Bald rollt der Euro auch in Riga.

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Von Euronews
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Die Regierung Lettlands will den Euro einführen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist dagegen. Eine Volksabstimmung über Lettlands Beitritt zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist nicht geplant. Europäische Kommission und Europäische Zentralbank werden in den kommenden Wochen ihren Prüfbericht vorlegen, der aller Voraussicht nach positiv ausfallen wird, da Lettland die Maastricht-Kriterien seit September 2012 vollauf erfüllt.

Unsere Reportage beginnt in einem der gut bestückten Supermärkte der lettischen Hauptstadt Riga. Dort beobachten wir Eva bei der Arbeit. Ihre scharfe Augen sind überall, auf endlosen Listen notiert sie Preise: Teepreise, Schokoladenpreise, Preise für Männersocken und Duschgel, Gemüse und Früchte, Butter und Brot, Fisch und Fleisch, Mehl und Reis… Eva ist sozusagen ein Inflationskiller: sie überwacht das Preisniveau und sorgt, dafür, dass bei der Umstellung von Lats auf Euro alles mit rechten Dingen zugeht – also ohne Preisschub für die Verbraucher.

Im kleinen Lettland sind insgesamt 40 Preiswächter unterwegs, die Hälfte davon allein in der Hauptstadt Riga. Eva Hausmane hat sich auf Supermärkte spezialisiert, andere Kollegen durchkämmen Friseurläden.

“Ich bin eine Art Preis-Detektiv”, lacht die blonde Eva gutgelaunt und legt Stift und Papier einen Augenblick beiseite. “Ich überprüfe die Preise, die Preisunterschiede vor allem. Sind die Preise im Vergleich zum Vormonat gleich oder steigen sie?”

Seit Januar 2013 sind die Preisprüfer bereits unterwegs, Ende des Jahres werden die Kontrollbesuche häufiger: keine Chance für krumme Geschäfte oder heimliche Preistreiberei!

“Hinter diesen Kontrollen steckt die Idee, dass Unternehmen gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen und unter dem Deckmantel der Euro-Einführung heimlich die Preise raufsetzen”, erläutert Eva ihren Job.

Die Regierung in Riga strebt die Mitgliedschaft in der Währungsunion an. Lettlands östliche Nachbarn, die Esten, zahlen bereits seit 2011 mit Euro. In Estland verdoppelten sich daraufhin die ausländischen Investitionen, die Zinslast sank, Estland sparte Geld. Lettlands westlicher Nachbar Litauen will den Euro 2015 einführen und auch in Polen wird über die Abschaffung des Zloty seit einigen Monaten wieder ernsthaft diskutiert, die Regierung in Warschau hat eine hochkarätige Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Frage beschäftigt, wann der für Polen ideale Zeitpunkt für einen Euro-Beitritt gekommen sein könnte.

Bislang haben erst 17 der 27 EU-Staaten den Euro eingeführt. Im Sommer werden die europäischen Finanzminister über Lettlands Anfrage entscheiden. Geben sie grünes Licht, werden in der deutschen Stadt Stuttgart die lettischen Euro-Münzen geprägt, die dann ab Januar auch in Riga rollen. Lettland wird dann Euro-Land Nummer 18 sein.

Doch Umfragen zeigen, dass die meisten Letten den Euro gar nicht wollen. Taxichauffeur Ilmars Fuksis beispielsweise findet den Lats “wunderschön” und den Euro “grottenhässlich”. Noch nie habe er jemanden gefahren, der sich auf den Euro freue, behauptet der hagere Lette. Am Rückspiegel seines Taxis baumelt ein Plastikskelett, im Radio dudelt harte Rockmusik. Seit 1999 fährt Ilmars Taxi, die lettische Hauptstadt kennt er in- und auswendig und auch von der allgemeinen Stimmungslage kann er ein recht genaues Bild zeichnen. Aber was genau passt den Letten denn nicht am Euro, wollen wir von Ilmars wissen, was verlieren Sie denn mit dem Verschwinden der Landeswährung Lats?

“Identität!”, sagt Ilmars Fuksis, “wir verlieren unsere Identität als Letten. Uns bleibt ja bald nur noch die Fahne, sonst nichts. Die Ausländer kaufen unseren Grund und Boden. Unsere Währung verschwindet. Nur Flagge und Staatswappen sind noch da. Die lettische Sprache ist auch am Verkümmern. Wenn wir den Lats verlieren, dann verlieren wir einen Teil Lettlands, etwas das zu uns gehört, einen Teil von uns selbst.”

Ilmars bringt uns in ein Plattenbauviertel im Süden Rigas. Alle hier sind gegen den Euro, sagt er. Vija Sulce bestätigt das. Die rüstige Rentnerin ist so etwas wie die gute Seele des Viertels. Beim Tee aus selbstgetrockneten Wildrosen warnt die 74-Jährige ihre Tochter eindringlich vor dem “gefährlichen Eurogeld”.

“Mein Hauptargument gegen die europäische Einheitswährung: Die Mehrheit der Letten wird draufzahlen!”, sagt Vija. “Nur die Reichen, die Schickeria, wird davon profitieren. Mein zweites Argument: Der Euro ist nicht stabil.”

