Als im Juli 2021 der Startschuss für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio fiel, war ich einer der wenigen ausländischen Journalisten, die über die Spiele berichten durften.
Aus Tokio, der Stadt meines Wohnsitzes, verfasste ich Features und Nachrichtenartikel von außerhalb der olympischen Austragungsorte für die Londoner Onlinezeitung The Independent.
Von den Spielen sind mir vor allem diese vier Dinge im Geist geblieben: Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit, öffentliche Unterstützung der Athleten, japanische Gastfreundschaft und ein persönliches Gefühl dafür, wie wir uns an die Spiele erinnern werden.
NACHHALTIGKEIT UND BARRIEREFREIHEIT
Nachdem Tokio 2013 als Olympia-Gastgeber ausgewählt wurde, traten die Themen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit bei der Vorbereitung auf die Spiele in den Vordergrund.
2017 stieß ich erstmals auf die Nachhaltigkeitsziele der Stadt, als ich für einen Artikel zum Thema für das japanische Business-Magazin ACCJ Journal recherchierte.
Ich führte Interviews mit Vertretern der Stadtverwaltung und des japanischen Umweltministeriums sowie einem mit dem NIMS (National Institute for Materials Science) verbundenen Akademiker durch.
Wir sprachen über das Medaillenprojekt – eine Recyclinginitiative, bei der elektronische Altgeräte von Verbrauchern gesammelt wurden, um sie zur Herstellung der olympischen Medaillen wiederzuverwenden.
Zu den Nachhaltigkeitsinitiativen bei den Olympischen Spielen gehörten letztendlich auch COVID-19-Maßnahmen und die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, beispielsweise durch einen hohen Frauenanteil im Olympischen Komitee.
Auch der Klimawandel stand im Fokus. Zum Beispiel wurden Athleten und andere an den Spielen beteiligte Personen in Brennstoffzellen-Shuttles transportiert – eine Innovation bei Olympia.
Der Einsatz für Barrierefreiheit ist vor allem an einem Projekt erkennbar, das die ganze Stadt – vor und nach Olympia – für alle zugänglich machte. Dazu wurden unter anderem Rampen, Aufzüge und Bodenleitsysteme an Zug- und U-Bahn-Stationen sowie in anderen öffentlichen Bereichen installiert.
Außerdem wurden in der Tokioter U-Bahn Bereiche für Rollstuhlfahrer und Universelles Design, darunter Informationen in Brailleschrift, hinzugefügt – ein weiterer wichtiger Bestandteil der Initiative für Barrierefreiheit bei Olympia und darüber hinaus.
Schließlich nahmen mehr als 4000 paralympische Athleten an den Sommerspielen teil, darunter auch Beatrice Vio, Gold- und Silbermedaillengewinnerin im Fechten aus Italien.
Während sie in einem Buggy zum Wettbewerb in Tokio unterwegs war, veröffentlichte sie diesen rührenden Post in sozialen Medien: „Danke an alle, die an mich und an diese mission not impossible geglaubt haben. #Tokyo2020 #Paralympics.“
UNTERSTÜTZUNG DER ATHLETEN
Die Sommerspiele 2020 wurden während einer globalen Pandemie ausgetragen, die die Gesundheit der Einwohner Japans und der Welt bedrohte. In diesem Zusammenhang wird mir auch der Stimmungswandel der Bevölkerung in Erinnerung bleiben – von Sorge zu Begeisterung.
Ein Beispiel: Über die Eröffnungsfeier berichtete ich von einer Sportsbar in der Stadt aus – unter Einhaltung der räumlichen Distanzierung von den anderen Gästen, zum Großteil Japaner.
Zu Beginn der zurückhaltenden Feierlichkeiten und der Parade der Athleten mit Abstand und Masken war noch Unbehagen unter den Zuschauern zu spüren.
Doch spätestens als die japanischen Athleten an der Reihe waren und die Nationalhymne erklang, war die Anspannung verschwunden.
