Mit Gedanken Geräte steuern: Was sind Gehirn-Computer-Schnittstellen?

Die Stentrode-Schnittstelle ist ein streichholzgroßes, netzartiges Gerät mit Elektroden, das in das Gehirn implantiert wird.
Die Stentrode-Schnittstelle ist ein streichholzgroßes, netzartiges Gerät mit Elektroden, das in das Gehirn implantiert wird. Copyright Synchron
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Von Camille Bello
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Einst war es der Traum von Stephen Hawking: Gehirn-Computer-Schnittstellen könnten sehr bald Millionen von Menschen weltweit helfen, die an Lähmungen leiden.

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Menschen, die Maschinen mit Gedanken steuern? Das ist keine Science-Fiction mehr.

Mehrere Unternehmen wetteifern darum, Gehirnimplantate zu entwickeln, die genau das ermöglichen - und eines davon wird von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, geleitet.

Der milliardenschwere CEO von Neuralink (und von Twitter, SpaceX und Tesla) sagte diese Woche, er rechne damit, dass sein Start-up innerhalb von sechs Monaten mit Tests seiner Gehirn-Computer-Schnittstelle bei Patient:innen beginnen könne.

Wie fortschrittlich ist diese Technologie und was verspricht man sich davon?

Die Zukunft der Kommunikation

Stephen Hawking sagte einmal, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen, die eine drahtlose Übertragung von Gedanken an externe Geräte ermöglichen, die Zukunft der Kommunikation seien.

Der englische Physiker und Kosmologe erkrankte im Alter von nur 21 Jahren an Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Eine Gehirn-Computer-Schnittstelle hätte auch ihm ungemein geholfen.

ALS ist eine neurodegenerative Krankheit, die einen allmählichen Abbau der Muskeln verursacht und zu Schwierigkeiten beim Schlucken, Sprechen und schließlich Atmen führt.

Aufgrund der Krankheit hatte Hawking nur wenig Kontrolle über seine Muskeln, so dass er ein sprachgenerierendes Gerät (SGD) benutzte, um durch einen von Intel entwickelten Computer zu sprechen.

Die vom Computer verwendete Software bewegte einen Cursor über eine Tastatur, den Hawking mit einem Zucken seiner Wange stoppen konnte, sobald er den gewünschten Buchstaben oder das gewünschte Wort erreichte. Hawking benutzte einen ergänzenden Sprachsynthesizer, der den Satz las, sobald er von der Software bestätigt oder vervollständigt wurde.

Synchrons Stent-ähnliches 'Stentrode'-Gehirnimplantat

Die Technologie brachte Hawking einen weiten Weg, aber Wissenschaftler:innen träumen weiter von noch ausgefeilteren Gehirn-Computer-Schnittstellen.

Hawking starb 2018, zwei Jahre bevor die erste Hirn-Computer-Schnittstelle der Welt einem Patienten implantiert wurde: die Stentrode, hergestellt von Synchron, einem in Australien gegründeten, in New York ansässigen Unternehmen.

Die Stentrode-Schnittstelle - ein stentähnliches Hirnimplantat - wurde 2020 von der US Food and Drug Administration als "bahnbrechendes Gerät" eingestuft. Ein Jahr später erhielt Synchron als erstes Unternehmen die FDA-Zulassung für die Durchführung klinischer Studien mit einem computerbasierten Hirnimplantat.

Das Versprechen und die Hoffnung der Technologie von Synchron sind klinisch motiviert, wobei das Hauptziel darin besteht, Menschen, die ihre körperliche Unabhängigkeit verloren haben, wieder Unabhängigkeit zu geben.

Wie funktioniert eine Gehirn-Computer-Schnittstelle?

Die Stentrode-Schnittstelle ist ein streichholzgroßes, netzartiges Gerät mit Elektroden, das in das Gehirn implantiert wird und in der Lage ist, Signale zu empfangen, die es dem Benutzer ermöglichen, externe Systeme zu steuern.

Synchron beschreibt die Stentrode als ein Bluetooth-Gerät, das es ermöglicht, den Computer mit den eigenen Gedanken zu steuern, so dass Menschen mit schweren Lähmungen Aufgaben wie Schreiben, SMS, E-Mails, Einkaufen und Online-Banking mit Hilfe von Gedanken ausführen können - und das ohne eine offene Gehirnoperation zu benötigen.

Das Gerät muss nicht in den Schädel gebohrt werden, sondern wird durch die Halsvene in das Gehirn geschoben. Es nutzt die Blutgefäße als Autobahn ins Gehirn und versieht sie innen mit Elektroden, die die Aktivität des motorischen Kortex des Gehirns aufzeichnen können, eines Bereichs, dessen Hauptfunktion darin besteht, Signale zu erzeugen, um die Bewegungen des Körpers zu steuern.

Patient:innen sind somit in der Lage, ihre Gehirnimpulse zur Steuerung digitaler Geräte zu nutzen, ohne dass ein Touchscreen, eine Maus, eine Tastatur oder eine Sprachaktivierungstechnologie erforderlich ist.

Wie werden diese Gehirnsignale übersetzt?

Das Entwicklerteam untersuchte die vom Stentrode-Gerät aufgezeichneten neuronalen Signale, während die Teilnehmer:innen bestimmte Bewegungen ausführten - oder an die Ausführung dieser Bewegungen dachten -, um sie später zu interpretieren und in eine computerfreundliche Sprache zu übersetzen.

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Bislang wurde nur wenigen Menschen das Stentrode-Implantat eingesetzt, aber Wired berichtete im August, dass Synchron das Gerät bis Ende 2022 15 Patienten implantieren will.

Der erste Patient, der die Gehirn-Computer-Schnittstelle von Synchron ausprobierte, war ein Mann namens Graham Felstead, der zweite Philip O'Keeffe. Beide Männer leiden wie Hawkings an ALS.

"Das ist ein neuer Horizont. Es ist wirklich ein neuer Horizont", sagte O'Keeffe in einem Interview mit The Economist, "eine direkte Verbindung zwischen dem Gehirn und dem Computer zu haben, ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg der menschlichen Evolution".

Synchron führt derzeit eine von den National Institutes of Health finanzierte klinische Studie durch, in der die Sicherheit der Stentrode sowie ihre Wirksamkeit bei Patienten mit schweren Lähmungen untersucht werden soll.

Synchron hofft, dass diese Technologie auch die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson, Epilepsie, Depression und Bluthochdruck ermöglichen wird.

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