24 Stunden in Aleppo: EuroNews-Reporter Farouk Atig in der umkämpften Stadt

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Von Euronews
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Seit 19 Monaten tobt in Syrien ein blutiger Konflikt, eine friedliche Lösung scheint in weiter Ferne.

In der zweitgrößten Stadt des Landes, Aleppo, bekämpfen sich seit zwei Monaten Aufständische und Truppen der syrischen Armee auf das Schärfste.

Insbesondere hier in einer der ältesten Städte der Region, die auch den Titel Kulturhaupstadt des Islam trägt, deutet nichts auf ein baldiges Ende der Kampfhandlungen hin.

Unser Reporter Farouk Atig hat sich vor Ort ein Bild der Lage verschafft. Es ist keine Mission wie jede andere, Aleppo ist Kriegsgebiet. Das EuroNews-Team hat 24 Stunden vor Ort verbracht und diejenigen getroffen, die noch nicht geflohen oder zum Bleiben verdammt sind.

Erreichbar ist Aleppo von außen nur noch über die Türkei, es ist eine Reise ins Ungewisse, die in der südtürkischen Grenzstadt Killis beginnt. Auf der anderen Seite liegt das Dorf Azaz, das die syrischen Rebellen seit Juli unter ihre Kontrolle gebracht haben.

40 Kilometer Luftlinie von hier liegt Aleppo, das vor dem Krieg 1,7 Millionen Einwohner zählte. Schon bei der Einfahrt in die Stadt sind die Zerstörungen, die der Konflikt angerichtet hat, deutlich sichtbar. Es herrscht das Chaos.

Es ist unmöglich mit Genauigkeit zu sagen, wieviele Menschen noch hier wohnen. Die Stadt ist zweigeteilt und für uns ist nur möglich uns in dem Teil zu bewegen, der von den Rebellen gehalten wird.

Täglich wird die Stadt von der syrischen Armee bombardiert.

Ins Krankenhaus Dar Al-Chalifat, das die Rebellen das “Krankenhaus der freien Menschen” nennen, werden ständig neue Verletzte eingeliefert.

Es gibt dabei gerade einmal sieben Ärzte und zehn Krankenschwestern, die sich ihrer annehmen. Zahlreiche Freiwillige helfen so gut sie können, doch es fehlt hier an ausgebildetem Personal.

Einer der behandelnden Ärzte ist Osman Osman und er erklärt: “80 Prozent der Verletzten hier sind Zivilisten, der Rest sind Kämpfer der Freien Syrischen Armee.”

Ein Kleinkind wird notdürftig versorgt, während zeitgleich ein neuer verwundeter Kämpfer von der Frontlinie zurück gebracht wird.

Für einen Mann jedoch kommt jede Hilfe zu spät, er heißt Ibrahim, aber er war schon tot, bevor er im Krankenhaus ankam.

“Wer werden mit Gottes Hilfe den Hund Baschar al-Assad besiegen. Gut, wir haben nicht dieselben Waffen. Aber wir werden trotzdem siegen. Wir kommen jeden Tag einen Schritt weiter, für jeden gefallenen Märtyrer gehen 100 neue Kämpfer an die Front”, sagt Krankenschwester Nur Al-Hayat im Brustton der Überzeugung.

Die hygienischen Bedingungen lassen in Umständen wie diesen zu wünschen übrig, trotzdem haben sich nicht wenige entschieden, hier zu bleiben.

Denn auch eine Flucht Richtung Türkei ist oft kein gangbarer Weg, viele werden dort abgewiesen und zurückgeschickt.

Ein Mann und seine Familie, deren Gesichter wir nicht filmen durften, sucht Zuflucht im Flughafenviertel, das immer noch von den Regierungstruppen gehalten wird.

Unweit von dort, in Hanano und Tarik El-Bab kommt die Gefahr von oben. Die Menschen hier scheinen fast teilnahmslos, wenn neue Bomben fallen, zulange schon gibt es hier täglich neue Einschläge.

An diesem Tag nimmt eine russische Mig das Viertel unter Beschuß. Es bleibt unklar, was das genaue Ziel dieses Angriffs ist.

Am Stadtrand von Aleppo schließlich treffen wir die, die Richtung Türkei unterwegs sind, viele wollen dort ihre Familienangehörigen treffen.

“Wir mussten fliehen, wir hatten keine Wahl mehr, es fallen zu viele Bomben. Wir hatten wirklich große Angst. Alles ist zerstört, ich habe Kinder sterben sehen, die von einstürzenden Gebäuden einfach erdrückt wurden. Es ist schrecklich”, so Ahmed Nassou.

Wir trennen uns von Ahmed und seiner Familie und verabreden ein Treffen an der türkischen Grenze.

Unsere nächste Station ist nur wenige Kilometer entfernt: Marea.

Hier werden sogar die Schulen bombardiert. Die syrische Armee vermutet, dass die Auständischen sich hier verschanzen.

Nur wenige Stunden vor unserem Besuch wurde die Grundschule hier durch einen Luftangriff komplett zerstört.

