Jean-Claude Trichet: "Brauchen gemeinschaftlichen Prozess von Entscheidungen"

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Von Euronews
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Die Eurozone steckt in der Krise, und ein Ende scheint bislang nicht in Sicht. Zudem wirken sich die Probleme in Europa auf die Weltwirtschaft aus. euronews-Reporter Giovanni Magi hat mit Jean-Claude Trichet, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), darüber gesprochen, wie man die Probleme überwinden und eine krisenfeste Zukunft bauen kann.

euronews: “Ist die Sparpolitik wirklich die beste Lösung gegen die Eurokrise, oder ist sie, wie manche Ökonomen sagen, schlicht kontraproduktiv?”

Jean-Claude Trichet: “Ich denke, schon der Begriff ist falsch. Es gibt auch in den USA und in England eine Sparpolitik, und wohl auch in Japan, einem Land also, das im Defizit war und enorme Probleme hatte, seine laufenden Rechnungen zu bezahlen – wie Griechenland oder eines dieser verschuldeten Länder. Meiner Ansicht nach ist das ein unpassender Ausdruck. Was wir jetzt brauchen, ist ein durchdachtes Vorgehen, eine vernünftige Handhabung der Krise. Wir befinden uns derzeit in einer Situation, in der wir einfach mehr ausgeben als wir einnehmen. Warum ist das so? Nun, man hat eigentlich keine Wahl – es geht einfach nicht anders. Es gibt einfach keine, nennen wir sie ‘großzügigen Spender’, die bereit sind, auf ewig die Länder zu finanzieren, die mehr ausgeben, als sie einnehmen. Ein kluges Management scheint mir das beste Mittel zu sein, um künftiges Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen vorzubereiten.”

euronews: “Man gewinnt aber den Eindruck, dass Europa auf der politischen Bühne alleine dasteht mit seiner Fixierung auf die öffentlichen Kassen.”

Trichet: “Nein, ich glaube nicht, dass man das sagen kann. Die Debatte in den Vereinigten Staaten wird von einer breiten Öffentlichkeit geführt, dort geht es auch um die Frage: Soll man den Schwerpunkt auf die Gesundung des öffentlichen Haushaltes legen oder nicht? Auch in England gibt es eine Debatte: Sparen oder Wachstum? Dort, wo Europa sich gerade befindet – teils leider aus eigener Schuld, weil es in einer Reihe von Fällen sehr nachlässig war – da befindet es sich im Epizentrum der globalen Staatsschuldenkrise mit all den Haushaltsrisiken. Europa war und ist der Ort, an dem all das geschieht. Aber ich glaube, man muss das ganz klar sehen: Europa hat enorme Fortschritte gemacht. Es ist zwar immer noch im Epizentrum der Krise, aber es hat das Risiko einer Katastrophe deutlich verringert, und zwar dank der Entscheidungen, die getroffen wurden, dank der europäischen Regierungen, Institutionen, der EZB. Wir sind also in einer Situation, in der wir alles festigen müssen, was künftiges Wachstum ermöglicht.”

euronews: “Welche Lehren kann man aus der Griechenlandkrise und der Krise in Zypern ziehen? Waren manche Wirtschaften einfach zu schwach für den Euro? Oder sind die stärksten Wirtschaftsmächte der Eurozone einfach nicht bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, dass die ärmsten Länder in der Eurozone bleiben?”

Trichet: “Zunächst einmal: Zu sagen, dass Länder die “reichsten” oder die “ärmsten” sind, darüber lässt sich streiten. Das Problem, das wir heute haben, ist, dass es Länder gibt – zum Glück sind es relativ viele – die wettbewerbsfähig sind, die ihre Produkte und Dienstleistungen gut verkaufen auf den heimischen, europäischen oder globalen Märkten, die also gut dastehen und das auch aus gutem Grunde, denn sie haben ihre Ausgaben im Griff und Strukturreformen hinter sich. Und dann gibt es Länder, die ihre Finanzen weit weniger im Griff haben und die keine Strukturreformen hinter sich gebracht haben. Und diese Länder sind nun in Schwierigkeiten. Also: Ich glaube, die große Lehre ist, dass die Wirtschafts- und Haushaltspolitik in der gesamten Eurozone deutlich verbessert werden muss und dass man gegebenenfalls mit diesem oder jenem Land sehr streng sein muss, wenn es eine Politik betreibt, die für es selbst aber auch für das gesamte Währungsgebiet gefährlich werden kann.”

euronews: “Befürworten Sie für einen europäischen Wirtschafts- und Fiskalpakt? Wie würde er aussehen und denken Sie, dieser wäre im heutigen Europa ein gangbarer Weg?”

