Portugal lässt seine Zukunft ziehen

Portugal lässt seine Zukunft ziehen
Von Euronews
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In Portugal werden jetzt ganze Dörfer meistbietend versteigert. Pereiro zum Beispiel, zweihundert Jahre alt, nahe der spanischen Grenze. Katalogpreis: sieben Millionen Euro.

Die Wirtschaftskrise trifft die ländlichen Regionen Portugals hart. Die Menschen wandern in die Städte ab. Und von dort weiter nach Übersee. Pereiro steht leer. Völlig leer.

Francisca und ihre Freundin Maria blieben in der Gegend. Gelegentlich unternehmen sie einen Spaziergang in die Vergangenheit, schlendern vorbei am Herrenhaus, vor dem einst Tanzveranstaltungen und Stierkämpfe stattfanden, werfen einen Blick auf die nun stille Schule, das Backhaus, die leeren Heuschober und Bauernkaten mit den eingefallenen Dächern. Hier brachte Maria ihre drei Kinder zur Welt. Francisca ist sogar achtfache Mutter, sie sagt: “Es ist so traurig, ich möchte am liebsten weinen. Wir hatten unser Leben hier, unsere Kinder sind hier geboren. Deshalb hoffe ich sehr, dass der Käufer unseres Dorfes die Häuser repariert. Ich hoffe, dass das geplante Touristenresort Arbeit für meine Kinder und die anderen jungen Menschen aus der Gegend schaffen wird. Denn sie sind stark und wollen arbeiten.”

Maria Joana Pereira stimmt ihr zu: “Es wäre schön, wenn die jungen Leute hier bleiben könnten, darum brauchen wir Arbeit. Aber wenn es keine Beschäftigung gibt, müssen sie natürlich versuchen, im Ausland einen Job zu finden. Von meinen drei Kindern ist nur der Älteste hier geblieben, aber er hat auch nur eine Arbeit weit weg gefunden.

Franciscas Kinder überlegen, nach Brasilien auszuwandern. Doch es fehlt an Geld für das Flugticket. Einer von Marias Söhnen hat den Sprung nach Übersee bereits geschafft: er arbeitet als Flugzeugmechaniker in Angola. Der Zustand ihres Dorfes macht der Mutter zu schaffen: “Das macht mich sehr traurig, ich bin hier aufgewachsen. Unser Dorf in diesem verlassenen Zustand zu sehen, tut weh.

Portugal ist ein klassisches Auswanderer-Land. Zwischen 1886 und 1966 verließen fast drei Millionen Menschen ihre Heimat, im westeuropäischen Vergleich kann hier nur noch Irland mithalten. Eines jedoch ist neu: Früher verließen Arbeiter und Arme das Land. Heute sind es die Universitätsabgänger und Fachkräfte.

In Lissabon werden mit jedem Krisentag die Warteschlangen vor den Konsulaten Angolas und Brasiliens länger. Gut ausgebildete Portugiesen, ganze Familien, die Elite des Landes, sieht keine Zukunft mehr im krisengeschüttelten Europa. Die junge Generation blickt nach Übersee.

Wir sind verabredet mit einem Mann, der hin- und hergerissen ist zwischen Heimatliebe und Arbeitsplatzsuche. Wir treffen ihn am Belem-Turm, von hier aus stachen schon vor Jahrhunderten Entdecker und Auswanderer in See. Im März wird Felipe Pathé Duarte seinen Doktortitel in der Tasche haben. Was dann? Bleiben oder auswandern? Felipe kämpft mit sich: “Leider ist die Abwanderung von Fachkräften in Portugal eine Tatsache. Doch eigentlich wollen die Menschen bleiben. Aber sie haben hier keine Möglichkeiten. Sie können im Ausland weitaus mehr erreichen. Es gibt allerdings noch dieses Gefühl von Anstand, in Portugal bleiben zu müssen, um etwas für sein Land zu tun.”

Viele Portugiesen zieht es nach Brasilien und Angola, denn dort wird portugiesisch gesprochen und die Wirtschaft boomt. In Evora treffen wir Sergio Silva, der im Januar nach Angola geht. Ein Karrieresprung: dort, in der Hauptstadt Luanda, wird er Team-Chef, verantwortlich für Anlage und Pflege der öffentlichen Gärten und Parkanlagen. Er sagt: “Angola ist ein Land mit einer starken wirtschaftlichen Entwicklung. Aktuell arbeiten in Angola bereits viele gut ausgebildeten Portugiesen, vor allem gut ausgebildete Techniker. Da ich selbst einen akademischen Hintergrund und Erfahrungen mit der Blumenzucht habe, bin ich sehr zuversichtlich, was meine beruflichen Chancen in Angola betrifft.”