Was ist dran an den euroskeptischen Gerüchten? Werfen wir einen Blick auf Zahlen und Fakten. Das ist der Job des lettischen Zentralbankchefs Ilmars Rimsevics. Er macht zwei lettische Zeitungen für die Angstmache vor dem Euro verantwortlich. Damit solle die Auflage in die Höhe getrieben werden, mit der wirtschaftlichen Realität habe die Schwarzmalerei nichts zu tun. Oberbanker Rimsevics betont: Der Euro ist stabil und er nützt den Letten. Der lettische Zentralbankchef wörtlich: “Die Mitgliedschaft in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion macht Lettland stabiler. Und wenn irgendwo in der Weltwirtschaft etwas schieflaufen sollte, dann geht das nicht mehr zulasten Lettlands, nur weil wir ein kleines Land sind. Wer auf einem größeren Schiff unterwegs ist, der durchquert den Sturm sicherer, und die Zinsbelastung ist geringer. Weniger Unsicherheit bedeutet, dass Investitionsentscheidungen nicht mehr aufgeschoben werden, dass es keine Währungsschwankungen mehr gibt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, dass mehr Menschen in Lettland bleiben statt außerhalb Lettlands einen Job zu suchen.”

Fahren wir Richtung Osten, ins kleine Dorf Valmiermuiza. Die Temperatur fällt auf minus 20 Grad Celsius. Zum Aufwärmen schauen wir in der lokalen Kleinbrauerei vorbei, die 2009 die Produktion aufnahm, in der ein untergäriges, vollmundiges Pils mit Malzgeschmack gebraut wird. Zwanzig Angestellte arbeiten hier mittlerweile, viele von ihnen sind für den Euro. Bierkutscher Matiss Megnis erklärt, warum: “Klar bin ich für den Euro. 2004 hat Lettland für die Aufnahme in die Europäischen Union gestimmt. Warum sollten wir nicht auch die europäische Währung verwenden?”

Er belädt seinen Kleinlaster mit Bierfässern, in der Hauptstadt ist eine Party geplant. “Wenn wir etwas kaufen, ein Auto, ein Haus oder sonst eine Anschaffung, dann mit einem Euro-Kredit. Wozu also den Lats behalten?”, fragt Matiss.

Seit September erfüllt Lettland die Maastrichtkriterien. Im vergangenen Jahr lag das Haushaltsdefizit bei 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, der Schuldenstand unter der 60-Prozentmarke. Die Preise sind stabil und die langfristigen Zinsen niedrig.

Auch Brauereiarbeiter Sergejs Lapsa ist ein Euro-Fan. Heute ist er beim Flaschenspülen. In einer Pause zwischen zwei Reinigungsgängen erläutert er uns seinen Standpunkt: “Als Patriot bin ich für eine starke lettische Wirtschaft und für ein politisch starkes Lettland. Deswegen bin ich für Lettlands EU-Mitgliedschaft und damit auch für die Einführung des Euro.”

Der Brauereibesitzer Aigars Rungis plant, künftig mehr Valmiermuiza-Bier nach Estland zu exportieren. Hopfen, Malz und Brautechnik bezieht er aus Deutschland: “Wir haben viele Geschäftspartner in den Euro-Staaten. Hätten auch wir die Einheitswährung, könnten wir jährlich Tausende von Euro sparen, denn wir müssten nicht dauernd Euros in Lats oder Lats in Euros wechseln. Ich würde dieses Geld lieber in mein Geschäft stecken, statt es den Banken in den Rachen zu werfen.”

Zurück in der Hauptstadt Riga treffen wir die bekannte Historikerin Kristine Ducmane, die uns in den Keller des 1330 erbauten Schlosses von Riga führt. Dort piept es. Das ist Marcis Metalldetektor. Die Archäologen haben Glück: Sie finden Münzen aus dem Mittelalter und sogar eine livländische Kanonenkugel. Das Schloss wurde von Deutschen Ordensrittern erbaut, in Riga kreuzten sich wichtige Handelswege.

Die unterschiedlichsten Hegemonialmächte versuchten, die Gegend zu beherrschen: Deutsche Kreuzritter, Händler der Hanse, Polen, Litauer, Schweden, Russen, Nazis und Sowjets – die Liste der Eroberer ist lang.

“Die Geschichte der hier in Umlauf gebrachten Münzen und Währungen spiegelt die lange Geschichte wieder”, meint Kristine Ducmane, “denn jeder politische Machthaber, jeder Herrscher prägte sein eigenes Geld und versuchte, seine jeweils eigene Währung hier in unserem Gebiet in Umlauf zu bringen.”

Lettland erklärte seine Unabhängigkeit 1918, die drei Jahre später international anerkannt wurde. Um an diese Epoche der nationalen Selbstbestimmung zu erinnern, wird auf den lettischen Euromünzen eine Replik der Silber-Latsmünze aus dem Jahre 1929 zu sehen sein, erläutert Münzdesigner Laimonis Senbergs: “Das Münzmotiv hat für alle lettischen Familien einen hohen Symbolwert. Die Jungfrau auf der vor knapp einem Jahrhundert geprägten 5-Lats-Münze erinnert an unsere staatliche Unabhängigkeit und an die darauf folgenden politischen Regimewechsel und Besatzungsperioden. Auch in meiner Familie haben wir eine dieser Münzen aufbewahrt, fast ein ganzes Jahrhundert lang.”

Und heute? Der Frauenkopf auf den lettischen Euromünzen steht dafür, dass eine Wirtschafts- und Währungsunion unter Wahrung der staatlichen Souveränität durchaus möglich ist.

Wenn Sie das vollständige Interview (in englischer Sprache) mit dem lettischen Zentralbankchef Ilmars Rimsevics sehen wollen, klicken Sie bitte hier:
Bonus interview: Ilmars Rimsevics, Latvian Central Bank Governor

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