Trichet: “Ich denke tatsächlich, dass wir diesen Weg einer wirtschaftlichen und budgetären Föderation viel weiter gehen müssen. Das setzt dann natürlich eine erneute Änderung der Verträge voraus. Persönlich glaube ich, dass es mehrere Möglichkeiten gibt. Eine kann ich mir besonders gut vorstellen. Ich sage nicht, dass es die einzige ist oder zwingend die beste, aber ich glaube, sie erfüllt drei Kriterien. Erstens ist das Konzept, das ich mir vorstelle, effektiv, zweitens demokratisch und drittens respektiert es das Prinzip der Subsidiarität. Diese drei Punkte erscheinen mir von entscheidender Bedeutung. Wenn ein Land schlechte Politik macht, die Empfehlungen nicht befolgt, die von der Kommission und dem Rat kommen, und die Stabilität der Eurozone gefährdet, wie wir es ja in der Krise schon gesehen haben, dann werden im Moment Strafen verhängt zur Abschreckung. Es werden Sanktionen verhängt, die abschrecken sollen. Aber ich glaube nicht, dass das so funktioniert. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und ich glaube auch, dass es in Zukunft nicht funktionieren wird. Daher stelle ich mir persönlich vor, dass es anstelle von Strafen einen gemeinschaftlichen Prozess von Entscheidungen geben sollte, auf Ebene der europäischen Institutionen. Der könnte so aussehen: Die Kommission spielt die Rolle der Regierung. Der Ministerrat ist eine Art Oberhaus, ein Senat, und das europäische Parlament mit seinen bei allgemeinen Wahlen gewählten Abgeordneten, die bei den nächsten Abstimmungen wiedergewählt werden, ist eine Art Unterhaus. Ich schlage vor, dass die Kommission dann sagt: das und das muss getan werden. Dann wäre der Senat an der Reihe und sagt: das und das denken wir darüber. Und dass dann das europäische Parlament entscheidet – natürlich begrenzt auf die Repräsentanten der Eurostaaten und nach Rücksprache mit den nationalen Parlamenten. Das ist eine Föderation. Wir ermöglichen die Arbeit föderaler Einrichtungen, die das Subsidiaritätsprinzip respektieren. Das ist durchaus nicht immer der Fall, sondern häufig ist das nur in Ausnahmefällen so. Wenn nun die Stabilität der Eurozone in Frage steht, dann ist es nur demokratisch, wenn die endgültige Entscheidung von den Volksvertretern getroffen wird. Das erlaubt es uns, relativ sicher zu sein, dass man nicht ins Leere redet und dass man keine abschreckenden Geldstrafen hat, die nicht wirken.”

euronews: “In Europa bildet sich eine Achse heraus, die vor allem aus Frankreich, Italien und Spanien besteht und die einen genau entgegengesetzten Weg zur Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einschlägt. Wie sehen Sie das?”

Trichet: “Nein, ich teile diese Sichtweise nicht. Ich glaube sehr stark an die Freundschaft zwischen den Europäern und besonders die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Und ich sehe einfach hinter all den Streitereien, die es hier und da natürlich gibt, den wahren und starken WIllen, gemeinsam vorwärtszukommen und den wahren und starken Willen, die Probleme im europäischen System gemeinsam zu überwinden. Europa hat sich dieser Probleme unbestreitbar angenommen, das muss man einfach festhalten, wenn man sich anschaut, was in dieser unheimlich schwierigen Zeit alles gemacht wurde.”

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