Russlands Truppen in Tschernobyl: Radioaktivität 20-fach erhöht

In der Nähe des ehemaligen Kernkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine - ARCHIV
In der Nähe des ehemaligen Kernkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine - ARCHIV Copyright Efrem Lukatsky/Copyright 2018 The Associated Press. All rights reserve
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Von Euronews mit AP, AFP
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Internationale Forscherinnen und Forscher beobachten die Lage am 1986 explodierten Atomreaktor Tschernobyl in der Ukraine. Russische Truppen kontrollieren offenbar die Anlage.

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Am Tag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine haben Soldaten Russlands die Region des havarierten Atomreaktors von Tschernobyl eingenommen. In der Umgebung des Kernkraftwerks wurde daraufhin eine erhöhte radioaktive Strahlung festgestellt. Daten von Überwachungsstationen zeigten nach Angaben der ukrainischen Behörden an, dass die Strahlungswerte am Donnerstag um das 20-fache gestiegen waren. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums gab es allerdings keine erhöhten Werte.

"In der Umgebung des Reaktors erhält man normalerweise jede Stunde eine Dosis von etwa 3 Einheiten Mikrosievert - jetzt sind es 65", erklärte die Nuklearexpertin der Universität Sheffield, Prof. Claire Corkhill, gegenüber der BBC. "Das ist etwa fünfmal mehr, als man auf einem Transatlantikflug abbekommen würde."

Aufgewirbelter radioaktiver Staub

Die wahrscheinlichste Erklärung für die erhöhten Strahlenwerte ist laut der Expertin, dass radioaktiver Staub durch die zunehmende Bewegung von Menschen und Fahrzeugen in der 4.000 Quadratkilometer großen Sperrzone von Tschernobyl aufgewirbelt wurde. Beunruhigend hoch sind die gemessenen Strahlungen laut der Expertin nicht.

Vor der Einnahme der Gegend durch die russischen Truppen wurden Gefechte gemeldet.

Es gibt auch Videoaufnahmen, die offenbar Panzer bei Tschernobyl zeigen.

Die Explosion des Reaktors von Tschernobyl hatte 1986 den "größten anzunehmenden Unfall" (GAU) ausgelöst und eine radioaktive Wolke über ganz Europa verbreitet.

Die These vom ungewöhnlichen "Verkehrsaufkommen", das die Radioaktivität freigesetzt hat, hält auch die Non-profit-Organisation SAFECAST für wahrscheinlich. Kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen ist allerdings das System zur Überwachung der Radioaktivität ausgefallen. Safecast schreibt auf Twitter: "Das gesamte Netz hat am 25. Februar um 1 Uhr morgens ukrainischer Zeit aufgehört, Daten zu melden. (...) Das System scheint offline zu sein. Doch zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens am 25. Februar übermittelten mehrere Sensoren Messwerte, die sich wieder normalisiert hatten."

"Von Russland gemessene Wert immer normal"

SAFECAST berichtet auch von der Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums, aber schreibt dazu: "Nach unserer Erfahrung sind die Strahlungswerte immer "normal", wenn Russland sie überwacht. Sie sind kriminell unzuverlässig."

Warum wollen die russischen Truppen Tschernobyl kontrollieren?

Die Frage, was die Einheiten Russlands in Tschernobyl machen und warum sie die Gegend um den havarierten Atomreaktor kontrollieren wollen, beantworten einige Militärexperten ganz einfach. Tschernobyl liegt auf dem direkten Weg von Belarus nach Kiew - deshalb hat die Region eine strategische Bedeutung.

Im mit Moskau verbündeten Nachbarland der Ukraine waren seit Wochen massiv russische Truppen stationiert.

Allerdings gehen andere Expertinnen und Experten davon aus, dass Wladimir Putin den symbolträchtigen Ort gegenüber dem Westen als "Drohkulisse" einsetzen könnte.

Der havarierte Reaktor wird von einem erst 2019 komplett fertiggestellten sogenannten Sarkophag abgeschirmt, der mit internationaler Hilfe erstellt wurde. Vor der Corona-Pandemie hatte die Ukraine auch Katastrophen-Touristen nach Tschernobyl gelockt.

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