Europa: Politik der Kürzungen noch der richtige Weg?

Europa: Politik der Kürzungen noch der richtige Weg?
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Von Euronews
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Um die negativen Auswirkungen der Kürzungen in Europa zu verstehen, muss man dort hinschauen, wo die Menschen auf die Straßen gehen. In Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und anderswo, ersticken die Menschen unter den Sparmaßnahmen. Erstmals gibt es nun auch in der Politik Zweifel an dem strengen Kurs.

Enrico Letta, designierter Ministerpräsident Italiens:
“Es ist wichtig, dass auch Italien als Protagonist in der sich wandelnden europäischen Politik auftritt, die sich hin zu mehr Wachstum und zu mehr politischer Einheit Europas bewegt”, sagt Italiens neuer Ministerpräsident Enrico Letta.

Christine Lagarde, Chefin des internationalen Währungsfonds:
“Wenn das Wachstum stark nachlässt oder besonders niedrig ist, dann sollte man die Geschwindigkeit, mit der Kürzungen vorangetrieben werden, drosseln”, so die Chefin des internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde.

EU-Kommissar Olli Rehn stimmt Lagarde zu.:
“Das Tempo der Haushaltskonsolidierung sollte an die spezifische wirtschaftliche Situation jedes Landes angepasst werden. Im Einklang mit dieser Politik, wurde das Tempo der Haushaltskonsolidierungen in Europa bereits verlangsamt.”

Sind der Rückang des Wachstums und der soziale Abbau also auf die Durchsetzung der Sparmaßnahmen zurückzuführen? Die Frage ist, ob auch der Präsident der Europäischen Kommission nun erkannt hat, dass die Politik der Kürzungen an ihre Grenzen stößt.

Sie hat in jedem Fall großen Schaden angerichtet. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, in Spanien und Griechenland übersteigt sie 27%. Fast 24% der jungen Europäer sind arbeitslos.

Insgesamt gibt es 19 Millionen Arbeitslose in der Eurozone. Das sind 5,6 Millionen mehr als im Jahr 2007.

Die Nachfrage der Konsumenten aus Ländern innerhalb der Euro-Zone ist seit 2008 ebenfalls um 226 Milliarden Euro gesunken.

Und auch die Einkommen schrumpfen. In Frankreich “nur” um 1,6 Prozent, in Irland und Griechenland jedoch um 20 Prozent.

Hat Europa den richtigen Weg eingeschlagen? 9 der 17 Länder in der Euro-Zone werden den Zielwert von 3% Defizit auch in diesem Jahr wahrscheinlich nicht erreichen. Sie könnten von mehr Zeit profitieren.

Der Schlüssel für eine Veränderung der europäischen Wirtschaftspolitik liegt aber nicht in Brüssel, sondern in Berlin. Denn Deutschland, das einzige Land mit einem Haushaltsüberschuss, berfüwortet weiterhin die Politik der Strenge.

„Keine Gefahr für Einstieg in eine europäische Transferunion.“

Krawalle vor den Cortes in Madrid, mehr als sechs Millionen Arbeitslose in Spanien, das sind 27 %, soviel Arbeitslose auch in Griechenland. Der in Italien mit der Regierungsbildung beauftragte Enrico Letta will ein Ende der Sparpolitik. Francois Holland, ebenfalls mit einer Rekordarbeitslosigkeit gestraft, will auch nicht mehr sparen. Ist das jetzt das Ende der Sparpolitik in Europa? Fragen an Prof. Karl Aiginger, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes in Wien. Er koordiniert ein Programm für einen Wachstumspfad in Europa für die EU-Kommission.

Christoph Debets, euronews:

Ist das, was wir jetzt sehen, der Anfang vom Ende der Sparpolitik in Europa?

Prof. Karl Aiginger:

Ich glaube es ist zumindest das Ende einer unintelligenten Sparpolitik. Es soll allerdings auch keine Lizenz zur Verschwendung sein. Es soll ein geringeres Tempo bei den Kürzungen geben und es soll ein größeres Tempo bei den Reformen für die Zukunft geben. Das würde dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und Europa wieder auf Wachstumskurs kommt.

euronews:

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Sehen wir auf diese Art und Weise nicht den Einstieg in die Transferunion?

Aiginger:

Das ist nicht der Fall. Zunächst einmal muss ich sagen, die Hauptverantwortung für den Kurswechsel liegt schon bei den Ländern selbst, die besonders stark sparen müssen. Sie haben die Fehler gemacht und sie müssen ihren Leuten sagen, dass sie das Problem lösen wollen und das das ihr Problem ist und nicht Europa schuld ist, das ihnen etwas aufzwingt, sondern sie haben ein Problem zu lösen. Europa ist dann die Gruppe, die hilft.

euronews:

Nun hat Angela Merkel vor dem Deutschen Sparkassentag gesagt, dass die Zinsen für Deutschland zu niedrig sind, aber für den Süden Europas zu hoch. Ist das nicht das eigentliche Eingeständnis, dass die Europäische Währungsunion gar nicht funktionieren kann, in der Art und Weise, wie sie jetzt verfasst ist?

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Aiginger:
Es ist in einer Gemeinschaft immer so, dass die verschiedenen Gruppen verschiedene Bedürfnisse haben, aber es gibt da nicht nur einen Weg. Es gibt nicht nur den Zinssatz, hier wäre ich übrigens dafür, dass die Europäische Zentralbank nächste Woche noch einmal eine Zinssenkung versucht, sondern es gibt ja auch die Möglichkeit Strukturfonds zu nutzen. Es ist zu wenig Tempo bei der Aktivkomponente, bei den Investitionen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche. Manche Löhne von Insidern sind überhöht, Jugendliche bekommen deshalb keine Arbeit. Das ist kein Gesellschaftsmodell, wie wir es wollen, und das ist auch in einer Solidaritätsgemeinschaft nicht der Fall. Sicher ist es besser, wenn die Mittel für Investitionen in den südlichen Ländern größer sind.
Es geht um die Struktur der Verwendung und um die Entschlossenheit das Problem zu lösen und auch um die Haltung der Regierungen, die sagen, nein wir sparen nicht, weil die bösen Finanzmärkte wollen, oder weil die böse Frau Merkel will, sondern wir sparen, weil wir eine wettbewerbsfähige Industrie und einen wettbewerbsfähigen Tourismus im Jahr 2030 haben wollen.

euronews:
Die böse Frau Merkel, ist die mit ihrer Sparpolitik jetzt gescheitert?

Aiginger
Deutschland hat für sich einen scheinbar erfolgreichen Weg gegangen, das Budgetdefizit ist sehr stark geschrumpft, aber es wäre auch gut, wenn in Deutschland im Eigeninteresse einen höheren Wachstumspfad hätte. Es gibt so viele Investitionen im Umweltbereich, die notwendig wären. Deutschland könnte Führer in der Umwelttechnologie werden, Deutschland könnte eine Fülle von Sozialinnovationen machen, Deutschland bräuchte nicht in dem Ausmaß einen Niedriglohnsektor. In Deutschland ist die Lohnqoute gesunken, in Deutschland sind die niedrigeren Löhne sehr viel geringer geworden im Verhältnis zu den höheren Löhnen, da gäbe es vieles zu tun.

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