere in Griechenland nicht gekeult; sie bleiben isoliert unter strenger tierärztlicher Aufsicht.

"Wenn wir Covid-19-positive Tiere finden, geht die Farm in ein Quarantäneprotokoll", erklärt Tierärztin Zoi M. Thomou. "Wir töten keine Tiere mehr. Wir helfen den kranken Tieren auf jede erdenkliche Weise. Wir haben beobachtet, dass sie eine Immunität entwickeln. Nach einer gewissen Zeit ist das Virus nicht mehr nachweisbar. Aber um sicher zu sein, muss das noch weiter erforscht werden."

Griechenland geht Sonderweg

Dieser Ansatz erklärt sich aus wirtschaftlichen Gründen: Die Pelzindustrie ist nach dem Energiesektor der zweitgrößte Arbeitgeber in der Region. Allein in der Stadt Kastoria bietet sie 60 Prozent der 35.000 Einwohner Arbeit.

Das Pelzhandwerk ist eine alte Tradition in der Gegend, die bis in die byzantinische Zeit zurückreicht.

Gerberei-Besitzer Akis Tsoukas ist der Präsident des Pelzhandwerk-Verbands in Kastoria. Ohne die Pelzindustrie würde die Region zusammenbrechen, behauptet er:

"Der Sektor beschäftigt Tausende Menschen. Es gibt den Zucht- und den Verarbeitungssektor, der Konfektionskleidung, Konfektionsmäntel herstellt. Es gibt über 2.000 Unternehmen in diesem Bereich. Einige sind kleine Familienbetriebe, andere große Unternehmen."

Große Einzelhändler bieten bis zu 500 Arbeitsplätze. Die Pelzmäntel werden von Handwerkern und Kürschnern entworfen und hergestellt. 18.000 Pelzmäntel sind derzeit für die Märkte in Russland, der Ukraine, Monaco oder der Schweiz bestimmt. Griechenlands Pelzexporte vor der Pandemie beliefen auf rund 200 Millionen Euro jährlich. Der Export fiel aufgrund der Coronakrise 2020 auf rund 70 Millionen Euro im Jahr.

"Es gibt die Nachfrage", so Pelzhändler Dimitrios Kostopoulos. "In vielen Ländern gibt es aufgrund der kalten Wetterbedingungen einen echten Bedarf an Pelzen. Pelze können durch kein anderes Material oder Kleidung ersetzt werden."

Heikle Balance zwischen Gesundheits- und Arbeitsschutz

Die Pandemie zwingt die lokalen Behörden zu einer heiklen Balance zwischen der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit und dem Schutz des Einkommens vieler Haushalte. Georgios Vavliaras ist der Vize-Gouverneur der Region für Wirtschaftsförderung.

"Pelz ist hier die Haupteinnahmequelle. Die Pelzfarm-Industrie ist fast wie eine Monokultur. Denn alle anderen Sektoren leben auch vom Pelz und entwickeln sich darum herum. Für uns wäre es also sehr schwierig, diese Industrie zu verlieren. Das würde zu ernsthaften Problemen führen. Aber wir ermutigen die Leute auch, sich anderen Branchen zuzuwenden. Das Ziel ist, dass die jungen Leute in der Gegend bleiben und arbeiten. Und, dass diejenigen, die weggegangen sind, nach Hause zurückkehren."

Kritiker des griechischen Ansatzes

Traditionell gegen Pelzfarmen eingestellt, argumentieren Umweltgruppen, dass die Covid-19-Pandemie das Tierleid noch verschlimmert. In einem Refugium für verletzte Wildtiere in der Nähe der Stadt Thessaloniki trifft der euronews-Reporter Stavros Karageorgakis. Er ist Experte für Tierethik und ein langjähriger Gegner der Pelztierzucht:

"Besonders in der Coronakrise sind die Haltungsbedingungen für diese Tiere noch schlimmer. Man kann einfach nicht vermeiden, dass die Nerze das Virus bekommen, weil sie in kleinen Käfigen eingesperrt sind, in denen sie nur sehr wenig Platz haben. Zweitens können sie in den Käfigen keine Immunität entwickeln, so wie das unter anderen Lebensbedingungen möglich wäre."

Umweltschützer akzeptieren nicht, dass wirtschaftliche Argumente den Bestand der Industrie in Griechenland rechtfertigen.

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Kommt das Ende der Pelztierzucht in Europa?

Pelzfarmen wurden in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten verboten oder werden schrittweise abgeschafft, unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Potenzial, argumentieren Aktivisten.

In anderen Ländern werden derzeit Gesetzesvorschläge für ein Verbot der Pelztierzucht geprüft. Griechenland gehört zu keiner dieser Gruppen. Tourismus, Landwirtschaft und Dienstleistungen könnten die Lücke füllen, die eine Schließung der Pelzindustrie aufreißt, meint der Tierschützer Stavros Karageorgakis:

"Die Europäische Union kann eine entscheidende Rolle in dieser fatalen Realität spielen, die wir alle erleben. Ganz einfach, indem sie die Pelzindustrie in allen europäischen Ländern verbietet, in allen Mitgliedsstaaten. Natürlich müssen die Einheimischen motiviert und ermutigt werden, denn sie werden finanziell bluten. Ihnen muss man durch entsprechende Programme Alternativen anbieten, damit diese grausame Praxis aufhört", so der Gastdozent an der Aristoteles-Universität Thessaloniki.

Nerzzüchterin Nicole Bauduin meint: "Es gibt Leute, die nutzen alles, jede Gelegenheit, um gegen Pelze zu sein. Es ist nicht nur das Virus. Es sind die Käfige, die Art, wie die Tiere behandelt werden... Jede Gelegenheit, die sie finden, um uns in ein schlechtes Licht zu rücken, werden sie nutzen."

Einzelhändler und Pelzfarmer wollen ihr Einkommen erhalten. Kürschner wollen ihr Können weitergeben. Behörden bemühen sich um den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Arbeitsplätze. Umweltschützer kämpfen für das Wohlergehen der Tiere. Die Pandemie - hier und in anderen europäischen Ländern - hat die komplexe Debatte noch verschärft.

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