EU-Migrationskommissar: "Dumme Schuldzuweisungen bleiben lassen!"

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Dimitris Avramopoulos ist Innen- und Migrationskommissar der Europäischen Union. Von 1995 bis 2002 war er Bürgermeister von Athen und hatte

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Dimitris Avramopoulos ist Innen- und Migrationskommissar der Europäischen Union. Von 1995 bis 2002 war er Bürgermeister von Athen und hatte anschließend unter anderem das Amt des griechischen Außenministers inne, ehe er im vergangenen Jahr EU-Kommissar wurde. Im euronews-Interview äußert er sich zur Flüchtlingsthematik und wie die Europäische Union damit umgeht.

euronews:
Griechenland ist während des Sommers in der Flüchtlingswelle fast ertrunken. Es gab dramatische Bilder. Wer ist schuld? Die griechische Regierung, die die Lage nicht in den Griff bekam? Und wo war die EU?

Dimitris Avramopoulos:
Man kann niemandem die Schuld geben, doch wir tragen alle zusammen die Verantwortung. Dass manche EU-Staaten die gemeinsame Einwanderungspolitik nicht umgesetzt haben, ist ein Grund dafür, dass wir diese Bilder sehen – und zwar nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Teilen Europas. Wir sind bereit, rund 445 Millionen Euro an Griechenland zu zahlen, wenn das Land die Bedingungen erfüllt, die wir gemeinsam beschlossen haben. Das heißt, Griechenland muss Maßnahmen treffen, um eine Stelle einzurichten, damit wir unsere Handlungsweise den Flüchtlingsströmen gegenüber mit den Vereinten Nationen, die humanitäre Hilfe leisten wollen, abstimmen können.

euronews:
Sie haben viel über die gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik gesprochen. Doch viele Staaten bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung. Passiert das aus Ihrer Sicht, weil die Länder die Flüchtlingsthematik für innenpolitische Zwecke verwenden?

Avramopoulos:
Die europäische Flüchtlingspolitik sollte nicht von innenpolitischen Entwicklungen beeinflusst werden. Das Problem der Migration wird von jedem auf eine unterschiedliche Art und Weise interpretiert. In vielen europäischen Ländern haben Populisten und fremdenfeindliche Menschen an Einfluss gewonnen. Ich stelle fest, dass viele EU-Staaten sehr leicht anderen Ländern Vorwürfe machen oder sie unberechtigterweise verbal angreifen. Deshalb möchte ich zuallererst dazu aufrufen, die dummen Schuldzuweisungen bleiben zu lassen. Wir sitzen alle im selben Boot, gemeinsam und mit Solidarität: So muss die europäische Politik ausnahmslos sein. Einen nationalen und einsamen Weg zu beschreiten, führt zu nichts.

euronews:
Aber es zählt doch das, was Europa tut. Und da sieht man, dass EU-Staaten wie Frankreich und Österreich ihre Grenzkontrollen verschärft haben. Ungarn hat sogar einen Zaun an seiner Grenze zu Serbien errichtet und sagte kürzlich, es werde möglicherweise seine Armee einsetzen, um die Flüchtlingsströme zu kontrollieren. Was sagt die Europäische Kommission dazu?

Avramopoulos:
Europa ist gegen jegliche Ausgrenzungspolitik. Sie erinnern sich, dass ich vor zehn Monaten sagte, ich sei gegen eine Festung Europa. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass der Schengen-Raum einer der größten europäischen Erfolg ist. Dadurch können europäische Bürger frei reisen und müssen nur ihren Führerschein dabei haben. Die Bewegungsfreiheit von Waren und Bürgern muss gesichert sein.

euronews:
Ich frage Sie ganz direkt: Werden Sie aufgrund der Politik, die es verfolgt, Sanktionen über Ungarn verhängen?

Avramopoulos:
Es hat für jedes Land Konsequenzen, wenn es europäisches Recht verletzt, besonders die Bestimmungen des Schengen-Raumes – und ich beziehe mich da nicht ausdrücklich auf Ungarn. Doch Ungarn braucht Hilfe. Ungarn, Griechenland und Italien sind die europäischen Länder, die die meiste europäische Zuwendung brauchen. Wir haben entschieden, sogenannte Hotspots in Griechenland und Ungarn einzurichten. In Catania in Italien gibt es bereits einen. Diese Hotspots sind Dienstleistungseinrichtungen, in denen die Polizeibehörde Europol, die Grenzbehörde Frontex, die Behörde für justizielle Zusammenarbeit Eurojust und die Asylbehörde EASO die Menschen zusammen mit Beamten des jeweiligen Staates in Empfang nehmen und diejenigen registrieren, die die europäischen Grenzen passieren wollen. Da werden wir zwischen Flüchtlingen, die nach der Charta der Vereinten Nationen den Anspruch auf internationalen Schutz haben, und illegalen Einwanderern unterscheiden.

euronews:
Ein anderes Problem, das vor allem Griechenland und Italien betrifft, ist das Dublin-Abkommen. Deutschland hat sich dazu entschlossen, das Abkommen für syrische Flüchtlinge vorerst außer Kraft zu setzen. Ist jetzt der richtige Moment, um dieses Thema grundlegend mit den anderen EU-Ländern zu besprechen?

Avramopoulos:
Was besagt das Abkommen? Also, das Dublin-Abkommen besagt, dass die Länder, in denen die Asylbewerber ankommen, für die Identifizierung, für das Sichern von Fingerabdrücken und die Registrierung verantwortlich sind. In der Praxis wurde das bereits aufgehoben. Das Abkommen wurde verletzt. Zehntausende politische Flüchtlinge entschließen sich, nach Nordeuropa zu gehen. In dem Moment, in dem das Dublin-Abkommen umgesetzt wurde, ist es von der Entwicklung überholt worden. Weil neue Regelungen in Kraft getreten sind, müssen wir die Aspekte des Abkommens, die nicht mehr funktionieren, überarbeiten. Das ist völlig normal, und das müssen wir machen.

euronews:
Bevor wir unser Gespräch beenden, da wir uns in Griechenland befinden und die politische Lage hier ernst ist, da das Land wieder vor Wahlen steht, stelle ich Ihnen diese Frage nicht als EU-Kommissar, sondern als griechischer Politiker: Was erwarten Sie in dieser wichtigen Zeit von den Wahlen?

Avramopoulos:
Zur innenpolitischen Entwicklung in Griechenland möchte ich mich nicht äußern, weil mir mein Amt das verbietet. Da Sie mich als griechischen Bürger fragen, sage ich, dass vor fünf, sechs Jahren nur sehr wenige von uns öffentlich sagten, dass wir die Parteibücher zur Seite legen und eine Regierung der nationalen Kooperation bilden müssen. Die ist heute noch mehr gefragt. Das ist der einzige Weg für Griechenland, um voran zu kommen.

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