“Sollen das die Reformen sein, von denen al-Assad spricht? Bomben auf Schulen? Und wo ist die Freie Syrische Armee? Niemand hilft uns hier. Sollen sie doch unsere Schulen zerstören, wir haben nichts mehr zu verlieren, aber was soll das alles?”, erbost sich Lehrer Hakim. “Sogar in den Weltkriegen hat man Rücksicht auf die Schulen genommen. Glauben sie etwa, wir beherbgen hier Terroristen?”, schimpft er weiter. Und mehr noch: “Hier ist niemand. In den Medien heißt es, hier würden sich die Rebellen verstecken. Aber ich sage ihnen: hier ist niemand, wo sind die Blutspuren? Schauen Sie sich doch den Boden an, hier war und ist niemand.”

Unweit der Schule treffen wir Abou Hassan und Fatma, beide sind Rebellen der ersten Stunde.

Seitdem stehen die beiden auf der schwarzen Liste des Regimes.

Ahmed hat viel gesehen, darunter auch viele Leichen, deren Anblick er nie mehr vergessen wird.

“Manchen Leichen hatte man den Kopf in zwei Stücke gehackt. Nach 13 Tagen traten giftige Dämpfe aus den Kadavern aus, und die Schädel waren voller Würmer. Wir haben sie alle begraben, aber manchmal waren die Leichen so verstümmelt, dass sie nicht mehr identifiziert werden konnten”, beschreibt Abou Hassan Szenen, die hier in Aleppo keine Seltenheit mehr sind.

“Es ist unser Schicksal, das hier durchzustehen”, so Fatma hinterher. “Wir werden nicht aufgeben. Wir werden al-Assad und seinen Mördern heimzahlen, was sie uns angetan haben. Mit Gottes Hilfe werden wir in Freiheit und Sicherheit leben. Und unser Land wird wieder auf die Beine kommen.”

Wir treffen zwei Deserteure, die uns sagen, dass sie sich nicht an den Kämpfen beteiligt haben. Einer von ihnen hat mehrere Monate im Gefängnis verbracht, bevor ihn die Rebellen befreiten.

Auf halber Strecke zwischen Aleppo und der türkischen Grenze treffen wir Ahmed und seine Familie wieder.

Um nicht zuviel Aufmerksamkeit zu erwecken, wechseln sie unterwegs das Auto.

Wir beleiten sie bis zur Grenze.

Im Auto sitzt eine Frau, die erklärt: “In meinem Haus habe ich immer im Gang geschlafen. Meine Söhne und ich hatten solche Angst, ich hatte sogar mein Kopftuch nachts auf. Ich wollte Gott nicht beleidigen, falls ich gestorben wäre.”

Zurück in Aleppo. Die Bomben fallen und fallen. Eine Stadt, die aufgehört hat Stadt zu sein und nur noch ein einziges Schlachtfeld ist.

Wir treffen einen der Anführer der Freien Syrischen Armee, Abdelkader el-Hadji.

Dem 32-jährigen unterstehen seiner Aussage zufolge 6.000 Kämpfer.

Für ihn ist klar, dass einzig und allein die Armee von Baschar al-Assad an diesem Konflikt und an den von unabhängigen Beobachtern beschriebenen Massakern die Schuld trägt.

“Nur Assads Schergen haben Massaker begangen. Auf unserer Seite werden Recht und Ordnung gewahrt. Aber die syrische Armee erschießt die Leute auf der Straße, alle wissen das und alle sehen das”, so der Rebellenführer.

Die Moral seiner Truppe aufrecht zu erhalten, ist nicht einfach.

Und auch er kann nicht bestreiten, dass islamistische Tendenzen untern seinen Leuten zunehmen.

Kämpfer schieben Wache vor seinem Gebäude, in dem sich immer noch viele Zivilisten aufhalten.

Filmen ist hier aber schwierig, die Unsicherheit regiert, die Nerven liegen blank.

Auf dem Dach treffen wir Miriam, eine Journalistin, die den Aufstand unterstützt, aber in dem Teil Aleppos wohnt, den die Regierung kontrolliert.

“Wir haben alle Angst vor dem Tod hier. Aber wir haben uns gegen das Regime erhoben, um Leben zu können”, so die junge Frau, die sich vermummt hat für unsere Kamera. Sie will, sie muss unerkannt bleiben.

Der Fatalismus der Menschen hier wird verständlich, wenn man sieht, unter welchen Umständen sie hier seit Monaten leben müssen.

Wir müssen Aleppo noch früher verlassen, als wir geplant hatten. Zu gefährlich ist es auf den Strassen der Stadt, wir ergreifen die Flucht.

An der Grenze zur Türkei trifft Ahmed seine Frau wieder, die vor drei Wochen mit den Kindern hier her gekommen ist.

Die Erleichterung ist groß, aber bevor die Familie wirklich Ruhe hat, wird noch einige Zeit vergehen.

In Killis auf der anderen Seite nimmt man keine Flüchtlinge mehr auf, die Lager sind voll.

“Die Türkei hat uns den Grenzübertritt verweigert. Seit 20 Tagen sind wir hier. Wir leben auf der Straße, haben nichts zu essen, kein Wasser und keinen Strom. Die Menschen sind krank, aber wir haben keine Wahl, was sollen wir tun? Zurück nach Aleppo? Das geht nicht, unsere Stadt wird ständig bombardiert”, so Ahmeds Frau, die ihren Namen nicht nennen will.

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