So soll der digitale Binnenmarkt Europas Online-Handel fit machen

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Die East London Tech City ist das drittgrößte Technologiezentrum weltweit, und eines von vielen ähnlichen Clustern in Europa. Seine Prioritäten

Die East London Tech City ist das drittgrößte Technologiezentrum weltweit, und eines von vielen ähnlichen Clustern in Europa. Seine Prioritäten liegen darauf, Konsumenten und Unternehmen auf dem digitalen Binnenmarkt zusammenzubringen. Wir haben mit dem für den digitalen Binnenmarkt zuständigen EU-Kommissar Andrus Ansip über seine Pläne gesprochen, speziell über die Herausforderungen, denen Online-Unternehmen und Konsumenten gegenüberstehen. Außerdem waren wir in Ansips Heimat Estland, um zu sehen, wie wir uns an die vierte industrielle Revolution anpassen können.

Das Projekt Digitaler Binnenmarkt

Zu den Grundfreiheiten der EU gehören der freie Warenverkehr, die Dienstleistungsfreiheit und die Personenfreizügigkeit. Allerdings sieht der grenzüberschreitende Online-Handel in der EU noch ziemlich düster aus verglichen mit nationalem Handel – oder dem in den USA. Dabei könnte der geplante digitale Binnenmarkt pro Jahr 415 Milliarden Euro erwirtschaften und Hunderttausende neue Jobs generieren.

Fred und Mary wollen handeln

Viele von uns gehen wie Fred ins Internet. Marys Unternehmen würde Fred gerne etwas verkaufen. Dafür muss der digitale Binnenmarkt beide verbinden, indem er Hürden abbaut und die den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr auch in der virtuellen Welt ermöglicht. Der digitale Binnenmarkt muss Fred und Mary angeglichene Regeln bei Verträgen und dem Verbraucherschutz bieten, damit sie sich gegenseitig vertrauen können. So ist für beide ein fairer Wettbewerb garantiert, ihre Daten sind sicher, ganz egal, wo sie sich in Europa aufhalten.

Durch den digitalen Binnenmarkt kann Fred viel sparen. Und weil das Geoblocking wegfällt, kann er seine Film- und Musikabos überall in Europa nutzen. Einfachere Regeln bedeuten für Mary Wachstum, geringere Versandkosten und einfachere, international gültige Urheberrechts- und Mehrwertsteuergesetze. Der digitale Binnenmarkt bedeutet auch mehr Breitbandversorgung und eine Ende der Roaming-Gebühren. Und so können noch mehr Leute wie Fred online gehen.

Einheitlichkeit im grenzüberschreitenden Handel

Wenn man heute innerhalb der EU etwas im Internet bestellt, passiert es oft, dass nicht in andere Länder geliefert wird und Kunden nicht ausreichend geschützt sind. Der digitale Binnenmarkt soll Verbrauchern nun Schutz und Zugang gewähren und die Regeln für Verträge, die Mehrwertsteuer und die Rüstkosten in allen 28 EU-Ländern vereinheitlichen, damit Unternehmen wachsen können.

Ob es um herkömmliche Läden mit Onlineambitionen oder reine Internet-Shops geht: Der Online-Handel hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Damit dieser Boom auch in Europa weitergeht, brauchen die Unternehmen ein geeignetes rechtliches und finanzielles Umfeld. Inzwischen kaufen gut 40 Prozent aller Europäer online im eigenen Land ein. Nur 15 Prozent hingegen nutzen das Internet für Einkäufe in anderen Ländern.

Das Start-Up Captain Train hat sich auf grenzüberschreitenden Handel spezialisiert. Das Unternehmen aus Frankreich muss sich immer wieder an Unterschiede in den nationalen Gesetzgebungen anpassen.

