Flüchtlinge aus Tschetschenien stellen erfolglos Asylanträge in Polen

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Von Euronews
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Beinahe täglich versuchen hunderte Tschetschenen an der polnisch-belarussischen Grenze Flüchtlingsstatus zu beantragen. Trotz der Intervention von Hilfsorganisationen und Juristen gelingt dies nur w

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Ein kalter Märzmorgen. Am Terminal des polnischen Grenzschutzes in Terespol an der polnisch-belarussischen Grenze trifft eine Gruppe polnischer Anwälte ein. Sie wollen den hier aus Brest ankommenden Tschetschenen dabei helfen, Flüchtlingsstatus zu beantragen. Obwohl sie den Grenzbeamten ihre Vollmachten vorzeigen, werden sie nicht ins Land gelassen. Mehrere Stunden mussten sie hilflos dabei zusehen, wie ihre Mandanten, Familien mit Kindern, abgewiesen und zurück nach Brest geschickt wurden. Kontaktaufnahme war nur mithilfe von Handzeichen durch einen Venezianischen Spiegel oder per Whatsapp möglich.

Attorneys trying to contact their clients through the window of the railway station. #adwokacinagranicypic.twitter.com/yuzEqgxbpC

— Marta Górczyńska (@Marta_Zofia) March 17, 2017

Die an dieser Aktion beteiligten Anwälte sind Mitglieder der Warschauer Bezirksanwaltschaft. Sie hatten ihre Hilfe angeboten, nachdem polnische Flüchtlings-Hilfsorganisationen seit über einem Jahr alarmiert über Unrechtmäßigkeiten berichten.

85.000 Einreiseverweigerungen

Der polnisch-belarussische Grenzübergang ist für Tschetschenen seit den 1990er Jahren, als in der russischen Teilrepublik Bürgerkrieg herrschte, das Tor nach Europa. Heute flüchten sie vor dem Regime Ramsan Kadyrows. Seit Ende des Jahres 2015 ermöglicht es der Polnische Grenzschutz jedoch nur wenigen, einen Asylantrag zu stellen. 2016 wurden 7.000 Anträge entgegengenommen, 85.000 Tschetschenen dagegen die Einreise verweigert,viermal so vielen wie im Vorjahr. Menschenrechtsaktivisten warnen, dass es während der Gespräche mit den Grenzschutzbeamten zu Manipulationen komme.

„Wir haben erlebt, wie die Befragten von Verfolgungen sprachen, die Beamten sich jedoch auf die Frage konzentrierten, ob der Betroffene in Polen Arbeit suchen werde,“ erklärt Joanna Subko vom Büro des Ombudsmann für Bürgerrechte, „fiel die Antwort positiv aus, wurde die Person als Wirtschaftsflüchtling behandelt und die Annahme ihres Asylantrages verweigert“.

„In Tschetschenien gibt es keinen Krieg“

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial prangert seit Jahren die Verfolgung der Tschetschenen unter Kadyrows Regime an. Der Sicherheitsdienst entführe und foltere diejenigen, die Kadyrow offen kritisieren. Für die Taten islamistischer Kämpfer werde die gesamte Familie zur Verantwortung gezogen. Parallel zu den Ende 2015 anwachsenden Zahlen tschetschenischer Flüchtlinge an der polnischen Grenze verzeichnete Memorial einen deutlichen Anstieg unrechtmäßiger Verhaftungen.

Foto: Polnische Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. Die Anwälte wurden von den Gesprächen der Flüchtlinge mit den Grenzschutzbeamten ausgeschlossen.

Der polnische Innenminister der rechts-konservativen PiS-Regierung, Mariusz Błaszczak, äußerte 2016 gegenüber den Medien, Polen würde „dem Druck der Flüchtlinge nicht nachgeben“, da es „in Tschetschenien keinen Krieg“ gebe. Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze beurteilte er als „Versuch, eine neue Flüchtlingsroute zu etablieren, den Zustrom von Muslimen nach Europa zu ermöglichen“. Polen hatte sich ebenfalls dagegen ausgesprochen, 7.000 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten im Rahmen des EU-Programms zur Umverteilung der Flüchtlinge aufzunehmen.

Belarussisches Roulette

Die abgewiesenen Tschetschenen, die nach Brest zurückkehren müssen, befürchten, von dort nach Russland deportiert zu werden, da der belarussische Sicherheitsdienst eng mit dem russischen zusammenarbeitet. Der Großteil der Flüchtlinge mietet sich am Stadtrand ein und versucht, nicht aufzufallen. Sind die Ersparnisse jedoch aufgebraucht, schlafen sie auf dem Bahnhof, der keine 20 Minuten Zugfahrt von der polnischen Grenze entfernt liegt. Einige von ihnen legen diese Strecke täglich zurück.

Foto: Polnische Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. Einige haben bereits 70 Mal versucht, einen Antrag auf Flüchtlingsstatus zu stellen. Ein Ticket für die Strecke Brest-Terespol kostet umgerechnet etwa 8 Euro pro Person.

Die polnischen Anwälte hatten sich keine zufällige Gruppe ausgewählt: es sind Familien, die seit Monaten von polnischen und belarussischen Menschenrechtsaktivisten betreut werden, darunter von Psychologen, die auf Missionen in Tschetschenien waren und sich in der Betreuung von Folteropfern spezialisiert haben. Viele der Familien verfügen über Krankenakten, die den Grenzbeamten wiederholt vorgezeigt wurden. Dennoch wurde ihnen eine Einreise auf polnisches Staatsgebiet verweigert.

Verstößt Polen gegen geltendes Recht?

Letztlich blieben alle Anwälte von den Gesprächen der Flüchtlinge mit den Grenzschutzbeamten ausgeschlossen. Der Grenzschutz ließ anschließend in einer Pressemitteilung verlauten, alle Mandanten hätten „wirtschaftliche Gründe ihrer Reise“ deklariert.

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Pełny #komunikat, dotyczący sytuacji w Terespolu#adwokacinagranicyhttps://t.co/9TAcBkNbGs

— Straż Graniczna (@Straz_Graniczna) March 17, 2017

Nach Ansicht der Anwälte verstößt der Grenzschutz gegen Rechtsvorschriften, darunter die Genfer Flüchtlingskonvention, die Ausländern das Recht geben, einen Asylantrag zu stellen. In Polen ist das Amt für Ausländerfragen für dessen Bearbeitung und nicht der Grenzschutz zuständig. Des Weiteren sind die Anwälte überzeugt, dass man sie zu ihren Mandanten hätte zulassen müssen.
„Wir werden gegen diese Entscheidung des Grenzschutzes in Berufung gehen, versichert die Rechtsanwältin Sylwia Gregorczyk-Abram, Organisatorin der gesamten Aktion im März.
Bis heute hat keiner der von den Anwälten vertretenen Ausländer einen Antrag stellen können. Und täglich treffen in Brest weitere Tschetschenen ein.

Kaja Puto

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