Zuschauer auf der ganzen Welt – nicht nur in der Bar – hatten mit eigenen Augen die zahllosen, hoch motivierten Athleten gesehen, die endlich Gelegenheit hatten, ihre lebenslangen Träume wahr werden zu lassen.
Als ich die Sportsbar verließ, waren viele der Gäste, deren Stimmung zu Anfang noch gedämpft war, bester Laune. Trotz andauernder Bedenken hatte ein plötzlicher Stimmungswechsel stattgefunden, der während der gesamten Spiele anhielt.
Wie ich berichtet habe, zeigten japanische Athleten in den neuen olympischen Disziplinen Karate und Skateboarding besonders beeindruckende Leistungen. Ihr Erfolg hat zur guten Laune beigetragen – bei den Japanern ebenso wie bei den ausländischen Athleten.
Die australische Tennisspielerin und Olympiakämpferin Ellen Perez twitterte während der Spiele: „Was für ein unvergessliches Erlebnis. Es gibt nichts Besseres, [als] für mein Land Tennis zu spielen. Ich bin so glücklich und stolz, Australierin zu sein. Beim nächsten Mal werde ich noch mehr geben. Danke, Tokio[.]“
„OMOTENASHI“
Aus persönlicher Sicht war es teilweise etwas beunruhigend, im Schatten einer globalen Pandemie über die olympischen Spiele zu berichten. Zum Beispiel musste ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt fahren, um Interviews durchzuführen.
Ich hätte mir aber keine Sorgen machen müssen. Schließlich hatte ich Omotenashi, die berühmte Gastfreundschaft der Japaner, bereits erlebt. Die Menschen strengen sich einfach besonders an, damit man sich wohlfühlt.
Omotenashi machte sich im respektvollen Umgang miteinander bemerkbar – zum Schutz vor COVID-19 wurden die Regeln zur räumlichen Distanzierung beachtet und Masken getragen.
Außerdem standen am Eingang von Geschäften, Restaurants und anderen öffentlichen Orten Desinfektionsmittel bereit, und Mitglieder der Presse wurden auf reibungslose Art zu den Austragungsorten der Sportveranstaltungen eskortiert.
Auch der Enthusiasmus einer meiner Taxifahrer fällt in die Kategorie Omotenashi. Als ich einen Bericht erstellte, beantwortete er meine Fragen auf der Fahrt zum Olympischen Dorf mit großem Interesse und dem aufrichtigen Wunsch, zu helfen.
Und die perfekte Organisation der Spiele, die hauptsächlich im Hintergrund stattfand, wurde unter Mitgliedern der internationalen Presse kontinuierlich erwähnt.
WAS VON DEN SPIELEN BLEIBEN WIRD
Das bringt mich zur Frage, wie wir die Spiele in Erinnerung behalten werden. Ich denke, wir werden an Tokio 2020 als die Sommerspiele zurückdenken, die außer Japan vielleicht kein anderes Land hätte organisieren können.
Meine Berichterstattung während der Spiele bezog sich vor allem auf die täglich aktuellen COVID-19-Fälle in Tokio.
Nahezu über den gesamten Zeitraum der Spiele war nicht klar, ob sie zu Ende gebracht werden könnten oder abgebrochen werden müssten. Aber Tokio – und Japan – ließ das Olympische Feuer nicht ausgehen.
Mit der Unterstützung Tausender Freiwilliger und anderer Helfer haben die olympischen und paralympischen Kämpfer den Zuschauern ein unvergessliches Erlebnis beschert.
Deswegen wird man sich meiner Meinung nach in Zukunft vor allem an den Kampfgeist der Athleten erinnern – und an die Fähigkeit der Japaner, ein Schiff durch den Sturm zu steuern.
Der paralympische Athlet Vladyslav Zahrebelnyi aus der Ukraine soll nach dem Gewinn seiner Goldmedaille im Weitsprung gesagt haben: „Japan ist für mich wie ein anderer Planet. Ich bin wirklich beeindruckt und inspiriert. Ich habe die Energie dieser Stadt in mich aufgesogen, und sie hat mir geholfen, heute eine gute Leistung zu erbringen.“
Von John Amari