Die Aussichten für Portugals Wirtschaft sind düster. Und die Schlangen vor den Arbeitsagenturen werden ebenfalls länger. In den vergangenen Jahrzehnten investierte Portugal massiv in Hochschulen und Erziehung. Doch aufgrund der Krise kann das Land die begabten Nachwuchskräfte nicht mehr halten. Wissenschaftler warnen: Portugal ist auf dem Weg ins wirtschaftliche Abseits. Professor Joao Peixoto von der Technischen Universität Lissabons meint dazu: “Die größten Probleme aus meiner Sicht betreffen die Wirtschaft und die Innovation. Portugal lässt so viele kompetente und gut ausgebildete Menschen ins Ausland gehen. Und dabei hat das Land so viel in die Bildung dieser Menschen – einschließlich der Promovierten – investiert. Sie ziehen zu lassen, ist eine gewaltige Verschwendung von Ressourcen.

Dieser Mann ist ein Pionier: Joao Francisco Charneca ist ein Brückenbauer quer über den Atlantik, ein Türöffner für junge Portugiesen, die nach Brasilien auswandern wollen, um dort zu arbeiten. Als Bildhauer hat er sich einen Namen auf beiden Kontinenten gemacht. Wir treffen ihn in seinem portugiesischen Heimatdorf Azaruja, beim Schweißen einer Regenwaldblume aus Stahl. Francisco, im Zweitberuf Landschaftsarchitekt, wird bald auswandern in die Dschungelregion Mato Grosso, um dort den urbanistischen Wildwuchs mit europäischem Know-how in nachhaltige Bahnen zu lenken. Die Idee: Portugal produziert zu viele Landschaftsarchitekten. Brasilien braucht Tausende. Eine Jahrhundert-Chance für junge Universitätsabgänger, meint Francisco:

“Brasilien ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das neue Masterstudium der Landschaftsarchitektur schafft neue Möglichkeiten, um das Land nachhaltig und organisiert aufzubauen. Und natürlich ist das auch eine Chance für junge portugiesische Landschafts-Architekten, die Lust auf das große Abenteuer oder ihre erste berufliche Chance haben. Der große Unterschied zwischen Europa und Brasilien bzw. ganz Lateinamerika ist doch: Dort in Übersee, da haben Sie noch Platz für ihre Träume und den Raum, Neues zu schaffen, während hier in Europa doch bereits alles getan ist.

In Lissabon sind die Kopfjäger unterwegs. Seit Jahresbeginn steht das Telefon nicht mehr still, bei den internationalen Arbeitsvermittlungs-Agenturen für Führungs- und Fachkräfte. Wer hat die besten Chancen in Brasilien und Angola? Eine Antwort kann der Rekrutierungsmanager Antonio Fernandes Costa geben: “Meistens hoch qualifizierte Profile und vor allem technische Ingenieure, Ingenieure aller Art wie zum Beispiel für den Elektrobereich. Aber jetzt fängt auch die Suche nach Finanz-Direktoren und Geschäftsführern an. Wir sehen einen Bedarf vor allem für die Industrie, das Handwerk und den Bau.”

Aber nicht alle Auswanderer-Träume werden wahr. Fernando Castro zog in den siebziger Jahren nach Brasilien, gründete eine kleine Möbelfirma. Doch das Abenteuer scheiterte: Als Brasiliens Wirtschaft in den neunziger Jahren im Währungs-Chaos zu versinken drohte, holte Fernando die versteckten Dollars aus der Matratze und kehrte zurück nach Portugal. Heute steckt Europa im Sumpf der Währungskrise und Fernando schickte seinen Sohn nach Brasilien. Als Familienvater mit Migrations-Erfahrung, welchen Rat hat er für die jungen Portugiesen? Bleiben oder auswandern?

Fernando Castro sagt: “Wenn sie die Möglichkeit haben, Portugal für was auch immer für ein Land zu verlassen, für Brasilien, Angola oder die USA, würde ich den jungen Leuten raten, diese Möglichkeit zu nutzen. Denn hier in Portugal gibt es für die Jugend keine Zukunft mehr.”

Antonio ist Tierpfleger. Doch auch im Veterinärbereich ist Portugals Arbeitsmarkt gesättigt. Antonio träumt von Raubkatzen und Rinderherden. Weltweit verschickte er Bewerbungen an Wildparks und Freilandfarmer. Er will weg, egal wohin: “Das Hauptproblem ist die große Anzahl von Tierärzten, die von den portugiesischen Unis abgehen und keinen Job finden. Auch ich habe keine Arbeit gefunden. Die Lösung könnte sein, sich in Ländern nach Arbeit umzusehen, die Veterinäre suchen und bessere Bedingungen in der Viehproduktion und im Tierschutz bieten.”

Die letzten verlässlichen Daten zur Fachkräftemigration Europas stammen aus dem Jahr 2000. Bereits damals verließ jeder fünfte gut-ausgebildete Portugiese sein Land. Vergleichbar nur noch mit Irland und Polen. Seitdem hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Der Fachkräfte-Verlust nimmt horrende Ausmaße an. Wird Portugal diesen Verlust verkraften?

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