Treffen der Eurogruppe: Erste Schritte aus der Corona-Krise

Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calvino, EZB-Präsidentin Christine Lagarde, Luxemburgs Finanzministerin Yuriko Backes (v.l.)
Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calvino, EZB-Präsidentin Christine Lagarde, Luxemburgs Finanzministerin Yuriko Backes (v.l.) Copyright Virginia Mayo/AP Photo
Von Euronews
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Wie wird die Wirtschaftspolitik in einem Europa nach der Krise aussehen? Die Finanzminister der Eurozone haben bei ihrem ersten Treffen 2022 u.a. über den Stabilitäts- und Wachstumspakt beraten.

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Wie wird die Wirtschaftspolitik in einem Europa nach der Krise aussehen? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Treffens der Finanzminister der Eurozone.

Die Politiker haben am Montag auf ihrem ersten Meeting 2022 in Brüssel erstmals darüber beraten, was mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt geschehen soll, der seit Beginn der Pandemie auf Eis liegt.

Die Überprüfung des so genannten Fiskal-Regelwerks der EU wurde in einem völlig anderen Kontext wieder aufgenommen, als jemals zuvor erwartet. Die staatliche Verschuldung ist erheblich gestiegen, die regionalen, wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede haben sich verschärft, der Inflationsdruck sorgt für Unsicherheiten und die Aufbau- und Resilienzfazilität hat dem Projekt der EU eine andere Richtung gegeben.

Damit stehen die politischen Entscheidungsträger der EU nicht nur vor der Aufgabe, bereits bestehende Defizite ihres Regelwerks zu beheben. Sie müssen auch die großen Herausforderungen für die Zeit nach der Pandemie angehen, einschließlich des grünen und digitalen Wandels.

Stabilitäts- und Wachstumspakt - Was ist das und warum ist er wichtig?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), der als finanzpolitisches Regelwerk der Eurozone bezeichnet wird, beschreibt, vereinfacht gesagt, eine Reihe von finanzpolitischen Regeln, die verhindern sollen, dass die Länder der EU über ihre Verhältnisse leben.

So wurde 1997 vereinbart, dass das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit eines Mitgliedstaates 3 Prozent des BIP nicht überschreiten darf (Maastricht-Defizit). Außerdem darf der Schuldenstand eines Mitgliedstaates nicht 60 Prozent des BIP überschreiten (Maastricht-Schuldenstand).

Für die Einhaltung dieser Regeln ist die Europäische Kommission und der Rat der Finanzminister zuständig. Sie geben jährlich eine Empfehlung zu politischen Maßnahmen ab und kontrollieren die Mitgliedstaaten, um die Einhaltung der Haushaltsvorschriften zu gewährleisten.

Länder, die in drei aufeinander folgenden Jahren gegen die Regeln verstoßen, werden mit einer Geldstrafe von maximal 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) belegt, was bislang noch nie passiert ist.

Der SWP hat sehr viele Unterstützer, doch auch entschiedene Gegner. Der Pakt wurde oft für seine strengen und unflexiblen Haushaltsregeln kritisiert, obwohl es im Laufe der Jahre mehrere Reformen und ergänzende Mechanismen gab.

Doch der Rahmen bleibt konsequent. Einige beklagen, dass er vor allem dazu dient, die ärmsten und schwächsten Mitgliedstaaten zu bestrafen, während andere, wie Frankreich, das mehrmals gegen die Defizitgrenze von 3 Prozent verstoßen hat, nie wirklich Sanktionen zu befürchten hatten.

Der ehemalige Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker gab einmal einen ehrlichen, aber zynischen Kommentar dazu: "Frankreich ist Frankreich."

Die Auswirkungen von Covid-19 und interne Spaltungen

Im März 2020 hat die Europäische Kommission eine allgemeine Ausweichklausel im SWP aktiviert, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, die normalen Defizit- und Schuldengrenzen aufgrund der plötzlichen wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie zu überschreiten. Diese Regeln werden bis 2023 ausgesetzt bleiben.

Die öffentlichen Diskussionen dazu wurden Ende 2021 abgeschlossen – nun liegt es an der EU-Kommission, einen Vorschlag auf den Tisch zu legen.

Frankreich, das bis Juni die rotierende EU-Ratspräsidentachaft innehat, hofft, dass der neue Rahmen unter seinem Vorsitz fertiggestellt wird. Diplomaten in der EU halten das für ziemlich ehrgeizig und eher unwahrscheinlich. Warum? Weil es noch immer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedsstaaten gibt und zudem die Schatten der Finanzkrise noch nicht überwunden sind.

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire machte am Montag in der Eurogruppe die Prioritäten Frankreichs deutlich: "Wir werden einen Wachstumspakt brauchen. Wachstum kommt vor Stabilität, nachhaltiger Wachstum, fairer Wachstum, notwendiger Wachstum für alle europäischen Bürger. Wir müssen sehen, welche Art von Investitionen wir tätigen sollten, um ein grüneres Wachstum zu erreichen".

Deutschlands neuer Finanzminister Christian Lindner (FDP) war noch deutlicher, was die Regeln betrifft: "In meinen Augen hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt seine Flexibilität während der Krise bewiesen. Doch jetzt ist es an der Zeit, wieder fiskalische Puffer aufzubauen. Wir müssen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor widerstandsfähig sein, deshalb bin ich sehr dafür, die Staatsverschuldung zu reduzieren. Ich glaube, dass wir dieses Jahr einen umfassenden Ansatz dazu haben werden."

Frankreich, das den Nachhaltigkeits- und Wachstumspakt drastisch ändern und aufweichen will, wird wahrscheinlich von Italien und den südlichen Mitgliedsstaaten, darunter Griechenland, Portugal und Spanien, unterstützt werden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi betonten im vergangenen Monat, dass "wichtige Ausgaben für die Zukunft" im Rahmen eines überarbeiteten Regelwerks gefördert werden sollten. Strategische Investitionen sollten von den EU-Ausgabenregeln ausgenommen werden, hieß es.

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Widerstand seitens sparsamerer Nationen ist mehr als zu erwarten, da Stimmen aus Deutschland und Österreich, die die Regeln des Paktes im Jahr 2023 wieder einführen wollen, bereits eine Rückkehr zur Normalität der Regeln, der Haushaltsdisziplin und der Überwachung fordern, um unnötige Ausgaben zu vermeiden.

Die EU ist jedenfalls weit davon entfernt, einen politischen Konsens zu erreichen. Der neue EU-Wirtschaftsplan beinhaltet hohe öffentliche Schulden sowie Verpflichtungen hinsichtlich öffentlicher Investitionen für die grüne und digitale Transformation.

Ob die politischen Entscheidungsträger der EU die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, wie sie es versprochen haben, wird sich in der kommenden Wochen oder, wie EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Montag andeutete, wahrscheinlich erst in Monaten zeigen.

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