Jean-Daniel Guyot, Chef und Mitgründer von Captain Train, sagt: “Das ist problematisch, denn auf nationaler Ebene gibt es fast alle sechs Monate und jedes Jahr Reformen in verschiedenen Bereichen, seien das Online-Regeln, Unternehmensgesetze, Arbeitsgesetze, all das müssen wir beachten, und zwar in jedem einzelnen Land. Wir brauchen ein vereinheitlichtes System, wo die Spielregeln für alle dieselben sind. Denn in der Zeit, in der wir die neuen Regeln erlernen müssen, können wir keine Geschäfte und keinen Umsatz machen.”

Die EU-Kommssion schätzt die dadurch entstehenden Kosten für ein kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) auf rund 9000 Euro. Nun soll deshalb ein echter digitaler Binnenmarkt entstehen. Denn wenn die Gesetze schon für Profis kompliziert sind, dann sind sie es erst recht für den Laien.

Nicolas Godfroy, Chef der Rechtsabteilung bei UFC Que Choisir sagt: “Ein Händler muss zunächst vor allem Vertrauen aufbauen. Dadurch gewinnt man Kunden. Wir haben nicht mehr allein das alte System, in dem ein Kunde in einen realen Laden geht um Fragen zu stellen oder zu sehen, ob die Verkäufer nett sind und hilfsbereit. Deshalb muss man Vertrauen aufbauen, damit die Kunden auch außerhalb ihrer Grenzen einkaufen gehen.”

Digital-Kommissar Ansip über den digitalen Wandel

Die EU-Kommission hat ihr Vorhaben schon begonnen, um Leuten wie Jean Daniel und seinen Kunden zu helfen. Die Infrastruktur soll ausgebaut, der Zugang für Online-Kunden zu Waren soll einfacher werden und die rechtlichen Hürden sollen wegfallen.

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Die digitale Industrie wächst also in Europa. Aber es gibt nach wie vor Hürden für Anbieter und Kunden, die überwunden werden müssen. Im EU-Parlament in Straßburg habe ich mit Andrus Ansip, dem für den digitalen Binnenmarkt zuständigen EU-Kommissar und Vize-Präsidenten der Kommission, gesprochen. Was ist in diesem Jahr am wichtigsten?

Andrus Ansip
Wir haben den digitalen Binnenmarkt vergangenen Mai gestartet und es geht alles ziemlich schnell voran. Wir haben Vorschläge zur Portabilität digitaler Inhalte in der EU gemacht. Der zweite Vorschlag betrifft digitale Verträge. Heute haben wir bis zu 56 verschiedene Regeln für Onlineverkäufe und digitale Verträge. Wir wollen nur noch zwei Regeln haben und wir müssen so schnell wie möglich eine Einigung erzielen. Das soll noch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres geschehen. Die Portabilität soll erlaubt werden, sobald wir die Roaming-Gebühren abgeschafft haben.

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o euronewsDie Einkünfte und Umsätze vieler Unternehmen werden davon betroffen sein. Andrus Ansip
Wenn jemand sagt, du kannst diese Schokoladenschachtel hier kaufen, aber du darfst sie nicht in Belgien essen, dann denkt man, die sind verrückt. Übersetzt ins Digitale sagen sie, dies ist die Grundlage unseres Geschäftsmodells. Wir wollen im 21. Jahrhundert nicht wegen unserer Nationalität und wegen des Ortes, an dem unsere Kreditkarte ausgestellt wurde, diskriminiert werden. Und wir machen dieses Jahr noch einen weiteren Vorschlag: Das Ziel ist es, den grenzüberschreitenden Zugang zu digitalen Inhalten zu verbessern.

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Wie machbar ist das bei immerhin 28 Ländern?

Andrus Ansip
Das ist machbar. Ich hoffe, es wird möglich sein, einen Konsens bei den Vertragsregeln in der gesamten EU zu finden. Was die Mehrwertsteuer angeht, müssen wir Unternehmen das Leben einfacher machen. Ich bin mir allerdings recht sicher, dass es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze noch lange geben wird.

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Der digitale Binnenmarkt ist das, was viele Unternehmen wollen. Aber ist er auch hilfreich für traditionelle Firmen, werden Jobs verloren gehen, wie manche fürchten?

Andrus Ansip
Ja. Es tut mir leid, das zu sagen, aber in manchen Bereichen werden Menschen ihre Jobs verlieren. Auf der anderen Seite: Nehmen wir etwa die App-Wirtschaft. 2014 gab es EU-weit 1,8 Millionen Jobs in diesem BEreich. 2018 sollen es 4,8 Millionen sein. Der Fortschritt schafft mehr Jobs, als er zerstört.

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Sagen wir internationalen Investoren, in Europa ist es schwierig, Geschäfte zu machen?

Andrus Ansip
Wir haben keine unterschiedlichen Gesetze für uns und für Ausländer. Wir müssen uns wirklich selbst fragen, warum müssen unsere Start-Ups, etwa Spotify, das aus Schweden kommt, die EU verlassen und in die USA gehen, um zu wachsen? Wir mussten den digitalen Binnenmarkt in der EU schaffen, damit unsere schlauen Köpfe hier in Europa bleiben.

Wir müssen unsere digitalen Kenntnisse erweitern – Ein Blick nach Estland

Fast die Hälfte der Europäer hat keine ausreichenden digitalen Kenntnisse. Dabei hängen 90 Prozent aller künftigen Jobs davon ab. Bei digitalen öffentlichen Dienstleistungen steht Estland ganz vorn. Der digitale Fortschritt hat hier seit den frühen Neunzigern 17.000 Jobs in der Informations- und Kommunikationstechnik geschaffen. Bis 2020 soll sich die Zahl verdoppeln. Estlands digitales Denken wird am besten durch den elektronische Personalausweis symbolisiert, mit dem die Bürger auch Steuern zahlen, Verträge abschließen oder den Bus zahlen können. Alles volldigital. Estland ist im Vergleich zur EU ein recht kleiner Markt. Doch die digitalen Errungenschaften wie auch die Defizite bieten wertvolles Studienmaterial für den Rest Europas.

Das nationale Gesundheitssystem zeigt, wie gute sich auch herkömmliche Bereiche digitalisieren lassen. Alle Einträge und Verschreibungen sind digital. Diese Notaufnahme etwa kann alle Daten eines Patienten über dessen Personalausweisnummer abrufen.

Erast-Henri Noor, Chirurg am North Estonia Medical Centre erklärt: “Alle Analysen, alls CT-Scans, Sonographien, alle früheren Operationen, also schlicht alles ist verfügbar. Ein paar altmodische Ärzte wollen das nicht einsetzen. Aber die neue, künftige Generation wird es auf jeden Fall benutzen.”

Die digitale Infrastruktur wird immer weiter ausgebaut, das heißt auf der anderen Seite, dass die Anwender ihre Kenntnissse lebenslang auffrischen müssen.

Marko Kilk, IT-Chef des North Estonia Medical Centres: “Heute verwalten Ärzte Daten. Davon müssen sie befreit werden. Das sind Aufgaben für Krankenschwestern und Pfleger. Die heutige Tätigkeit von Krankenschwestern verlagern wir hin zu medizinischen Verwaltungsangestellten. Und so weiter.”

Estnische Experten fordern mehr Bildungsprogramme für den digitalen Wandel. Die “Ole Kaasas”-Initiative (Sei dabei) hat in den vergangenen drei Jahren 40.000 Menschen landesweit neue IT-Kenntnisse vermittelt. Die Nachfrage nach Fachleuten steigt.

Ain Aaviksoo vom estnischen Sozialministerium: “Der digitale Binnenmarkt schafft Arbeitsplätze. Er wird einzelne Jobs dort, wo bisher menschliche Arbeitskraft genutzt wurde, verlagern, etwa im Gesundheitsbereich, in Krankenhäusern. Aber er wird in anderen Bereichen Jobs schaffen. Etwa in Unternehmen, die diese Produkte, die wir außerhalb Europas verkaufen können, entwickeln.”

Die digitale Wirtschaft Estlands hängt dem EU-Durchschnitt in manchen Bereichen etwas hinterher, etwa beim elektronischen Datenaustausch oder beim E-Commerce. Der digitale Binnenmarkt könnte das nun ändern.

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